# taz.de -- Präsidentschaftswahlen in Argentinien: Rechtspopulist Milei klarer… | |
> Mit 56 Prozent der Stimmen gewinnt Politikneuling Javier Milei die | |
> Stichwahl in Argentinien. Regierungskandidat Massa räumt Niederlage ein. | |
Bild: Verkündet „das Ende des Niedergangs“ Argentiniens: Wahlsieger Javier… | |
BUENOS AIRES taz | Mit der Kettensäge in den Präsidentenpalast. | |
Argentiniens rechtspopulistischer Newcomer [1][Javier Milei] wird der neue | |
Präsident. Mit 55,7 Prozent der Stimmen hatte sich der selbst erklärte | |
Anarcho-Kapitalist am Sonntag überraschend deutlich bei der [2][Stichwahl | |
um das höchste Amt] durchgesetzt. Der Kandidat des Regierungsbündnisses | |
Unión por la Patria und Wirtschaftsminister, Sergio Massa, erhielt nur 44,3 | |
Prozent der Stimmen. | |
„Heute ist eine historische Nacht, heute beginnt der Wiederaufbau | |
Argentiniens“, begann Milei seine Rede vor seiner jubelnden Anhängerschaft. | |
In 35 Jahren werde Argentinien wieder eine Weltmacht sein. „Wir sind der | |
Demokratie, dem freien Handel und dem Frieden verpflichtet und werden mit | |
allen Nationen der freien Welt Hand in Hand arbeiten“, so Milei. Die Lage | |
in Argentinien sei jedoch kritisch, weshalb es keinen Platz für kleine | |
Schritte oder halbherzige Maßnahmen gebe. „Wenn wir die notwendigen | |
strukturellen Veränderungen nicht rasch in Angriff nehmen, steuern wir auf | |
die schlimmste Krise in unserer Geschichte zu“, so Milei. Konkrete | |
Maßnahmen und Reformen nannte er nicht. | |
Schon jetzt lebt fast die Hälfte der 46 Millionen Argentinier*innen in | |
Armut. Vor allem die galloppierende Inflation macht den Menschen zu | |
schaffen. Für das laufende Jahr wird mit einer Teuerungsrate von bis zu 180 | |
Prozent gerechnet. Fast im Tagesrhythmus zerbröselt die Kaufkraft der | |
Menschen, rutschen selbst immer mehr in Lohn und Brot stehende | |
Argentinier*innen in die Armut ab. | |
„Dies ist ein Triumph, der weniger Milei und dessen Eigenheiten und | |
Besonderheiten geschuldet ist, sondern vielmehr der Forderung nach Wandel“, | |
kommentiert sagt der Politologe und Meinungsforscher Lucas Romero das | |
Wahlergebnis. „Was an den Urnen zum Ausdruck kam, sind Überdruss, Müdigkeit | |
und Proteststimme der Mehrheit der Argentinier.“ | |
Ein Blick auf die 23 Provinzen und die Hauptstadt Buenos Aires zeigt, wie | |
umfassend der Triumph des 53-jährigen Milei ist. Nur in drei Provinzen | |
hatte Kontrahent Massa mehr Stimmen als Milei erhalten. In absoluten Zahlen | |
stimmten landesweit 14,5 Millionen Wahlberechtigte für Milei und 11,5 | |
Millionen für Massa. Die Wahlbeteiligung lag bei 76 Prozent. Im Vergleich | |
zur [3][ersten Runde] der Präsidentschaftswahl konnte Milei um rund 26 | |
Prozentpunkte zulegen, während Massa nur 7,5 Prozentpunkte hinzugewann. | |
„Die Vorstellung, dass der Staat eine Beute ist, die unter den Politikern | |
und ihren Freunden aufgeteilt wird, ist ab heute vorbei“, verkündete Milei | |
drohend am Wahlabend. Er wisse, dass es Leute gibt, die ihre Privilegien | |
behalten wollen. „Denen sage ich: alles innerhalb des Gesetzes, nichts | |
außerhalb davon.“ Die jetzige Regierung sei jedoch bis zum Ende ihres | |
Mandats und der Amtsübergabe am 10. Dezember für alles voll verantwortlich. | |
Damit reagierte er auf seinen Kontrahenten Massa, der zuvor seine | |
Niederlage eingeräumt hatte. „Es ist nicht das Resultat, das wir erwartet | |
haben“, erklärte Massa seiner enttäuschten Anhängerschaft. „Milei ist der | |
Präsident, den die Argentinier gewählt haben“, so Massa. Ab jetzt liege die | |
Verantwortung bei Milei, fügte er noch hinzu, um nur wenig später | |
anzukündigen, dass er eine Auszeit nehmen werde. | |
Ohne Milei zu gratulieren, versprach der amtierende Präsident [4][Alberto | |
Fernández] eine geordnete Übergabe der Amtsgeschäfte. „Ich bin | |
zuversichtlich, dass wir die Zusammenarbeit mit Javier Milei aufnehmen | |
können, um einen geordneten Übergang zu gewährleisten“, so Fernández, der | |
nicht nur auf eine Wiederwahl verzichtet, sondern sich auch völlig aus dem | |
Wahlkampf herausgehalten hatte. Kettensäge und Löwenmähne waren die | |
unverwechselbaren Attribute des 53-jährigen libertären | |
Wirtschaftswissenschaftlers im Wahlkampf. Milei setzt auf einen radikalen | |
Marktkapitalismus, in dem das Recht auf Privateigentum ein Naturrecht ist | |
und der staatliche Regulierungen als legalisierte Form von Diebstahl | |
ansieht. Mit der Kettensäge werde er den aufgeblähten Staat schleifen, so | |
sein Versprechen. Die derzeit 18 Ministerien sollen auf 8 reduziert werden. | |
Abschaffen will der Klimawandelleugner etwa das Umweltministerium, das | |
Ministerium für Kultur, für Wissenschaft oder das Ministerium für Frauen, | |
Gender und Diversität. | |
In einem neuen „Ministerium für Humankapital' sollen die Bereiche Bildung, | |
Gesundheit und Arbeit zusammengefasst werden. Das Außenministerium wird die | |
Wirtschaftswissenschaftlerin Diana Mondino übernehmen. Bar jeglicher | |
diplomatischen Erfahrungen ist sie bisher vor allem durch ihre stramm | |
neoliberale Haltung sowie ihre Nähe zu den USA und die kategorische | |
Ablehnung der Regierungen in Venezuela und Kuba aufgefallen. Dass | |
Argentinien nun trotz einer Einladung nicht dem Schwellenländerbündnis der | |
Brics-Staaten beitritt, gilt als sicher. | |
Wer den Schlüsselministerien Wirtschaft und Sicherheit vorstehen wird, ist | |
noch nicht bekannt. Möglich, dass Patricia Bullrich das | |
Sicherheitsministerium übernimmt. Die im ersten Wahlgang ausgeschiedene | |
Kandidatin war bereits Sicherheitsministerin des konservativen | |
Ex-Präsidenten Mauricio Macri. Der hatte unmittelbar nach dem Ausscheiden | |
seiner Kandidatin seine bedingungslose Unterstützung für Milei ankündigt | |
und sich aktiv in den Wahlkampf des libertären Ökonomen eingeklinkt. | |
Bullrichs Berufung könnte als Teil eines möglichen Deals zwischen Milei und | |
Macri erfolgen. Macri hat bereits mehrfach angekündigt, kein Amt zu | |
übernehmen. | |
Was Milei von seinen Vorhaben, wie etwa der Dollarisierung oder Abschaffung | |
der Zentralbank, politisch und parlamentarisch umsetzen kann, ist völlig | |
unklar. Für die Mehrzahl seiner Vorhaben braucht er die Zustimmung des | |
Kongresses, und für die Abschaffung des Peso und alleinige Einführung des | |
Dollar müsste gar die Verfassung geändert werden. Die schreibt eine eigene | |
nationale Währung vor. Auch als Argentinien in den 1990er Jahren den Peso | |
in einem festen Eins-zu-eins-Verhältnis an den Dollar gebunden hatte, blieb | |
die nationale Währung erhalten. | |
Von einer eigenen Kongressmehrheit ist der neue Präsident jedoch meilenweit | |
entfernt. Milei stellt nicht einmal die für eine Sitzung notwendige | |
Mindestanzahl an Abgeordneten und Senatsmandate. Der Präsident hat in | |
Argentinien viel Macht, aber er kann auch nicht alles per Dekret verordnen. | |
Entscheidend wird sein, wie sich die gemäßigt rechte Oppositionsallianz | |
„Juntos por el Cambio“ verhalten wird. Seit Mauricio Macri mit seiner | |
Partei PRO ohne jegliche Rücksprache zur Unterstützung von Milei aufgerufen | |
hatte, gilt der Zustand der Allianz als schwer zerrüttet. | |
Dass Milei nur einen Bruchteil der geschätzten 5.000 Staatsbediensteten | |
stellen kann, die er als Präsident braucht, um die entscheidenden Stellen | |
im Staatsapparat zu besetzen, könnte die Wogen allerdings schneller glätten | |
als erwartet. In den ökonomisch unsicheren Zeiten sind die Aussichten auf | |
feste Arbeitsstellen ein äußerst disziplinierender Faktor. | |
20 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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