# taz.de -- Premiere an der Deutschen Oper Berlin: Christen unter sich | |
> David Alden inszeniert in Berlin Giacomo Meyerbeers „Die Hugenotten“. | |
> Dirigent Michele Mariotti spielt die Eleganz des Historiendramas heraus. | |
Bild: Juan Diego Flórez (l.) als Raoul von Nangis und Ante Jerkunica als sein … | |
Er ist wieder da, Giacomo Meyerbeer, der es in Wagners Deutschland immer | |
ein wenig schwer hat. Die Deutsche Oper will alle seine abschreckend | |
riesigen Meisterwerke neu produzieren und hat letztes Jahr mit „Vasco da | |
Gama“ begonnen, bisher besser bekannt unter dem irreführenden Namen der | |
postumen Überarbeitung „Die Afrikanerin“. | |
Vera Nemirova hatte für das ungekürzte Original einen weit ausschweifenden, | |
rauschaften Bilderreigen entwickelt, der die Form der „Grande Opéra“ in die | |
Sprache eines psychedelischen Films übersetzt. David Alden geht einen | |
anderen Weg. Er nimmt die vollen vier Stunden reiner Spieldauer der | |
„Hugenotten“ von 1836 zum Anlass, den Spielraum der handelnden Personen | |
immer weiter einzuengen und den Blick zu konzentrieren auf das Verhängnis | |
der Religion, an die zu glauben sie vorgeben. | |
Natürlich ist das innerchristliche Gemetzel der Bartolomäusnacht angesichts | |
der weltweiten, religiös verbrämten Kriege von heute furchterregend | |
aktuell. Aber so einfach macht es sich Alden nicht. Es gibt bei ihm keine | |
Dschihadisten, weil es 1572 auch keine gab. Auf noch eine Theaterpredigt | |
gegen den religiösen Fanatismus müssen wir diesen Abend verzichten. | |
Lediglich eine paar brennende Kreuze und Kapuzenmasken des Ku-Klux-Klan | |
schlagen eine optische Brücke zur Gegenwart. Sie bleibt Episode. | |
Die Kostüme von Constance Hoffman lokalisieren die Figuren in der | |
Entstehungszeit des Werkes, denn darum geht es in Aldens Regie. Sie | |
entschlüsselt das Werk in seinem historischen Kontext, um seine ästhetische | |
Konzeption in die Gegenwart zu überführen, die dort weit mehr Sprengkraft | |
entwickelt als es die bloß inhaltliche Vergleichbarkeit von Ereignissen und | |
Mentalitäten könnte. | |
## Maximale Fallhöhe einer Tragödie | |
Eugène Scribe, der Theaterprofi und Émile Deschamps, der Romantiker und | |
Goethe-Übersetzer, schrieben den Text und sorgten für die maximale Fallhöhe | |
einer Tragödie, die auf den verschlungenen Wegen einer Verwechslungskomödie | |
erreicht wird. Ein Liebespaar muss sich zwischen den Glaubensfronten | |
finden, ständig muss sich jemand verstecken, durchs Schlüsseloch blicken | |
und Intrigen belauschen. | |
Sie enden im Blutrausch der Bartolomäusnacht und schon bald nach dem | |
triumphalen Erfolg der Uraufführung hat man dem Werk immer und immer wieder | |
eine viel zu gefällige Oberflächlichkeit vorgeworfen, die weder dem | |
Schrecken der historischen Tatsachen noch der tragischen Leidenschaft des | |
Zentralpaares gerecht werde. Alden gelingt es, dieses Missverständnis | |
aufzulösen. | |
Seine Hugenotten sind Pop avant la lettre. Es geht nicht um Einfühlung und | |
Mitleid, es geht um Distanz und Kritik, die nur zu haben sind, wenn man | |
sich nicht in die Tiefe von Gefühlen versenkt, sondern in den Glanz der | |
großen, kommerziellen Show. Wir verstehen das heute besser als in der Zeit | |
der Romantik, und der Alleskönner Meyerbeer wusste sehr genau, wie er sein | |
Publikum fesseln konnte mit einer schier endlosen Nummernrevue von Tänzen, | |
Liedern, Stimmakrobatik und Riesenchören. Man möchte ständig jubeln vor | |
Begeisterung, zumal sich auch Michele Mariotti und das Orchester hinreißen | |
lassen von Meyerbeers Genie der Unterhaltung. | |
Sie spielen wunderbar leicht und elegant, und so stört es überhaupt nicht, | |
dass die Handlung doch sehr oft auf der Stelle tritt. Alden versucht nicht, | |
Meyerbeer mit Tempo und Spektakel womöglich noch zu übertrumpfen. Er lässt | |
sich Zeit, denn auch Meyerbeer ließ sich Zeit. Lustig sind die Hugenotten | |
nämlich nicht. | |
## Die Oberfläche selbst ist grausam | |
Sie formulieren einen sehr ernsten, sogar leidenschaftlichen Protest gegen | |
den gewaltsamen Irrsinn religiöser Sekten, wenn nicht sogar der Religion | |
überhaupt. Nur liegt das Grauen nicht unter der Oberfläche, die Oberfläche | |
selbst ist grausam. Alden hat das sehr gut verstanden, das macht seine | |
Regie zu einem wirklich großen Wurf. | |
Er nimmt sich selbst zurück. Sein Bühnenbildner Giles Cadle hat ihm die | |
Holzkonstruktion eines Dachstuhles gebaut. Sie hängt vier Akte lang an der | |
Decke. Zu Beginn, während das Orchester die letzten Takte von Meyerbeers | |
Variationen über den Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ spielt, wird | |
die große Glocke in das Holzgerüst hochgezogen, die am Ende die | |
Bartolomäusnacht einläuten wird. | |
Das ist der Rahmen, einfach, klar und immer gegenwärtig. Darunter nimmt es | |
Alden kammerspielartig genau mit der Zeichnung von Individuen. Eine Runde | |
gut gelaunter Herren schwatzt beim Festmahl über Frauen und Politik, eine | |
romantische Königin besingt die Natur und lässt sich von ihren Hofdamen | |
verwöhnen. Dann sitzt das Volk sonntags in der Kirche und freut sich am | |
freien Tag. | |
Das Leben könnte gut sein, doch jede dieser sorgfältig und detailverliebt | |
inszenierten Episoden zerbricht, weil jemand unbedingt seinen Glauben | |
verkünden muss. Alles wird unsinnig und verrückt bis zur Lächerlichkeit, | |
die mit den Mitteln der Komödie auf die Spitze getrieben wird. | |
## Absurde Schwertweih-Rituale | |
Die so sorgsam gezeichneten Individuen verlieren dabei ihre Konturen. Sie | |
verschwinden in Haufen von Körpern aus denen blutverschmierte Arme empor | |
zucken. Überlebensgroße Herrschaftspferde werden herein geschoben, mit | |
absurden Ritualen weihen gläubige Verschwörer ihre Schwerter, dann senkt | |
sich der hölzerne Dachstuhl herab. Alle sind darin gefangen, Gewehrsalven | |
knattern. | |
Die Frage nach Motiven und Zielen handelnder Personen stellt sich gar | |
nicht. Es gibt keine mehr. Es ist Religion. Das ist radikaler als alles, | |
was man sich als politisches Gegenwartstheater vorstellen mag. Radikaler | |
deswegen, weil man darüber nur lachen kann. Nicht fröhlich zwar, aber eben | |
doch lachen, und man kann es, weil durchweg großartig gesungen wird. | |
In den Hauptrollen sind Stars wie Juan Diego Flórez oder Olesya Golovneva | |
zu bewundern, für die Qualität dieser Produktion insgesamt spricht jedoch, | |
dass auch die Nebenrollen überragend besetzt sind. Die junge Amerikanerin | |
Irene Roberts wertet die Hosenrolle eines Pagen mit ihrer nahezu schwerelos | |
glänzenden Stimme auf zur Hauptattraktion am Hofe, wo Patrizia Ciofi mit | |
den Koloraturorgien einer beschwipsten Königin im Bade manchmal doch arg zu | |
kämpfen hat. | |
Dafür übertrifft Ante Jerkunica, der seit Jahren zum festen Ensemble der | |
Deutschen Oper gehört, sich selbst so sehr, dass man ihn kaum wiedererkennt | |
– nicht nur, weil er sich die Haare geschnitten hat. Er war noch nie | |
schlecht, aber jetzt ist er einfach unglaublich. Sein Bass bleibt selbst in | |
den absurden Tiefen, die ihm Meyerbeer zumutet, kräftig und und so | |
klangvoll wie in den Höhen, die er ebenfalls mühelos erreicht. Er spielt | |
einen treuherzigen, aber dumm gläubigen und mordlustigen Hugenotten so | |
überzeugend, dass man am Ende mit dieser eigentlich besonders abstoßend | |
grotesken Figur sogar ein wenig Mitleid empfindet. | |
14 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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