# taz.de -- Nach dem Putsch in Ägypten: „Kein Zutritt für Brüder“ | |
> Hunderttausende feiern den Abtritt von Präsident Mursi. Doch trotz aller | |
> Wut gegen die Muslimbrüder: Religion gehört zum politischen Leben. | |
Bild: Erst laut, nun sehr leise: Anhänger der Muslimbruderschaft. | |
KAIRO taz | Auf dem Kairoer Tahrirplatz herrscht Katerstimmung. Nicht von | |
Alkohol, aber man merkt den Menschen die kurze Nacht an. Einige Junge | |
sitzen mit schwarz-weiß-rot verschmierten Gesichtern – den Nationalfarben – | |
auf dem Bürgersteig. | |
Auf einer am Rande des Platzes aufgebauten Bühne erinnert ein Redner an die | |
Märtyrer der Revolution vom 25. Januar 2011. Die Demonstranten singen ein | |
wenig mit und schwingen ihre Flaggen, weniger euphorisch jedoch als noch in | |
der Nacht. Der Platz ist an einigen Stellen leer, der Boden von Flaschen, | |
Dosen und Maiskolbenresten bedeckt. | |
Die gesamte Kairoer Innenstadt hatte sich nach der Entmachtung Mursis am | |
Mittwochabend bis in die frühen Morgenstunden in eine Festmeile verwandelt. | |
Rund um den Tahrirplatz und vor den beiden Kairoer Präsidentenpalästen | |
versammelten sich Hunderttausende jubelnde Mursi-Gegner – in den Straßen, | |
auf Autos, Hausdächern und Laternenmasten. Feuerwerksraketen erleuchteten | |
den Himmel, Freudenschüsse mischten sich mit den Hupkonzerten der | |
Autokorsos. | |
Die Nacht über waren Militärhubschrauber im Tiefflug über die Stadt | |
geflogen, um sich von den Menschenmengen mit Vuvuzelas und Trillerpfeifen | |
begrüßen zu lassen. Hunderte grün leuchtender Laserpointer, die die | |
Feiernden auf sie richteten, verwandelten die Rotorblätter zu kleinen | |
Lichtspektakeln. | |
## Schwer bewaffnete Soldaten | |
Am Donnerstagmittag ist eine Mutter mit ihren beiden Kindern auf den | |
Tahrirplatz gekommen, um sich die Reste des wilden Fests anzuschauen. Das | |
Victoryzeichen und die Flagge gen Himmel streckend lässt sie sich von ihrem | |
Sohn fotografieren. „Es ist das erste Mal, dass ich auf den Platz komme“, | |
erzählt sie, „ich bin einfach nur glücklich.“ Mursi sei nicht der Präsid… | |
des Volkes gewesen, sondern der der „Ikhwan“, der „Brüder“, wie die | |
Islamisten von der Muslimbruderschaft auf Arabisch genannt werden. | |
Die Ikhwan, die älteste und einflussreichste soziale Bewegung des Landes, | |
sind verhasst auf dem Tahrir. An einer Zufahrtsstraße zum Platz, an der in | |
der Nacht noch Tausende von der Nilbrücke zum Platz gepilgert waren, hängt | |
ein Banner: „Kein Zutritt für Brüder!“ | |
Wenige hundert Meter weiter hatten in der Nacht Militärfahrzeuge Stellung | |
bezogen. Auf den überfüllten Brücken ließen sich schwer bewaffnete Soldaten | |
Arm in Arm mit Demonstranten fotografieren – die Pepsidose in der einen, | |
das Maschinengewehr in der anderen Hand. Eltern reichten ihre Kinder auf | |
die Panzerdächer, um sie den Soldaten in die Hände zu geben. | |
„Was haben die Brüder in dem einen Jahr, in dem sie regiert haben, denn | |
gemacht?“, fragt ein junger Mann auf dem Tahrirplatz, und gibt selbst die | |
Antwort: „Nichts, rein gar nichts.“ Immer höher seien die Benzinkosten | |
geklettert. Am schlimmsten aber seien die Stromausfälle gewesen – zwei bis | |
drei Stunden täglich blieb das Haus der Familie ohne Elektrizität. | |
## Freiwillige Aufpasser | |
Auch wenn die Islamisten der Muslimbruderschaft bei der Protestbewegung | |
alles andere als beliebt sind, ein Aufbegehren der Säkularen gegen die | |
Religiösen waren die Massenproteste nicht. Eine tief verschleierte Frau ist | |
am Tag nach dem Sturz auch auf den Platz gekommen. Dass jetzt nicht das | |
Militär, sondern eine zivile Regierung übernehme, steht für sie außer | |
Frage. Die Armeeführung habe ja bereits einen Zivilisten mit der | |
Staatsführung beauftragt, erklärt sie. „Mursi war schwach, er musste | |
gehen.“ Auch in der Nacht hatten sich vollständig Verschleierte den großen | |
Siegesfeiern angeschlossen. „Mursi, hau ab!“ hatten sich einige auf den | |
Schleier gemalt. | |
Um zwölf Uhr mittags unterbricht der Moderator am Tahrirplatz das | |
Bühnenprogramm. Über die aufgebauten Lautsprechertürme ertönt der Ruf des | |
Muezzins. Einige Menschen laufen quer über den Platz in Richtung der | |
Moschee, andere verschwinden im Fastfood-Restaurant um die Ecke. | |
Selbsternannte Helfer in gelb-grünen Neonwesten halten ein Absperrseil, | |
damit alles geordnet zugeht und die Frauen ungestört den Platz verlassen | |
können. | |
In Gelb-Grün leuchten auch die freiwilligen Aufpasser, die die Passanten | |
abklopfen und Taschen und Rucksäcke durchsuchen. Von offiziellen | |
Sicherheitskräften ist am Tag nach dem Militärputsch nichts zu sehen: keine | |
Soldaten am Tahrir, keine Polizisten in der Kairoer City. Die | |
Militärhubschrauber haben ihre Rundflüge über die Stadt eingestellt. | |
„Wir passen auf, dass keine Ikhwan kommen“, sagt der etwa 16-jährige | |
Mohammed, einer der Freiwilligen. Sein Freund, auch er stellt sich als | |
Mohammed vor, hält eine Taube in der Hand. Ihre weißen Federn sind | |
blutverschmiert. Die sei in der Nacht von den Militärhelikoptern erwischt | |
worden, erzählt er. Eine weiße Taube, nach einem Zusammenstoß mit | |
Sicherheitskräften vom Himmel gefallen – ob das ein gutes oder ein | |
schlechtes Zeichen ist? | |
4 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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