| # taz.de -- Pro & Contra S-Bahn Berlin: Macht Wettbewerb sie schneller? | |
| > Der rot-rot-grüne Senat beschließt die 8 Milliarden Euro schwere | |
| > Ausschreibung für zwei S-Bahnstrecken. Ist das nachhaltig? Ein Pro und | |
| > Contra. | |
| Bild: Hält hier bald ein anderer Anbieter auf der S-Bahn-Strecke? | |
| ## PRO | |
| Am [1][neuen Modell] für die S-Bahn führt kein Weg vorbei oder in diesem | |
| Fall: kein Gleis. Zu risikoreich? Bei einem 8-Milliarden-Deal nicht | |
| kalkulierbar? Mag sein. | |
| Das Land hat auch bislang keine S-Bahnen selbst gebaut, es hat sie auch | |
| nicht gewartet und durchs Land bewegt. Das hat ein staatliches Unternehmen | |
| gemacht, die S-Bahn GmbH als Tochter der Deutschen Bahn – mit großen und | |
| immer noch mit vielen kleinen Problemen. Wenn das nun private Unternehmen | |
| unter enger Kontrolle übernehmen, ist nicht erkennbar, was schlechter | |
| laufen könnte, aber viel Besserung in Sicht. | |
| Da sind natürlich all die Horrorgeschichten von der Privatisierung der | |
| Eisenbahn in England in den 80er Jahren, unter der die Fahrgäste zu leiden | |
| hatten. Aber für diesen Fall lässt sich sagen: Das war kein Fehler des | |
| Systems, sondern der fehlenden Vorgaben und laxer oder nicht gewollter | |
| Aufsicht und Eingriffsmöglichkeiten. | |
| In Berlin passiert beim zentralen Hebel des gesamten Systems genau das | |
| Gegenteil von Privatisierung und Kontrollverlust: Das Land holt sich | |
| vielmehr alle neuen S-Bahn-Fahrzeuge in sein Eigentum, lässt andere damit | |
| fahren und in landeseigenen Werkstätten reparieren. | |
| Wenn dann passiert, was Kritiker vorhersagen – schlechtere Leistungen, | |
| Verschleiß, Unpünktlichkeit –, kann das Land erstmals tun, was bisher | |
| mangels Alternative nicht ging: Verträge kündigen und eine neue Firma | |
| verpflichten, die landeseigenen Züge durchs Land zu fahren. Das ging nicht, | |
| weil nicht sofort ein anderer mit eigenen Zügen die der staatlichen, aber | |
| nicht immer zuverlässigen S-Bahn GmbH ersetzen konnte. | |
| Das neue Modell stellt sicher, dass nicht erneut wie 2009 ein | |
| [2][Monopolist den Betrieb fast lahmlegt.] Da ist es letztlich egal, wie | |
| viele Firmen sich Bau, Wartung und Betrieb teilen – entscheidend sind | |
| Verträge mit genauen Bedingungen, auch zu Personal und Bezahlung, und | |
| dauerhafter Kontrolle. Dann kann es immer noch passieren, dass mancher | |
| Mitarbeiter weniger verdient. Das wäre bedauerlich – aber kein Grund, ein | |
| Modell abzulehnen, das Millionen Fahrgäste verlässlicher als bisher durch | |
| die Stadt bewegt. Stefan Alberti | |
| ## Contra | |
| Friedrich August Hayek, Guru des Neoliberalismus, hätte der | |
| Verkehrssenatorin zugeprostet: Ausgerechnet eine rot-rot-grüne Koalition | |
| bringt die S-Bahn auf eine Linie mit seiner Vision eines allgegenwärtigen | |
| Marktes. Die Trauer um die Privatisierungen der neunziger Jahre scheint | |
| nicht in alle Winkel des Berliner Senats vorgedrungen zu sein. | |
| Jetzt soll ausgerechnet in einem zentralen Bereich der Daseinsvorsorge, dem | |
| ÖPNV, unternehmerischer Wettbewerb eine blühende Zukunft gewährleisten. Die | |
| geplante Anschaffung einer neuen Fahrzeugflotte durch das Land wird dabei | |
| lediglich als notwendiges Mittel verstanden, die S-Bahn zukünftig mehr denn | |
| je für private Profitinteressen zu öffnen. | |
| Man muss kein Marktfanatiker sein, um den Status quo der S-Bahn zu | |
| kritisieren. Aber es ist fahrlässig, aus Verspätungen, Pannen und | |
| steigenden Kosten den Schluss zu ziehen, zu der S-Bahn GmbH müssten sich | |
| bloß mehr privatwirtschaftlich rechnende Konkurrenten gesellen, um Milch | |
| und Honig zwischen West- und Ostkreuz fließen zu lassen. | |
| Vielmehr zeigt ein Chaos wie 2009, wie schädlich eine Profitorientierung | |
| für einen bedürfnisgerechten und sicheren ÖPNV generell ist. Und ja: Auch | |
| die desaströse Privatisierung der britischen Bahn unter Thatcher muss hier | |
| abschrecken. Statt zu diskutieren, wie ein vergesellschafteter | |
| Schienenverkehr sinnvoll gestaltet werden könnte, flüchtet man sich jedoch | |
| hinter vermeintliche Sachzwänge – um schließlich einmal nach mehr Markt zu | |
| rufen. | |
| Grünen wie Roten muss klar sein: Ein neuer Wettbewerb auf der Schiene wird | |
| bei aller gesetzlichen Abfederung vor allem auf dem Rücken der | |
| Beschäftigten ausgetragen werden – und auf Kosten von Wartung und | |
| Sicherheit. Auch eine Verteilung des Betriebs und der Wartung auf mehrere | |
| Unternehmen ist mit Funktionsweise und Zweck eines bereits integrierten | |
| S-Bahn-Netzes unvereinbar. Die notwendige Koordinierung zwischen den | |
| Betreibern bedeutet einen enormen und vermeidbaren Mehraufwand. | |
| Eins ist eine Zerschlagung zwecks Wettbewerb sicherlich nicht: ein | |
| sinnvoller Weg hin zu einem reibungslosen Bahnverkehr. Björn Brinkmann | |
| 12 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
| Björn Brinkmann | |
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