# taz.de -- Prozess gegen KZ-Wachmann: Vermeintliche Entschuldigung | |
> Im Verfahren gegen einen Ex-Wachmann des KZ Stutthof plädiert dessen | |
> Verteidiger auf Freispruch. Der Angeklagte zeigt vor allem Selbstmitleid. | |
Bild: Der Angeklagte verdeckt sein Gesicht im Prozess mit einer Akte, er sitzt … | |
HAMBURG taz | Am Montagvormittag hatte Bruno D. vor dem Landgericht Hamburg | |
das letzte Wort. Die Staatsanwaltschaft hält dem ehemaligen SS-Wachmann | |
[1][Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen im KZ Stutthof] vor und fordert drei | |
Jahre Haft. Im Saal 300 entschuldigt er sich für die Verbrechen; will aber | |
erst durch den Prozess „das wahre Ausmaß der in den Lager verübten | |
„Grausamkeiten“ erfahren haben. Er selbst sei dort nicht freiwillig | |
gewesen. | |
Viele Nebenklageanwälte der rund 40 Überlebenden oder Hinterbliebenen haben | |
in ihren Plädoyers gewürdigt, dass der Beschuldigte nicht versucht hatte, | |
sich dem Verfahren durch medizinische Gutachten zu entziehen. Es sei | |
„anerkennenswert“, dass „Sie nicht auf dieses angebotene Trittbrett der | |
Verhandlungsunfähigkeit aufgesprungen sind“, so Rechtsanwältin Christine | |
Siegrot, die die Überlebenden David Ackermann und Abraham Koryski vertrat. | |
Sie erinnerte jedoch auch daran, dass der Angeklagte nur auf Nachfrage „in | |
dieser Verhandlung eine emotionale Betroffenheit hinsichtlich des | |
Schicksals der jüdischen Gefangen“ bejahte habe. „Eine emotionale | |
Betroffenheit war bei dieser Antwort nicht spürbar“, so Siegrot. Berührt | |
sei er nur wegen „seiner eigenen Biografie“ gewesen, dass ihn „jetzt die | |
erfolgreich verdrängte Vergangenheit“ eingeholt habe. | |
Zum Prozessauftakt hatte Bruno D. eingeräumt, dass er vom 9. August 1944 | |
bis zum 26. April 1945 Wachmann gewesen war. Weil er als Wehrmachtssoldat | |
nicht „frontverwendungsfähig“ war, sei er zum Wachdienst im Lager | |
abkommandiert worden. Da er damals [2][17 bzw. 18 Jahre alt war], fand die | |
Verhandlung vor der Jugendstrafkammer statt. | |
## „So habe ich mir mein Alter nicht vorgestellt“ | |
Bereits am dritten Verhandlungstag bekannte der Angeklagte, „wie leid es | |
mir tut, was den Menschen damals im KZ angetan wurde“. Fortan beklagte er | |
sein eigenes Schicksal: „Es tut mir auch leid, dass ich meinen Wehrdienst | |
an einem solchen Ort des Grauens ableisten musste.“ Die Bilder des Elends | |
und des Schreckens hätten ihn sein Leben lang verfolgt. „Jetzt wird alles | |
wieder aufgerüttelt“, beschwert er sich und klagte: „So habe ich mir mein | |
Alter nicht vorgestellt.“ | |
Diesen Satz griff Siegrot am 14. Juli auf. „Meine Mandanten haben all | |
dieses Morden nicht verdrängen können und wollen. Sie haben jeden Tag mit | |
ihrer Erinnerung gelebt.“ Erst durch die Erinnerungen ihres Mandanten | |
Ackermann fand das Massaker nahe Neustadt größer Beachtung im Prozess. 257 | |
Häftlinge aus dem KZ Stutthof wurden am 3. Mai 1945 von SS-Wachmännern und | |
Marinesoldaten bei der schleswig-holsteinischen Stadt umgebracht. Bruno D. | |
räumte ein, vor Ort gewesen zu sein und auch, dass „einige“ erschossen | |
wurden. In der Anklage werden diese Toten nicht berücksichtigt. | |
Auch ein weiterer Massenmord im Zusammenhang mit dem KZ Stutthof spielte im | |
Prozess keine Rolle: „Die Endverbrechen der SS im Prozess der Evakuierung | |
aus dem KZ Stutthof, am 25. und 27. April, nicht am 26., ins 14 Kilometer | |
entfernte Nickelswalde wurden auch nicht beachtet“ sagt die Historikerin | |
Brigitta Huhnke. Hier ermordeten die SS-Männer viele Frauen. Alleine für | |
eine einzige Nacht ist verbürgt, dass die Täter mindestens 40 Frauen | |
ermordeten. Manche Zeugen berichten von bis zu 70 ermordeten Frauen in | |
dieser Nacht. Ein Verfahren vor dem britischen Militärgericht 1946 wegen | |
dieser Massaker endete unter anderem mit drei Todesstrafen. | |
Obwohl die zugehörigen Akten laut Huhnke einfach zu finden seien und | |
umfangreiche wissenschaftliche Literatur zum Thema existiert, verweist die | |
Staatswanwaltschaft auf Gründe „verfahrensökonomischer“ Natur, wegen denen | |
das Verbrechen nicht in die Anklage habe mit aufgenommen werden können. | |
Eine Aufklärung hätte noch geraume Zeit in Anspruch genommen. | |
Am Montag forderte der Rechtsanwalt von Bruno D., Stefan Waterkamp, für | |
seinen Mandanten einen Freispruch. Aus damaliger Sicht sei der Wachdienst | |
kein Verbrechen gewesen, man könne seinen Mandanten nicht für die dort | |
verübten Morde mitverantwortlich machen. Für den Fall einer Verurteilung | |
plädierte er auf eine Bewährung. Am Donnerstag soll das Urteil erfolgen. | |
Hinweis der Redaktion: In einer ersten Fassung wurde beim Redigat die | |
Massaker in Neustadt und Nickelswalde zusammen gezogen. Wir haben diesen | |
Fehler korrigiert und entschuldigen uns bei Brigitta Huhnke sowie den Opfer | |
des Massakers und deren Angehörigen. | |
20 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Stutthof-Prozess-in-Hamburg/!5694017 | |
[2] /Stutthof-Prozess-in-Hamburg/!5694195 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
## TAGS | |
KZ Stutthof | |
NS-Verbrechen | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Holocaust | |
Gerichtsverfahren | |
KZ Stutthof | |
KZ Stutthof | |
KZ Stutthof | |
NS-Verbrechen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mildes Urteil für einen KZ-Wachmann: Furchtbare deutsche Langmut | |
Das Urteil gegen den Wächter des KZ Stutthof ist lächerlich. Und trotzdem | |
wichtig. Es erweitert die Verantwortung im NS-System. Doch es kommt zu | |
spät. | |
Stutthof-Prozess in Hamburg: „Strikter Gehorsam“ | |
Was war Bruno D. für ein Mensch, als er als 17-Jähriger im KZ Sutthof als | |
Wachmann arbeitete? Im Prozess versucht das ein Jugendpsychiater zu klären. | |
Stutthof-Prozess in Hamburg: Einer der letzten NS-Prozesse | |
Die Anklage beschuldigt Bruno D. der Beihilfe zum Mord in mindestens 5.230 | |
Fällen. Der Staatsanwalt fordert drei Jahre Jugendhaft. | |
NS-Morde in Konzentrationslagern: Auch Frauen unter den Tätern | |
Sie waren WegbereiterInnen des Massenmords. Trotzdem wurden | |
SchreibtischtäterInnen der NS-Zeit lange nicht strafrechtlich verfolgt. |