# taz.de -- Politikerin über Umgang mit Bettlern: „Mehr Sozialrechte für EU… | |
> Die Grüne Mareike Engels ist dagegen, in der Hamburger Innenstadt das | |
> Betteln im Sitzen zu unterbinden. Helfen würde, das Sozialsystem zu | |
> öffnen. | |
Bild: Wir von der Polizei nicht mehr geduldet: sitzender Bettler in der Hamburg… | |
taz: Frau Engels, in Hamburgs Innenstadt geht die Polizei seit einigen | |
Wochen rigider gegen Bettler vor. Findet das die Zustimmung der Grünen? | |
Mareike Engels: Uns ist wichtig, dass in der Innenstadt auch Obdachlose | |
ihren sicheren Platz finden können. Da spielen natürlich auch Polizei und | |
Ordnungsdienste eine Rolle, wenn Bettler sich nicht an Regeln halten, etwa | |
belästigen oder anpöbeln. Aber reines Betteln ist nicht verboten. Es ist | |
schwer auszuhalten, Armut und Elend zu sehen. Aber das gehört zur Realität | |
unserer Stadt und sollte nicht generell ordnungsrechtlich belangt werden. | |
Die Polizei [1][toleriert Betteln im Liegen oder Sitzen] nicht mehr. Finden | |
Sie das richtig? | |
Die Grenze muss sein, wenn andere Menschen wirklich gestört werden. Und | |
zwar nicht, dass der Anblick stört, sondern weil sie tatsächlich | |
beeinträchtigt werden. Dann muss eingegriffen werden, und zwar angemessen | |
und sensibel. Aber dass beim Betteln sich hingesetzt wird, finde ich jetzt | |
nicht so das Problem. | |
Sie schrieben auf Facebook: „Nicht die Regeln sind verschärft worden, aber | |
ihre Auslegung durch die Polizei.“ Haben Sie denn eine Erklärung dafür, | |
wieso das jetzt passiert? | |
Wir haben rund um den Hauptbahnhof eine Zunahme von Personen, die [2][stark | |
in soziales Elend gestürzt] sind. Neben Obdachlosen gehören dazu auch | |
Suchtkranke. Hier treffen verschiedene Schwierigkeiten auf engem Raum | |
zusammen. Und dann ist der Hauptbahnhof der meistgenutzte Bahnhof nach | |
Paris in Europa. Es ist extrem voll. | |
Es gibt Dichtestress? | |
Genau. Dass es zu Nutzungskonflikten kommt, liegt nahe. Und dass die | |
Polizei eine Rolle spielt, um die Sicherheit aller zu gewährleisten, ist | |
nicht das Problem. Aber die Innenstadt muss für die Schwächsten unserer | |
Gesellschaft ein sicherer Ort sein. | |
Hat sich die Lage wegen der Pandemie verschärft? | |
Die zunehmende Verelendung sah man schon vor der Pandemie. Aber sie war ein | |
Katalysator, weil viele Hilfeprozesse abbrachen und Menschen nicht so gut | |
geschützt waren und arbeitslos und obdachlos wurden. Hinzu kommt, das es | |
Obdachlose aus EU-Ländern gibt, die keine sozialrechtlichen Ansprüche | |
haben. Sehen die die Rückkehr ins Heimatland nicht als Perspektive, dann | |
haben wir für sie hier vor Ort im Grunde nur niedrigschwellige Hilfen. Und | |
damit ist keine Überwindung von Obdachlosigkeit möglich. | |
Man kann nicht gut helfen? | |
Auch hier finden Sozialarbeiter*innen immer wieder Lösungen. Aber es | |
ist extrem schwierig. Die Betroffenen haben keinen Anspruch auf öffentliche | |
Unterbringung, auf Sozialleistungen und Kosten der Unterkunft. | |
Sie sagen, die „Law-and-Order -Fraktion“ beutet diese Zuspitzung der | |
Probleme aus. Was meinen Sie damit? | |
Die Äußerungen aus dem rechten Spektrum, laute Rufe nach restriktiven | |
Maßnahmen. Da hat Hamburg ja eine Geschichte, Stichwort Schill. | |
Sie sagen, mühsamer wäre die Suche nach Lösung. Dafür bräuchten wir | |
wirksamere, soziale Hilfen und einen Ansatz zur Konflikt-Regulierung, der | |
mit allen Betroffenen arbeitet. Haben Sie dafür eine Idee? | |
Das eine sprach ich schon an. Wenn wir nicht sozialrechtlich die Ansprüche | |
für EU-Ausländer erweitern, dann werden wir das Ziel, Obdachlosigkeit bis | |
2030 zu überwinden, nur sehr schwer erreichen. Wenn überhaupt. Denn wir | |
brauchen für jeden einzelnen Obdachlosen eine Lösung. Wenn, wie die Zählung | |
von 2018 ergab, tatsächlich 70 Prozent nur begrenzt anspruchsberechtigt | |
sind, dann brauchen wir andere sozialrechtliche Lösungen. Und zwar auf | |
Bundesebene. | |
Startet Hamburg eine Initiative, das im Bund zu ändern? | |
Nein. Da gibt es zwischen den Parteien auch im Bund keinen Konsens. Viele | |
glauben, dass das eine Sog-Wirkung entfaltet. Aber wenn Menschen wirklich | |
hier bei uns auf der Straße ihren Lebensmittelpunkt haben, dann brauchen | |
sie eine Chance, ins Sozialrecht zu kommen. Das könnte für den deutschen | |
Staat sogar günstiger werden. | |
Es gibt ja in Hamburg ein ‚[3][Housing First']-Projekt. Wie läuft das denn? | |
Das gibt es ja noch nicht so lange. Aber da höre ich richtig gute Berichte. | |
Wir bieten dort Menschen, die lange obdachlos waren und für die der Weg | |
über eine öffentliche Unterkunft nichts war, die Chance, von der Straße in | |
die eigene Wohnung zu kommen. Unabhängig davon, was sie sonst für | |
Schwierigkeiten hatten. Auch, wenn es erst mal mit 30 Plätzen eine kleine | |
Zahl ist, lässt sich das ausbauen. | |
Wann entscheidet sich das? | |
Es wird gerade erprobt, wie das Housing-First-Konzept im hiesigen | |
Wohnungsmarkt und Hilfesystem gut integrierbar ist und ob es noch | |
Anpassungsbedarf in der Konzeption gibt. Ich habe keine Zweifel, dass | |
Housing First auch in Hamburg ein Erfolg wird. Und auch, dass wir dann | |
zügig weitere Kapazitäten schaffen. | |
Das [4][Winternotprogramm] ist gerade beendet und es durften 110 kranke | |
Obdachlose dort bleiben. Nach welchen Kriterien wurde das entschieden? | |
Hieran zeigt sich, dass es diese Verelendung gibt. Es ist nicht mehr so wie | |
früher, wo das Winternot-Programm Ende März geschlossen werden konnte. Die | |
Gruppe hat sich verändert. Es sind viele Kranke, viele Ältere, viele | |
Pflegebedürftige. Das ist dramatisch. Es zeigt auch, wie sehr [5][die | |
Wohnungsnot zugenommen] hat. | |
Brauchen wir eine Pflegestation für Obdachlose? | |
Die Bahnhofsmission hat gerade eine Notpflegestation eröffnet und die Stadt | |
hat ein Angebot und wird noch weitere schaffen. | |
Brauchen wir ein ganzjähriges Notprogramm? | |
Mit dem Pik As und dem Frauenzimmer haben wir ja ein ganzjähriges | |
Notprogramm. Wir sollten aber fernab ritualisierter Debatten rund ums | |
Winternotprogramm darüber reden, ob es veränderte oder andere | |
Unterkunftsangebote braucht. | |
Es gab Samstag [6][eine Demo gegen das Bettelverbot]. Gibt es in der | |
Koalition Gespräche über die Praxis? | |
Was alle eint, ist der Wunsch, die sozialen Probleme zu lösen. Und dann | |
gibt es einfach unterschiedliche Rollen und unterschiedliche Aufgaben. | |
17 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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