# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Taiwan: Eine klare Botschaft an Peking | |
> Die China-kritische Präsidentin Tsai Ing-Wen gewinnt deutlich. Vor allem | |
> Jüngere haben für sie gestimmt – auch wegen der Lage in Hongkong. | |
Bild: Bleibt im Amt: die Wahlsiegerin Tsai Ing-Wen | |
TAIPEI taz | Um neun Uhr Abends Ortszeit zeigt sich Präsidentin Tsai | |
Ing-Wen vor der internationalen Presse. Auch wenn die Stimmenauszählung zu | |
diesem Zeitpunkt noch in vollem Gange ist, steht der deutliche Wahlsieg der | |
63-Jährige bereits fest. Dennoch wählt die progressive Politikerin eine | |
bedachten Ton. In der Sache jedoch wird sie deutlich: „Das Wahlergebnis | |
zeigt, dass wir Taiwaner das Prinzip ‚Ein Land zwei Systeme‘ von Chinas | |
Staatschef Xi Jinping ablehnen. Ich hoffe, dass die Pekinger Regierung | |
versteht, dass wir nicht vor Drohungen und Einschüchterungen einknicken | |
werden“. | |
Nur einen Steinwurf entfernt wartet der 31-jährige Ingenieur Willy Liu auf | |
die erste Rede der Präsidentin, die bei der Wahl am Samstag mit rund 57 | |
Prozent in ihre zweite Legislaturperiode gehievt wurde. „Das Ergebnis ist | |
ein Sieg für die gesamte Republik. Wir wollen eine Person an unserer | |
Spitze, die der Welt deutlich macht, dass wir ein eigenes Land sind – und | |
kein Teil von China“, sagt er. | |
Vor dem Hauptgebäude [1][oppositionellen Kuomintang-Partei], dessen | |
Spitzenkandidat Han Kuo-Yu mit 38 Prozent Stimmenanteil eine klare | |
Niederlage eingefahren hat, ist die Stimmung bedrückt. „Auch wenn ich Han | |
unterstützt habe, kann ich die Entscheidung dennoch akzeptieren. Taiwan ist | |
eben ein demokratisches Land“, sagt der 30-jährige Wei Shen, ein junger | |
Mann mit langer Rocker-Mähne, Baseball-Cap und Dosenbier. | |
Er habe den Konservativen gewählt, weil der kein konventioneller Politiker | |
aus dem Establishments sei, sondern ein Mann des Volkes. Wei Shen | |
bezeichnet sich als Teil der Arbeiterklasse, der mit seinem Job an einer | |
Supermarktkasse nur gerade so über die Runden kommt: Die Löhne in Taiwan | |
seien niedrig, die Mieten hingegen am Steigen. | |
## Peking Paroli bieten | |
Statt der wirtschaftlichen Probleme hat sich jedoch bei den | |
Präsidentschaftswahlen die Beziehung zur Volksrepublik China die Agenda | |
dominiert. Präsidentin Tsai steht für einen selbstbewussten Kurs, der | |
Pekings Einschüchterungen Paroli bietet. Die Kuomintang hingegen möchte die | |
Beziehungen mit dem großen Nachbarn verbessern – hauptsächlich der | |
Wirtschaft wegen. | |
Bei früheren Wahlen hat Peking nicht selten mit militärischen oder | |
rhetorischen Drohungen versucht, die Taiwaner einzuschüchtern. In diesem | |
Jahr ist die Kommunistische Partei auffallend stumm. Kritiker behaupten | |
jedoch, dass die Beeinflussung im Internet-Zeitalter lediglich subtiler | |
abläuft. | |
„Falschinformationen zu lancieren ist billiger, als militärische Angriffe | |
zu starten. Das ist eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung“, sagt der 70-jährige | |
Su Tzen-Ping. Der einstige Journalist sitzt in den Büroräumlichkeiten des | |
Fact Checking Center Taiwans, eine Handvoll Mitarbeiter verfolgen an diesem | |
Abend vor Lunchboxen und Bubble-Tea genauestens die sozialen Netzwerke. Die | |
Aufgabe der NGO es, gegen die grassierenden Fake News anzugehen. | |
Seit Donnerstag kursiert die angebliche Nachricht, dass ein kürzlich in | |
China ausgebrochenes Virus sich nun auch in Taiwan ausgebreitet habe – eine | |
bösartige Falschmeldung, die anscheinend die Bevölkerung vom Urnengang | |
abhalten soll. Herr Su ist sich sicher, dass Teile solcher | |
Manipulationsversuche vom großen Nachbarstaat stammen: „China nutzt die | |
Demokratie in Taiwan für ihre Zwecke aus, um die Meinung der Bevölkerung | |
hier zu beeinflussen“. | |
Gelungen ist das offensichtlich nicht. Abseits der Resultate ist die | |
Präsidentschaftswahl in Taiwan zu allererst ein Sieg der Demokratie: Über | |
zwei Drittel aller Wahlberechtigten haben an diesem Samstag ihre Stimme | |
abgegeben. | |
Vor der Ximen-Grundschule im Stadtzentrum Taipeis haben sich bereits am | |
Samstagmorgen lange Warteschlangen gebildet. Für die meisten Taiwaner hält | |
die diesjährige Wahl eine ganz besondere Bedeutung. „Wenn ich diesmal nicht | |
wähle, kann ich in der Zukunft vielleicht überhaupt nicht mehr wählen“, | |
sagt die 37-jährige Kauffrau Tsai Wan-Jen, die sich als Wechselwählerin | |
beschreibt. Am meisten ist sie über den wachsenden politischen Druck aus | |
Peking besorgt. | |
## Der Pragmatismus der Älteren | |
Dennoch wollen vor allem viele ältere Taiwaner eine pragmatische Annäherung | |
mit China. „Irgendwie müssen wir doch miteinander kooperieren“, sagt etwa | |
der der 50-jährige Taxifahrer Chen Shih-Hong. Seitdem die linksgerichtete | |
Präsidentin Tsai Ing-Wen im Amt ist, kämen kaum mehr Touristen aus | |
Festlandchina nach Taipei. Für Herrn Chen bedeutet dies ein um ein Drittel | |
geringeres Einkommen und längere Arbeitstage, um über die Runden zu kommen. | |
Deshalb stimmt er für den Kuomintang-Kandidaten Han. | |
Auch dies ist ein ironischer Wink des Schicksals: In den 1940ern kämpfte | |
die Kuomintang gegen die Rote Armee um die Vorherrschaft der Volksrepublik. | |
Nach der schmachvollen Niederlage floh dessen General Chiang Kai-Shek nach | |
Taiwan, wo er die als Taiwan bekannte „Republik China“ auf die Insel Taiwan | |
transplantierte. 70 Jahre später scheinen sich die einst verfeindeten | |
Fraktionen näher als je zuvor. | |
Die gesellschaftlichen Risse in Taiwan sind eine Generationenfrage: Die | |
meisten Älteren betonen die kulturellen und geschichtlichen Gemeinsamkeiten | |
zu China. „Wir und China sind das gleiche Volk. Wir sollten die Harmonie | |
wahren und uns nicht gegenseitig provozieren“, sagt etwa ein älterer Herr | |
bei der letzten Kuomintang-Wahlveranstaltung in Taipei. | |
## Sorgenvoller Blick nach Hongkong | |
Für die 37-jährige Mode-Designerin Aurora Lee jedoch ist das autokratisch | |
regierte Nachbarland reines Ausland, eine gemeinsame Verbindung spüre sie | |
nicht. „[2][Die blutigen Proteste in Hongkong] waren für uns ein | |
Schlüsselmoment. Wir mussten uns entscheiden, auf welcher Seite wir | |
stehen“, sagt sie. Taiwan dürfe sich niemals in Abhängigkeit Chinas | |
begeben, sonst würde es das das gleiche Schicksal ereilen wie die einstige | |
britische Kolonie Hongkong. | |
Das glaubt auch ein komplett in schwarz vermummter Aktivist aus Hongkong, | |
der anlässlich der Wahl nach Taipei gereist ist. „Heute Hongkong, morgen | |
Taiwan“ steht auf dem weißen Banner, welches er am Freitagabend bei der | |
finalen Wahlveranstaltung von Präsidentin Tsai vor sich trägt. „Wie auch | |
immer das Ergebnis ausfällt, die Taiwaner können frei wählen, was sie | |
wollen – im Gegensatz zu uns in Hongkong“, sagt er. Spontan bildet sich | |
eine Menschentraube aus Passanten, die im Takt jubelnde Solidaritätschöre | |
in den Nachthimmel Taipeis ausruft. | |
Doch sowohl für Hongkong als auch Taiwan werden die angespannten | |
Beziehungen zu China weiter ungemütlich. „Ich glaube, dass der Druck aus | |
Peking künftig stärker wird“, sagt die frisch gewählte Präsidentin Tsai | |
Ing-Wen am Wahlabend: „Ich mahne jedoch die Regierung in Peking dazu auf, | |
den demokratischen Willen der Taiwaner zu respektieren“. | |
11 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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