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# taz.de -- Prozess zu mutmaßlichem Rechtsterror: Was wollte „Heydrich“?
> Ein Elektriker aus der Oberpfalz soll einen Anschlag geplant haben, eine
> Waffe hatte er bereits. Böses will er damit aber nicht im Sinn gehabt
> haben.
Bild: Prozessbeginn: Der Angeklagte Fabian D. (l.) im Landgericht Nürnberg-Fü…
Nürnberg taz | Es ist wohl das, was man Ironie der Geschichte nennt. Einen
Tag vor dem 75. Jahrestag des Beginns der Nürnberger Prozesse wird im
selben Gebäudekomplex, in dem sich seinerzeit Göring, Keitel und Co. zu
verantworten hatten, Reinhard Heydrich der Prozess gemacht. Freilich nicht
dem echten. Der galt zwar durchaus als Kriegsverbrecher und einer der
wichtigsten Organisatoren des Holocausts. Vor Gericht gestellt werden
konnte er jedoch nicht mehr, da er im Juni 1942 in Prag den Folgen eines
Attentats tschechischer Widerstandskämpfer erlegen war.
In diesem Fall ist Heydrich nur ein besonders makaberer, wenn auch
aussagekräftiger Spitzname, den ein junger Mann aus der Oberpfalz für seine
Auftritte in rechtsextremen Chats gewählt hat. Und ihm legt die
Staatsanwaltschaft nun zur Last, er habe eine „schwere staatsgefährdende
Gewalttat“ geplant. Konkret: Er habe mit entsprechend umgebauten Waffen
einen [1][rechtsextremen Anschlag] auf eine Synagoge oder eine Moschee
begehen und dabei möglichst viele Menschen töten wollen.
Es ist kurz vor 9 Uhr am Donnerstag, als Fabian D., so der tatsächliche
Name des Angeklagten, den Gerichtssaal E.006 des Strafjustizzentrums
Nürnberg betritt. Sein Gesicht verbirgt er hinter einem blauen Aktenordner.
Auch nachdem Kameraleute und Fotografen den Saal verlassen haben, wird man
nicht viel von ihm sehen, er sitzt mit dem Rücken zu den Zuschauern, trägt
Brille und einen schwarzen Anzug. Das Sakko spannt etwas. Das blonde Haar
ist an den Seiten kurz rasiert.
D. soll sich vor allem in Chatgruppen im Internet herumgetrieben, mit
seinen Plänen geprahlt und um Tipps gebeten haben. So habe er sich nach
einem geeigneten „Ort der Andacht“ erkundigt. Aus Sicht der
Staatsanwaltschaft müssen damit jüdische oder muslimische Gebetshäuser
gemeint gewesen sein.
Die übelsten Ecken der rechten Terrorszene
Die entscheidende Frage nun, die es für die Staatsschutz-Kammer unter dem
Vorsitzenden Richter Bernd Zuber zu klären gilt: Wie ernst gemeint hat
Fabian D. seine Sprüche tatsächlich? Haben die Behörden hier im letzten
Moment einen Terroranschlag mit vielen Toten verhindert? Oder wollte sich
da nur einer im Netz aufspielen? Selbst ob Fabian D. am Ende tatsächlich
schon über eine funktionstüchtige Waffe verfügte, ist unklar.
So viel scheint bislang zumindest festzustehen: D. wohnte in einem
2000-Seelen-Dorf im Oberpfälzer Landkreis Cham, gleich an der tschechischen
Grenze. Dort lebte er im Keller seiner Eltern. Tagsüber arbeitete er als
Elektriker. So weit, so unauffällig. Doch die Anti-Terror-Ermittler
verdächtigten den Mann, kurz vor einem Terroranschlag zu stehen. Am 5.
Februar dieses Jahres erfolgte der Zugriff. D., damals 22 Jahre alt, wurde
im Elternhaus festgenommen. Auf Antrag der Bayerischen Zentralstelle zur
Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der
Generalstaatsanwaltschaft München wurde tags darauf ein Haftbefehl
erlassen, D. in Untersuchungshaft genommen.
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass es sich bei D. nicht um einen
einzelnen Wirrkopf handelt, der im stillen Kämmerchen etwas ausgeheckt hat,
sondern um einen Mann mit Verbindungen in die übelsten Ecken der rechten
Terrorszene. Die Feuerkrieg Division (FKD), eine international vernetzte
Gruppe, scheint zwar zahlenmäßig recht überschaubar zu sein, die von ihr
ausgehende Gefahr schätzen die Ermittler jedoch als sehr hoch ein. Es waren
die Chatgruppen dieser Rechtsextremen, auf denen sich Fabian D. in seiner
Freizeit herumtrieb.
Die FKD hängt einer zutiefst rassistischen Ideologie an, ins Visier hat sie
Muslime und Juden genommen, aber auch Homosexuelle oder Kommunisten. Sie
gilt als Abspaltung der „Atomwaffen Division“, die seit fünf Jahren in den
USA ihre verbrecherischen Ziele verfolgt. Dort ermordeten die Neonazis
bereits mehrere Menschen und planten Anschläge. Vor zwei, drei Jahren
expandierte die Gruppe auch ins Ausland.
## Eine Deko-AK-47
In Deutschland erhielten die Sicherheitsbehörden zum ersten Mal im Sommer
2018 konkrete Hinweise auf hiesige Mitglieder der „Atomwaffen Division“.
Der Chatgruppe der FKD, in der sich Fabian D. austauschte und wohl auch
weiter radikalisierte, sollen 30 bis 40 Mitglieder angehört haben,
überwiegend aus Europa.
Sowohl „Atomwaffen Division“ wie auch Feuerkrieg Division agieren
dezentral, folgen dem Prinzip des sogenannten führerlosen Widerstands – was
ihre Verfolgung natürlich noch erschwert. Ihre Mitglieder tauschen sich vor
allem in Chatforen aus. Hier soll sich der nun Angeklagte zu seinen
Anschlagsplänen geäußert haben.
Dass er sich auf einen Anschlag schon konkret vorbereitete, geht für die
Ermittler unter anderem daraus hervor, dass sich D. im Mai 2019 bei einem
Internethändler ein Kalaschnikow-Sturmgewehr, eine AK 47, als sogenannten
Deko-Nachbau bestellt hat.
Der Nachbau, so nimmt die Staatsanwaltschaft an, soll als Vorlage für den
Umbau zu einer funktionstüchtigen Waffe gedient haben. Hierzu beschaffte
sich D. auch einige originale Waffenteile, einschließlich eines
Leuchtpunktzielgerätes. Außerdem kaufte er beim einem Waffengeschäft in
Cham noch zwei Luftgewehre und drei Schreckschusswaffen. Sie hätten ihm zu
Übungszwecken gedient, so die Ermittler.
Bombenbau à la Netz
Über ein Archiv der Chatgruppe soll sich D. zudem Anleitungen zum Bombenbau
sowie Anschlagsvideos und rechtsextreme Schriftstücke heruntergeladen haben
wie die Manifeste verschiedener rechter Attentäter. Besonders intensiv muss
er sich mit dem [2][Anschlag in Halle] beschäftigt haben, bei dem es dem
Täter nicht gelang, eine Synagogentür zu überwinden. Entsprechend soll D.
sich eingehend mit Schließtechniken von Türen auseinandergesetzt haben.
Ja, sein Mandant werde sich zur Sache einlassen, kündigte Verteidiger
Christian Schulz an. Er gebe auch die ihm vorgeworfenen Taten zu, bloß habe
er niemals vorgehabt, einen Anschlag zu verüben oder auch nur anderen
Menschen Leid zuzufügen. „In diese Richtung sollte das, was der Herr D.
gemacht hat, niemals gehen.“
Die Kalaschnikow, so die Verteidigung, habe er sich beispielsweise nur
gekauft, um im Schützenverein zu schießen. Die Schreckschusspistolen und
Luftdruckgewehre habe er sich zugelegt, weil er „technikaffin“ sei. Und
auch aus den Äußerungen in den Chatforen dürfe man nicht ableiten, dass D.
irgendwelche bösen Pläne gehegt habe. Vielmehr hingen sie mit einer
Erkrankung zusammen, auf die man im Laufe des Verfahrens sicher noch zu
sprechen komme.
Um sich einen besseren Eindruck von D. machen zu können, hörte das Gericht
am Donnerstag zunächst Zeugen aus seinem Umfeld. Aber aus den Aussagen von
Familienmitglieder ergibt sich nur ein schemenhaftes Bild von dem Mann, der
so Ungeheuerliches geplant haben soll. Als „ganz normal“, „tierlieb“ und
„in der Pubertät ein bisschen aufsässig“, schildert ihn etwa seine Mutter,
als „netten Kerl“ die Oma. Doch nicht alles, was sie und die übrigen Zeugen
zu erzählen haben, entspricht dem Standardlebenslauf eines Jugendlichen auf
dem bayerischen Land.
Ein normaler, tierlieber „Mein Kampf“-Leser
Zum Beispiel dass er sich an die Adresse der Großeltern eine Ausgabe von
„Mein Kampf“ habe schicken lassen. Oder dass er sich von seinem Cousin im
Wald in Tarnkleidung und mit seiner Deko-Kalaschnikow im Anschlag hat
fotografieren lassen. Das Bild teilte er dann im Chat, das Gesicht mit
einem Totenkopf verdeckt. Überhaupt sei er zuletzt fast nur noch in
Militärklamotten unterwegs gewesen, er habe halt alle zwei Jahre einen
neuen Spleen gehabt.
Dem Cousin schickte er auch das Video, das der Attentäter von Christchurch
während des Massenmordes gedreht hatte. Und einmal zeigte er ihm ein „Video
von dieser komischen Atomwaffen Division“ – die seien „politisch
engagiert“. Und Heydrich, den Spitznamen hätten ihm ja eigentlich seine
Arbeitskollegen gegeben, vermutlich weil er damals so einen Seitenscheitel
getragen habe.
Und sonst: Der Fabian, der sei halt schon immer ein Eigenbrötler gewesen.
Sprechen tue er ja sowieso recht wenig. Er sei auch sehr schüchtern und
vermeide es, unter Leute zu gehen. Sein Zimmer habe er vermüllen lassen,
klagt seine Mutter. Und wenn sie dort nach dem Rechten habe sehen wollen,
sei sie von einer Überwachungskamera beobachtet worden, die er dort
ihretwegen installiert habe.
Ist Fabian D. also nur ein kleiner Spinner? Oder ein ernstlich psychisch
Erkrankter? Oder doch ein gefährlicher Terrorist? Um das herauszufinden,
hat Richter Zuber zunächst vier Verhandlungstage angesetzt.
19 Nov 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
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