# taz.de -- Im Protestcamp der Muslimbrüder: Mit Knüppeln und Latschen | |
> Die Mursi-Anhänger demonstrieren für die Rückkehr des gestürzten | |
> Präsidenten. Selbstgebaute Waffen sollen nur zur Verteidigung dienen. | |
Bild: In der Nacht eskalierte der Protest: Mindestens 50 Menschen verloren das … | |
KAIRO taz | Sie erinnern an römische Legionäre aus Asterix & Obelix, die | |
jungen Kämpfer. Vielleicht wegen der Schutzschilde, die einige Anhänger von | |
Mohammed Mursi demonstrativ vorm Körper tragen. „Taaaaaaakbir“, schreit der | |
Legionsführer. Das islamische Glaubensbekenntnis schallt ihm von den | |
Männern entgegen. Dann stimmen sie, mehr oder weniger in Reih und Glied, | |
Sprechchöre an: „Mursi, Präsident der Republik!“ | |
Die Schilde, erklärt der Legionsführer, seien aus Metall, selbstgebaut. So | |
groß wie ein Ofenblech. Dazu tragen die Männer Schlagstöcke verschiedener | |
Bauart: mit Klebeband umwickelte Holzknüppel, einfache Stöcke, | |
Eisenstangen, Baseballschläger. Einer hat sich mit einem abgeschraubten | |
Tischbein bewaffnet. | |
Sind es Details wie die mit der Kampfausrüstung kombinierten Badelatschen, | |
die die Großdemonstration der Mursi-Anhänger im Kairoer Stadtteil Nasr City | |
am Sonntag trotzdem friedlich erscheinen lassen? Nichts weist darauf hin, | |
dass es nur Stunden später zu einer grausamen Schlacht zwischen | |
Mursi-Anhängern und dem Militär kommen wird. Feuerwaffen sind nirgends zu | |
sehen. | |
Hinter dem Trainingsbereich der chaotisch anmutenden paramilitärischen | |
Trüppchen beginnt die eigentliche Großdemonstration für den vom Militär | |
nach Massenprotesten entmachteten Präsidenten Mursi. Auf der Straße vor der | |
Rabaa-al-Adawia-Moschee sind Hunderte Zelte aufgebaut. Schon am Vormittag | |
tummeln sich die Demonstranten in Massen auf der Protestmeile. | |
Männer auf Matratzen lesen Zeitung, zwei Mädchen fotografieren sich | |
gegenseitig vor einem Mursi-Plakat, ein kleiner Junge tanzt mit wehender | |
Nationalflagge auf einem Autodach. Am Straßenrand verkaufen Händler | |
Orangensaft und Sandwichs. Andere haben einen Vorrat an Knüppeln | |
herbeigeschafft. Wie Kaminscheite sind sie zum Verkauf ordentlich | |
gestapelt. | |
## Der Protest sollte friedlich bleiben | |
„Wir würden niemals Gewalt anwenden“, sagt Mohammed Hibischi. Die Knüppel | |
und das Training seien nur zum Schutz vor möglichen Schlägertruppen der | |
anderen Seite. Die andere Seite, das sind in diesem Fall die Mursi-Gegner, | |
die sich täglich auf dem Tahrirplatz in Kairos Innenstadt versammeln und | |
das Militär feiern, das sie seit dem Militärputsch felsenfest auf ihrer | |
Seite glauben. | |
In eine weiße Gallabija, das ägyptische Kleid für Männer, gekleidet sitzt | |
Hibischi mit einem Dutzend anderer Männer auf dem Zeltboden, die Beine im | |
Schneidersitz übereinandergeschlagen, in der Hand einen Koran. „Einige | |
Leute in Ägypten“, sagt der Fünfzigjährige, „wollen das alte System | |
wiederhaben.“ Es sei doch ganz natürlich, dass das Volk rebelliere, wenn | |
ein demokratisch gewählter Präsident durch einen Militärputsch entmachtet | |
wird. „In Ägypten gibt es zwei Lager: ein großes für Mursi und die | |
Demokratie, und ein kleines gegen ihn.“ | |
Nicht nur die Muslimbruderschaft, Mursis politische Heimat, will den | |
abgesetzten Präsidenten wieder im Amt sehen. Kurze Umfrage bei den | |
Mursi-Anhängern im Zelt: „Wer ist hier alles Muslimbruder?“ Nur die Hälfte | |
der Männer hebt die Hand. | |
Auch Hibischi selbst ist kein Bruder, und dennoch Politiker bei der | |
Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, dem politischen Arm der Bruderschaft. | |
Bei den Muslimbrüdern aber sei er nicht. Die seien ihm zu einseitig, sagt | |
er. Die Partei dagegen sei offen für ein breites Spektrum an Meinungen. | |
An seinen Fingern zählt Hibischi auf, wie er Ägypten aus der Krise führen | |
will: „Erstens brauchen wir einen nationalen Dialog, zweitens Wahlen der | |
Nationalversammlung, drittens eine Koalitionsregierung und schließlich eine | |
Roadmap für die Zukunft.“ Alles aber unter einer Bedingung: der | |
Präsidentschaft Mohammed Mursis. | |
## Die gleichen Poster wie am Tahrirplatz, ohne das rote Kreuz | |
Im Protestcamp vor der Rabaa-al-Adawia-Moschee gibt man sich fest davon | |
überzeugt, dass Mursi bald wieder Präsident sein wird. „Vorher wird es | |
keine Ruhe geben“, sagt ein Muslimbruder in Shorts, Flip-Flops und | |
Sonnenbrille. | |
Am Straßenrand hat sich jemand eine Mursi-Pappmaske über das Gesicht | |
gezogen und hält, vom Bürgersteig herab, eine Rede vor einer Handvoll | |
Leuten. Poster an der vor der Moschee aufgebauten Bühne zeigen das | |
Konterfei des ehemaligen Präsidenten, eine Gruppe junger Frauen mit | |
Mursi-Postern vor der Brust singt Sprechchöre und zieht in Richtung Bühne. | |
Es sind die gleichen Poster wie auf dem Tahrirplatz. Nur fehlt das rote | |
Kreuz durch das Gesicht des ehemaligen Präsidenten. Und die Teufelshörner | |
auf Mursis Kopf. | |
Ali Fargaly, der bei einer Kairoer Zementfirma arbeitet, ist überzeugt, | |
dass Mursi in dem einen Jahr als Präsident sein Bestes gegeben hat. „Die | |
Ausgangsbedingungen waren schwer“, sagt Fargaly, „nach der Revolution lag | |
die Wirtschaft am Boden.“ Allerdings habe Mursi, das müsse man zugeben, | |
auch Fehler gemacht, vor allem habe er die Hauptakteure der Revolution | |
nicht einbezogen. Aber gewählt sei schließlich gewählt. | |
Es ist ein Argument, das immer wiederkehrt: Ein gewählter Präsident hat | |
durch Wahlen entmachtet zu werden. Punkt. „Demokratie in Ägypten hat nur | |
einmal eine Chance und die ist jetzt“, ruft ein Mann im Vorbeigehen, „wenn | |
wir sie jetzt nicht verteidigen, dann wird es niemals Demokratie in Ägypten | |
geben.“ | |
Mursi und die Muslimbrüder, erklärt Ali Fargaly, das seien die Moderaten | |
unter den Islamisten. Wenn das Militär sie nun wie unter Husni Mubarak und | |
seinen Vorgängern wieder unterdrücke, dann würden sich viele enttäuscht den | |
radikalen Gruppen zuwenden. | |
Am Nachmittag setzen sich die Massen – es müssen Zehntausende sein – in | |
Bewegung zum Offiziersclub der Republikanischen Garde. Der beliebte | |
Fernsehkanal CBC wird am Abend ausgiebig Bilder der Proteste des Tages | |
zeigen: von den Mursi-Gegnern in Alexandria, von den Mursi-Gegnern in | |
Kairo. Darunter die Erklärung: „das ägyptische Volk“. Neben einer | |
Luftaufnahme des überfüllten Tahrirplatzes wird er ein Bild von einzelnen | |
Pro-Mursi-Demonstranten zeigen. Darunter die Erklärung: „Anhänger Mursis“. | |
## Flugzeuge schreiben ein Herz in den Himmel | |
Vor dem Sitz der Republikanischen Garde sammeln sich die Menschen. Dutzende | |
schwer bewaffnete Soldaten hinter einer Stacheldrahtbarrikade schützen das | |
Gebäude. Ein Salafist, der einen gelben Bauhelm mit einem aufgeklebten | |
Mursi-Foto auf dem Kopf trägt, erklärt, hier habe es am Freitag Tote | |
gegeben. Nicht von Islamisten von hinten erschossen, wie die Medien | |
behauptet hätten, sondern von den Soldaten. Kopfschuss von vorne. | |
Im Ägypten dieser Tage hat jede Geschichte zwei Versionen. Mal geht es der | |
Wirtschaft seit dem Amtsantritt Mursis besser, mal schlechter. Mal | |
unterstützt Amerika die Demonstranten auf dem Tahrirplatz, mal die | |
Islamisten in Nasr City. Mal wird jemandem von vorne in den Kopf | |
geschossen, mal in den Hinterkopf. Die Fakten sind dehnbar, die Fronten | |
verhärtet. Mit jedem Zwischenfall verfestigen sich die Vorbehalte gegenüber | |
dem anderen Lager. | |
Als am Abendhimmel über dem Quartier der Republikanischen Garde eine | |
Fliegerstaffel der Armee auftaucht, bricht ein Pfeifkonzert los. Dass die | |
Flieger, deren Kondensstreifen in den ägyptischen Nationalfarben eingefärbt | |
sind, ein gigantisches rot-weiß-schwarzes Herz in den Abendhimmel zeichnen, | |
stimmt hier niemanden mehr um. „Sisi, hau ab!“, rufen die Menschen im Chor. | |
Sie meinen Armeechef Abdel Fatah al-Sisi, der mit Postern und Sprechchören | |
auf dem Tahrirplatz gefeiert wird. Für Mursi-Anhänger verkörpert er den | |
politischen Feind. | |
In der Nacht stoßen Armee und Mursi-Anhänger vor der Republikanischen Garde | |
aufeinander. Mindestens 50 Menschen sterben. Die Armee spricht von | |
„bewaffneten Terroristen“, die im Morgengrauen versucht hätten, das Gebäu… | |
zu stürmen. Glaubt man der Muslimbruderschaft, dann haben Sicherheitskräfte | |
die Demonstration gewaltsam aufgelöst. Wie so oft hat auch diese Geschichte | |
ihre zwei Versionen. | |
8 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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