Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Blutige Straßenkämpfe in Ägypten: Die Armee schaut zu
> Anhänger und Gegner der gestürzten Muslimbrüder lieferten sich in der
> Nacht Kämpfe, in ganz Ägypten starben 30 Menschen. Ein Bericht aus Kairo.
Bild: Allein zwischen Pflastersteinen: Anhänger der Muslimbrüderschaft Freita…
KAIRO taz/ap | Die Warnung des ägyptischen Militärs war eindeutig:
Demonstrationen seien gestattet, sollte es jedoch zu Ausschreitungen
kommen, werde hart durchgegriffen. Anhänger des von der Armee entmachteten
Präsidenten Mohammed Mursi hatten für Freitag zu Massenprotesten
aufgerufen.
Doch schon am Abend schien das Militär seine Ankündigung bereits vergessen
zu haben. Auf der 6.-Oktober-Brücke nahe des Tahrir-Platzes im Zentrum
Kairos stießen Anhänger und Gegner Mursis aufeinander. Zweieinhalb Stunden
lang ließ die Armee sie kämpfen, ohne einzuschreiten.
Insgesamt wurden am Freitag landesweit mindestens 30 Menschen getötet und
Hunderte verletzt, wie das staatliche Fernsehen und das ägyptische
Gesundheitsministerium berichten. In der Hafenstadt Alexandra seien
mindestens zwölf Menschen bei Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern
Mursis getötet worden, teilte ein Sprecher der Rettungsdienste mit.
In der Stadt Al-Arisch wurden bei Schießereien mit militanten Islamisten
fünf Polizisten getötet, wie Sicherheitskreise berichteten. Auch in
Ägyptens in Suez und den Nil-Delta-Provinzen Damietta und Buheira kam es zu
blutigen Zusammenstößen.
Auf dem Tahrir-Platz und der südlichen Nilbrücke haben sich am Freitag um
19 Uhr Tausende versammelt, um den Sturz Mursis zu feiern. Doch die
Stimmung kippt, als sich auch die nördliche Nilbrücke füllt. Einige hundert
Mursi-Anhänger ziehen in Richtung Tahrir-Platz.
## Steine und Feuerwerksraketen fliegen
Sofort setzen sich Dutzende Gegner des Ex-Präsidenten, unter ihnen
zahlreiche Teenager, in Bewegung, reißen Pflastersteine aus dem Bürgersteig
und rennen dem Protestmarsch entgegen. Nur wenige hundert Meter vom
Tahrir-Platz entfernt kommt es zur Konfrontation: Steine fliegen, unter
Jubelschreiben feuern beide Seiten Feuerwerksraketen aufeinander, mitten in
die Menschenmengen hinein. Dann wird scharf geschossen.
Auf Motorrädern kommen Menschen zur Hilfe, um Verwundete
abzutransportieren. „Wasser, Wasser!“, ruft ein 16-Jähriger, dessen Freund
auf der Straße liegt. Erst später fahren die ersten Krankenwagen vor.
Kurz zuvor hatte der Führer der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, vor
Zehntausenden von Islamisten erklärt, die Muslimbruderschaft werde ihre
Straßenproteste nicht beenden, bis Mursi wieder als Präsident eingesetzt
sei. „Gott mache Mursi siegreich und bringe ihn zurück in den Palast“,
sagte Badia vor Anhängern vor einer Moschee in Kairo in seinem ersten
öffentlichen Auftritt seit Mursis Absetzung am Mittwochabend. „Wir sind
seine Soldaten und wir verteidigen ihn mit unseren Leben“.
Stunden später wurde Badias Stellvertreter, Chairat al-Schater, wegen
Anstiftung zur Gewalt gegen Demonstranten zusammen mit seinem Bruder in
Kairo verhaftet, wie das Innenministerium mitteilte. Al-Schater gilt als
der eigentliche starke Mann der Muslimbruderschaft. Er war ihr
ursprünglicher Kandidat für die Präsidentenwahl, durfte aber wegen einer
vorherigen Gefängnisstrafe nicht antreten. An seiner Stelle kandidierte
Mursi und wurde vor einem Jahr der erste freigewählte Präsident Ägyptens.
## „Einige hatten Kalaschnikows“
Zwei Stunden lang ertönen die Schüsse in der Innenstadt. „Einige hatten
Schrotflinten und Kalaschnikows“, erklärt ein etwa 25-Jähriger später, der
für die Mursi-Gegner gekämpft hat, „die gleichen Waffen auf beiden Seiten,
aber die Brüder waren besser ausgestattet.“ Seinen Eisenstock hat er in die
Ecke eines Restaurants gestellt, der Bauhelm liegt vor ihm auf dem Tisch.
Wie er war der Großteil beider Lager bewaffnet: mit Stöcken, Eisenstangen
und Steinen. Fliegende Händler auf dem Tahrir-Platz verkauften
Bauarbeiterhelme zum Schutz.
Warum haben die Sicherheitskräfte nicht eingegriffen? Er überlegt.
„Vielleicht wollten sie den Muslimbrüdern keine Argumente liefern, dass das
Militär sie bekämpfe“, sagt er. Sicher ist er sich nicht.
Fest steht, dass das Militär den Straßenkampf laufen ließ. Zwar kreisten
wie schon den ganzen Tag lang Kampfhubschrauber über der Stadt. Am Boden
jedoch ließen sich erst nach zwei Stunden Soldaten blicken. Nach dem Abzug
der Mursi-Anhänger rollten dann jedoch einige Panzer am Nilufer entlang, um
sich von der Menge bejubeln zu lassen. „Das Militär. Das Volk. Eine Hand“,
sangen einige Dutzend Männer im Chor, und: „Fick dich, Mursi!"
Zu einer grausamen Szene am Rande der Straßenschlacht war es zuvor
gekommen, als einige Männer einen der Pro-Mursi-Demonstranten in die Hände
bekamen. Schnell bildete sich ein Menschenmenge um ihn herum und zerrte ihn
mehrere hundert Meter weit in Richtung Tahrir-Platz. Was weiter mit ihm
geschah, ist nicht bekannt.
6 Jul 2013
## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Muslimbrüder
Kairo
Ägyptische Armee
Ägypten
Kairo
Muslimbrüder
Ägypten
Ägypten
Ägypten
Zehn Jahre Arabischer Frühling
Mohamed ElBaradei
Mursi
Ägypten
Ägypten
Ägypten
## ARTIKEL ZUM THEMA
Versöhnliche Töne in Ägypten: Friede, Freude, Ramadan
„Eine Nation“ heißt die Versöhnungsinitiative, die Ägyptens
Übergangspräsident Mansur pünktlich zum Beginn des Fastenmonats startet.
Wer mitmacht, ist unklar.
Im Protestcamp der Muslimbrüder: Mit Knüppeln und Latschen
Die Mursi-Anhänger demonstrieren für die Rückkehr des gestürzten
Präsidenten. Selbstgebaute Waffen sollen nur zur Verteidigung dienen.
Kommentar Ägypten: Ab jetzt ein unregierbares Land
Es ist schwer sich vorzustellen, dass die Ägypter noch einmal wählen gehen,
ohne sich gegenseitig umzubringen. Wer auch immer übernimmt, wird kaum
regieren können.
Nach tödlichen Schüssen in Kairo: Aufrufe zum Volksaufstand
Nach dem blutigen Gewaltausbruch vor einem Militärgelände in Kairo rufen
Muslimbrüder zu neuer Gewalt auf. Ägypten rutscht weiter ins Chaos.
Politische Krise in Ägypten: Erneut Schüsse in Kairo
Während in Ägypten ein neuer Übergangspräsident im Gespräch ist, ziehen
sich die Salafisten aus den Verhandlungen zurück. Die Gewalt auf der Straße
geht weiter.
Debatte Arabellion: Die große Ungeduld
Weder in Deutschland noch in Mittel- und Osteuropa verlief die
Demokratisierung geradlinig. Für Ägypter mag das frustrierend sein, aber es
gehört dazu.
Politische Krise in Ägypten: Rätselraten um ElBaradei
Mohammed ElBaradei sollte am Samstagabend als Übergangsregierungschef von
Ägypten vereidigt werden. Doch daraus wurde erstmal nichts.
Proteste in Ägypten: Tote bei Mursi-Demo in Kairo
Zehntausende Menschen protestieren gegen die Intervention des Militärs.
Mindestens zwei Anhänger der Muslimbruderschaft kommen ums Leben.
Kommentar Ägypten: Unschöner Nachgeschmack
Staatsstreich? Putsch? Aufstand? Das Vorgehen des Militärs wird von vielen
Ägyptern begrüßt. Die Repressionen jetzt geben allerdings zu denken.
Essay zur Lage in Ägypten: Steilvorlage für die Islamisten
Die Freude darüber, dass Mursi weg ist, ist groß. Aber es bleibt ein fahler
Geschmack. Denn es wurde eine Chance vertan.
Staatsstreich in Ägypten: Muslimbrüder rufen zu Protest auf
Ägyptens Muslimbrüder wollen sich mit dem Staatsstreich des Militärs nicht
abfinden. Nach dem Freitagsgebet droht es unruhig zu werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.