| # taz.de -- Essay zur Lage in Ägypten: Steilvorlage für die Islamisten | |
| > Die Freude darüber, dass Mursi weg ist, ist groß. Aber es bleibt ein | |
| > fahler Geschmack. Denn es wurde eine Chance vertan. | |
| Bild: Bild vergangener Tage: Mohammed Mursi (hinten, 2. v. r.) umringt von Män… | |
| Natürlich ist man froh, dass er weg ist. Der Nepotismus, die Islamisierung | |
| aller Sphären. Ganz abgesehen davon, dass er seine Wahlversprechen nicht | |
| wahrgemacht hat und es den meisten Ägyptern heute schlechter geht als unter | |
| Mubarak. Mohammed Mursi war ein Spalter, taub für die Belange der meisten | |
| Ägypter, die seine islamistische Vision nicht teilen, schlicht inkompetent. | |
| Es gibt so viel, was Mohammed Mursi falsch gemacht hat, dass die erste | |
| Reaktion Freude ist. Und dennoch bleibt ein fahler Geschmack im Mund. Er | |
| war nun einmal ein demokratisch gewählter Präsident. Der erste demokratisch | |
| gewählte Präsident, den Ägypten je hatte. Ein Präsident mit einer großen | |
| Mehrheit. | |
| Es ist ein schlechtes Argument zu sagen, diese Mehrheit habe er inzwischen | |
| verloren, seine Gegner würden seine Anhänger heute bei weitem überrunden. | |
| Das mag stimmen; und wenn man nur die Demonstrationen ansieht, dann stimmt | |
| es vermutlich ganz eindeutig. Das geht uns in Deutschland nach der Hälfte | |
| oder einem Drittel der Legislaturperiode aber oft auch nicht anders. Es mag | |
| ja besserwisserisch klingen: Aber es gilt zu warten bis zu den nächsten | |
| Wahlen, um der Regierung die Quittung zu präsentieren und sie abzuwählen. | |
| Über eine Regierung wird in Demokratien nun mal an der Wahlurne entschieden | |
| und nicht auf der Straße durch Protestbewegungen. | |
| Das mag man nicht basisdemokratisch genug finden, und natürlich haben die | |
| Jubelschreie der Menschen in den Straßen Kairos, Alexandrias oder anderer | |
| ägyptischer Städte etwas Mitreißendes; man freut sich mit den Menschen, | |
| dass sie es geschafft haben. Aber was wir in den letzten Tagen gesehen | |
| haben, ist eben keine direkte Demokratie, auch wenn dies im Moment so | |
| dargestellt wird. | |
| Direkte Demokratie bedeutet nicht, dass eine Graswurzelbewegung zwar die | |
| Menschen auf die Straße bekommt – es aber letztlich doch das Militär ist, | |
| das putscht. Nicht nur ist ungewiss, was nun kommt; ob Ägypten nicht doch | |
| vom Regen in die Traufe gerät. Es ist auch das Prozedere, das diesen fahlen | |
| Nachgeschmack produziert. | |
| ## Vom Westen einfach nicht anerkannt | |
| Hinzu kommt: Man liefert den Islamisten eine Steilvorlage. Ihr Argument | |
| wird einmal mehr sein: Wann immer wir gewählt werden, putscht man uns weg | |
| oder erkennt die Wahl nicht an. | |
| Das belegen für die Islamisten der Fall Algerien, wo das Militär den | |
| Wahlsieg wegputschte, und der demokratische Wahlsieg der Hamas von 2006 in | |
| den Palästinensergebieten, der vom Westen einfach nicht anerkannt wurde. | |
| Das kann man nicht einfach vom Tisch wischen. Wie will man Islamisten | |
| gegenüber glaubhaft vertreten, dass sie sich an demokratische Spielregeln | |
| halten sollen, wenn man sie selbst im kritischen Fall nicht beachtet oder | |
| schlicht ignoriert? | |
| Das Problem ist nun in der Tat, dass hier die Demokraten keine Liberalen | |
| sind und die Liberalen keine Demokraten – wenn sie einen Militärputsch für | |
| ein adäquates Mittel halten, eine nicht abgelaufene Legislaturperiode zu | |
| beenden. Oder meinen sie im Ernst, das Militär sei der Vollstrecker des | |
| Volkswillens? In Ägypten stehen wir vor dem Paradox, dass eine | |
| demokratische Bewegung Militär zu Hilfe gerufen hat, das sechs Jahrzehnte | |
| autokratische Herrscher produziert hat, um einen demokratisch gewählten | |
| Präsidenten abzusetzen, damit das Land wieder auf den Weg der Demokratie | |
| geführt wird. | |
| Weil die, die durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen sind, | |
| Freiheitsrechte einschränken und Minderheitenrechte ignorieren, ist die | |
| Angst vor ihnen berechtigt. Man kann der Sorge, dass Islamisten durch | |
| Wahlen, also demokratische Verfahren, an die Macht kommen, um dann die | |
| Demokratie auszuhebeln, indem sie die in ihr garantierten Rechte | |
| abschaffen, nur wenig starke Argumente entgegensetzen. | |
| ## Gab es keine andere Möglichkeit? | |
| Die Islamische Republik Iran liefert seit ihrer Etablierung im Jahre 1979 | |
| das abschreckendste Beispiel dafür, wie undemokratisch der politische Islam | |
| agieren kann. Allerdings hinkt der Vergleich mit Iran auch, der immer | |
| wieder in den letzten Monaten herangezogen wurde: Wenn Saddam Hussein nicht | |
| 1980 einen Krieg gegen Iran vom Zaune gebrochen hätte, wäre es dazu nicht | |
| gekommen. Nur so konnten die demokratischen Kräfte in Iran von den | |
| Islamisten ausgebootet werden. | |
| Waren die demokratischen Kräfte auch in Ägypten schon ausgebootet? War es | |
| kurz vor zwölf und gab es keine andere Möglichkeit? Sicher kann man sich da | |
| nicht sein. Natürlich, Mursi hat das Angebot, mit der Opposition zu einer | |
| Übereinkunft zu kommen, nicht angenommen. Aber vielleicht hätte man ihn | |
| stärker dazu drängen müssen; oder man hätte jüngere Mitglieder der | |
| Muslimbrüder einbinden müssen, die weniger islamistisch sind und mehr an | |
| Ägypten denken als an die Privilegien der Muslimbrüder. | |
| Vielleicht ist hier auch eine weitere Chance vertan worden: Dass die | |
| Muslimbrüder an der Macht waren, hatte einen großen Lerneffekt. Schnell hat | |
| man gesehen, dass der Islam nicht die Lösung ist – wie jahrzehntelang | |
| behauptet. Al-islam huwa al-hall ist die Losung des politischen Islams. | |
| Doch es reicht eben nicht, dass eine Partei regiert, die sich islamisch | |
| nennt, dass erklärt wird: Wir führen die Scharia ein – was auch immer das | |
| zu bedeuten hat. | |
| So werden wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme nicht gelöst. Und | |
| nirgendwo in der islamischen Welt verfügen Islamisten über ein politisches | |
| Konzept, das über das Schlagwort der „Islam ist die Lösung“ hinausgeht. | |
| Bisher ist dies nur kaum aufgefallen, weil man sie ohnedies nicht an der | |
| Macht beteiligt hat. Wo man sie an der Regierung beteiligt hat wie in | |
| Jordanien, wurde ihre Konzeptlosigkeit dann auch schnell offenbar, und sie | |
| wurden abgewählt. | |
| Insofern befand sich Ägypten in einem wichtigen Lernprozess: Die Bürger | |
| haben erkannt, dass eine Partei ein Land nicht erfolgreich führen kann, | |
| indem sie eine vermeintlich islamische Gesetzgebung einführt, aber | |
| ansonsten keine Lösungen parat hat. Man braucht Technokraten, | |
| Wirtschaftsprofis, Leute vom Fach, um ein Land aus der politischen und | |
| wirtschaftlichen Misere zu führen. | |
| Zu lernen wäre hier auch gewesen, dass man den Islam überfrachtet; dass er | |
| kein Staatssystem liefert und keine Wirtschaftstheorie und auch keine | |
| Ideologie sein kann und will. Auch hier haben übrigens die Iraner eine | |
| sicher unfreiwillige Vorreiterrolle eingenommen und in einem leidvollen | |
| Prozess Erkenntnisse über den politischen Islam, seine Möglichkeiten und | |
| Grenzen gewonnen. Deshalb ist die iranische heute die vermutlich am | |
| weitesten säkularisierte Gesellschaft des gesamten Nahen und Mittleren | |
| Ostens: weil sie in einem schmerzhaften Prozess erkennen musste, dass | |
| Religion nicht staatlicherseits verordnet werden kann und darf. | |
| ## Das Ende des Erwachens | |
| Die Ägypter haben dasselbe sehr schnell erkannt. Erstaunlich fast, wie | |
| schnell sie der Muslimbrüder überdrüssig wurden, die sich ja in vielen | |
| Jahrzehnten in der Opposition einen hervorragenden Ruf erarbeitet hatten – | |
| was wiederum nachvollziehbar erklärt, warum sie die Wahlen so eindeutig | |
| gewonnen haben. In den ersten freien Wahlen wurden die Muslimbrüder dafür | |
| belohnt, dass sie sich in all den Jahren als nicht korrupt und als | |
| Wohlfahrtseinrichtung bewiesen haben, die dort hilft, wo der Staat unter | |
| Mubarak versagt hat. Deshalb bekamen sie ihre Chance, doch sie haben sie | |
| vergeigt. Das war eine wichtige politische Erfahrung. | |
| Dass der Islam nicht die Lösung ist, hätte – ohne Militärputsch – ein | |
| wichtiges Ergebnis für den politischen Islam werden können: Als das | |
| islamische Erwachen in der Region hatte Ajatollah Chamenei den Sturz | |
| Mubaraks und die Wahl Mursis bezeichnet. Folgt man seiner Logik, die | |
| allerdings nur für Islamisten gilt und für alle anderen, die den Sturz | |
| Mubaraks ja viel maßgeblicher herbeigeführt haben, schon damals falsch war, | |
| so wäre das politische Scheitern der Islamisten in Ägypten das Ende des | |
| Erwachens. | |
| ## Auswirkungen auf andere Bewegungen | |
| Das hat natürlich Auswirkungen auf alle anderen islamistischen Bewegungen | |
| in der Region. Wenn die Islamisten im wichtigsten Land der islamischen Welt | |
| unter Beweis stellen, dass sie es nicht draufhaben, dann trägt das auch in | |
| anderen islamischen Ländern kaum zum Vertrauen in die Islamisten bei. | |
| Jetzt hingegen macht man Märtyrer aus ihnen. Das Militär geht nicht eben | |
| zimperlich mit den Muslimbrüdern um, wie die jüngsten Meldungen aus Ägypten | |
| belegen. Sie werden zukünftig immer wieder auf das Argument pochen, dass | |
| sie rechtmäßig an der Macht waren, demokratisch gewählt, man ihnen aber | |
| keine Möglichkeit gelassen, und sie gestürzt hat. | |
| Hinzu kommt: Die Vorstellung, man könne in Ägypten Politik machen ohne die | |
| Muslimbrüder, ist naiv. Auch wenn ein Großteil der Bevölkerung ihnen nicht | |
| mehr zugetan war, es werden nicht alle gewesen sein, die sich von ihnen | |
| abgewandt haben. Aber wie will man jetzt noch eine Aussöhnung mit ihnen | |
| erzielen? Dass man sich hier gegenüber dem politischen Islam zu viel | |
| vergeben hat, ist die Sorge, die bleibt. | |
| Andererseits: Vielleicht war es eben doch gerade noch rechtzeitig. Aber das | |
| hieße andererseits wieder, dem Militär zu vertrauen – was auch nicht | |
| leichtfällt. | |
| 5 Jul 2013 | |
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