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# taz.de -- Stutthof-Prozess in Hamburg: „Strikter Gehorsam“
> Was war Bruno D. für ein Mensch, als er als 17-Jähriger im KZ Sutthof als
> Wachmann arbeitete? Im Prozess versucht das ein Jugendpsychiater zu
> klären.
Bild: Der ehemalige SS-Wachmann Bruno D. Ende im Gerichtssaal der Jugendstrafka…
Hamburg taz | „Auschwitz war ein Ort, an dem man nicht mitmachen durfte.“
Diesen Satz hat Anwalt Cornelius Nestler vor fünf Jahren im Verfahren gegen
den ehemaligen SS-Buchhalter Oskar Gröning vorgetragen.
Nestler war damals einer der Vertreter der Nebenkläger, Gröning wurde wegen
Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier
Jahren verurteilt. In dem Verfahren gegen Bruno D., den ehemaligen
SS-Wachmann im KZ Stutthof, ist Nestler erneut ein Vertreter der
Nebenkläger und hat seinen Satz aus dem Gröning-Verfahren nun erweitert:
„Die Frage ist, ob nicht auch Stutthof ein Ort war, wo man nicht mitmachen
konnte.“ Die Jugendstrafkammer am Hamburger Landgericht muss nun
beurteilen, ob es für Bruno D. im KZ Stutthof möglich gewesen wäre, nicht
mitzumachen, ob er sich von diesem Ort hätte entfernen können.
War der heute 93-Jährige vor 75 Jahren als damals 17-Jähriger also mental
in der Lage, sich an einen anderen Dienstort versetzen zu lassen? Zwei
Gutachter wurden hinzugezogen. Zwei, weil sich das Landgericht dem Leben
von Bruno D. von zwei Seiten nähern musste: dem als Jugendlichem und dem
als altem Mann.
D. wuchs unter dem Regiment seines Vaters auf einem abgeschiedenen
Bauernhof im polnischen Obersommerkau im Kreis Danzig auf, ohne Radio oder
Zeitung. Eine autoritäre Zeit, ein autoritäres Milieu. In vier Gesprächen
mit dem Jugendpsychiater Stefanos Hotamanidis erzählte D., dass sein Vater
zwar 1933 ehrenamtlicher Gemeindevorsteher gewesen sei, danach sei die
Familie jedoch aus der Mitte rausgedrängt worden, weil sie katholisch
waren.
## Geringes Selbstwertgefühl
Ab 1939 seien sie als „Polacken“ beschimpft worden und die Familie habe
sich abgeschottet. Das Prinzip des Vaters lautete: „Wenn du niemandem etwas
tust, tut dir kein anderer was.“ D. mied soziale Kontakte, Gespräche über
die politischen Verhältnisse wurden nicht geführt. Zur „Hitlerjugend“
wollten seine Eltern ihn nicht gehen lassen, er selbst wollte auch nicht,
so schilderte D. es jedenfalls dem Gutachter Hotamanidis. Aber kann dieses
„Nein“ von damals heute noch zugeordnet werden?
Hotamanidis blieb in seiner Beurteilung des jungen Bruno D. vorsichtig,
beschrieb ihn als Einzelgänger mit geringem Selbstwertgefühl, der zu
striktem Gehorsam erzogen wurde. „Bei schwacher Kommunikationsfähigkeit ist
man eher Beobachter als Mitwirkender.“ D. habe sich mit dem Wachdienst
abgefunden, darunter gelitten habe er nicht. Er habe das Leid der
Inhaftierten gesehen, „das Unrecht seines Tuns“ aber nicht. „Ich hatte
nicht den Eindruck, dass er sich damals überhaupt mit dieser Frage
beschäftigt hat“, sagte Hotamanidis.
Der zweite Gutachter, der Gerontopsychiater Bernd Meißnest, analysierte das
Erinnerungsvermögen des alt gewordenen Bruno D. und sagte aus, dass D.
Unangenehmes verdrängt haben könnte, um sich zu schützen. Das könnte
erklären, warum D., dessen Gedächtnis intakt sei, so viele
Erinnerungslücken aufweise. Der Beschuldigte könnte auch bewusst etwas
verheimlichen oder lügen.
Auch Hotamanidis hielt es für nicht unwahrscheinlich, dass D. sich über die
Jahrzehnte eine Erinnerung zurechtgelegt haben könnte, mit der er leben
könne – und an die er mittlerweile selbst glaube. Mit dieser Darstellung
stärkte Hotamanidis die Argumentation der Verteidigung. Der Verteidiger
führte allerdings auch an, dass sein Mandant im Korpsgeist gefangen war.
Ein Widerspruch zur Darstellung als Einzelgänger.
Ist Bruno D. also der Beihilfe zu 5.230 Morden schuldig? Das Urteil soll am
23. Juli gesprochen werden.
9 Jul 2020
## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
KZ Stutthof
NS-Straftäter
Schwerpunkt Nationalsozialismus
NS-Verbrechen
Hamburg
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