# taz.de -- Poledance als Tanzsportart: Vom Rotlicht zum Leistungssport | |
> Mittlerweile gilt Poledance als anerkannte Tanzsportart. Die Hamburgerin | |
> Nele Sehrt bringt anderen das Fliegen an der Stange bei. | |
Bild: Wider die Schwerkraft: Die Hamburgerin Nele Sehrt hat den Sport in Deutsc… | |
„Jetzt ist mir aber schwindelig“, sagt Nele Sehrt. Sie hängt kopfüber an | |
einer der silbern glänzenden Stangen, die alle paar Meter versetzt im Raum | |
am Boden und an der Decke verankert sind. Gerade ist sie geflogen, wie es | |
im Poledance heißt, hat sich also ein paar Mal um die Stange gedreht, ohne | |
den Boden zu berühren. Auch nach 25 Jahren, so lange betreibt Sehrt schon | |
Tanzsport, lässt sich der Gleichgewichtssinn anscheinend nicht ganz | |
überlisten. Ihre Kurs-Teilnehmer*innen sollen die Figur, die sie gerade | |
vorgeführt hat, nun nachmachen, sollen das Gefühl bekommen, zu fliegen. | |
In der Hamburger Süderstraße, inmitten eines Industriegebiets und direkt | |
hinter einem Imbiss, befindet sich das Poledance-Studio Soultide, in dem | |
Sehrt als Trainerin arbeitet. Die 46-Jährige war die bundesweit erste | |
Pole-Trainerin und Ausbilderin, hat den Sport in Deutschland maßgeblich | |
mitgeprägt. | |
Das Studio befindet sich im Keller, es ist ein langer Raum mit weißen | |
Wänden. Die Lichter sind gedämmt, die vordere Wand ist verspiegelt. Hinten | |
kann man sich in einer kleinen Lounge mit Kissen aufhalten. In einem Regal | |
dazwischen liegen Yogamatten, frischer Tee ist in einer Kanne, daneben | |
Desinfizierungsspray, um die Stangen zwischendurch zu reinigen, da sie | |
durch den Schweiß sonst zu rutschig wären. | |
So sehr es hier im Studio auch nach Sport aussieht, draußen bringen viele | |
den Tanz um die Stange noch immer mit dem Rotlichtmilieu in Verbindung. | |
Tatsächlich hat Poledance dort auch seinen Ursprung: Zuerst tanzten | |
leichtbekleidete Frauen in Nachtclubs an der Stange lasziv vor einem vor | |
allem männlichen Publikum. „Aber es gibt grundlegende Unterschiede zwischen | |
Poledance und Striptease“, sagt Sehrt. Der Striptease an der Stange | |
beschreibt das langsame, durchdachte und erotische Entkleiden – die | |
Tänzerin steht im Mittelpunkt und die Stange ist ein Nebenprodukt, ein Teil | |
der Kulisse: Es wird um sie herum, auf dem Boden stehend, getanzt. „Mit | |
Akrobatik hat das wenig zu tun“, sagt Sehrt. | |
Poledance, so wie Sehrt ihn vermittelt, hat sich im Laufe der Zeit von | |
seinem [1][Rotlicht]-Ursprung emanzipiert. „Der Trend, sexy Bewegungen in | |
Sportkursen anzubieten, entstand in den 1990ern in den USA mit dem Strip | |
Aerobic“, sagt Sehrt. „Es ging dabei darum, verführerische Bewegungen, die | |
beim Striptease abgeguckt wurden, mit typischen Schrittabfolgen des Aerobic | |
zu verbinden.“ Es gab damals aber keine fundierte Ausbildung. Diejenigen, | |
die den Tanz an der Stange tatsächlich als Tanzsport unterrichten, taten | |
das meist ohne theoretisches Wissen aus der Praxis heraus in Clubs, Garagen | |
oder Zuhause. | |
Bald entstand daraus [2][Poledance als eigene Tanzsportart], die dann auch | |
in Deutschland ihre ersten Anhänger*innen fand. „Es war aber schwierig, | |
in Fitnessstudios einen Raum für Workshops und Ausbildungen anzumieten“, | |
sagt Sehrt. Poledance galt den Betreiber*innen als verrucht und | |
schmuddelig, erinnert sich Sehrt. | |
Heute nehmen fünf Frauen und ein Mann an Sehrts Kurs teil. Sie sitzen auf | |
ihren Yogamatten und schauen Sehrt zu. Jenny ist 24 und trainiert schon | |
seit zwei Jahren Poledance im Soultide-Studio. Auch sie wurde schon auf die | |
Verbindung von Rotlicht und Poledance angesprochen, vor allem, weil das | |
Studio nicht weit entfernt vom bekannten Hamburger Straßenstrich liegt, in | |
der Süderstraße nahe den Elbbrücken. „Manchmal machen Menschen dumme | |
Kommentare, weil es ja in der Süderstraße ist“, sagt Jenny. „Ich antworte | |
dann immer: Dieser Sport könnte nicht weiter davon entfernt sein.“ | |
Die Teilnehmer*innen machen sich bereit, gleich kopfüber an den Stangen | |
zu hängen. „Wir befinden uns in einem Intermediate Kurs, also werden wir | |
heute Kombinationen aus Figuren über Kopf üben“, erklärt Sehrt. Damit das | |
gelingt, tragen die Teilnehmer*innen kurze Sportklamotten – der direkte | |
Kontakt der nackten Haut mit der Stange ist wichtig: Eine nicht zu | |
trockene, aber auch nicht zu feuchte Haut bildet die beste | |
Reibungsvoraussetzung, den sogenannten Grip. | |
„Es braucht unterschiedliche Kontaktpunkte der Haut mit der Stange, damit | |
nicht alles aus purer Muskelkraft erreicht werden muss“, sagt Sehrt. | |
Kopfüber an der Stange hängend zeigt sie den Teilnehmenden, welche Stellen | |
frei von Stoff sein sollen, damit man beim Drehen um die Stange nicht immer | |
weiter herunterrutscht. Je besser der Kontakt zur Stange beherrscht wird, | |
desto beherrschter drehen sich die Tänzer*innen um die Stange. Wer sich | |
ganz eng um die Stange dreht, dreht sich am schnellsten. Das sorgt dafür, | |
dass die Tänzer*innen fliegen können – oder es zumindest so aussieht. | |
Sehrt hat nach ihrem Abi in Göttingen eine Ausbildung zur Tanzpädagogin in | |
Hamburg gemacht, bevor sie ab 2002 in Bremen Psychologie studierte. Heute | |
arbeitet sie auch als Sexualtherapeutin. 1997 machte sie selbst das erste | |
Mal Poledance und begann schnell, Kurse anzubieten – für Trainer*innen | |
in Deutschland, Österreich und der Schweiz. | |
Die Kurs-Teilnehmer*innen Nicole und Kevin versuchen nun, die von Sehrt | |
vorgeführte Figur zu üben. Dass die Übung nicht einfach ist, sah Nicole | |
schon, als Sehrt die Figur vorführte – Nicole ist schon länger im | |
Poledance. „Mein Mann hat mir vor sechs Jahren eine Session geschenkt. Es | |
war erschreckend schwierig und das hat mich gereizt weiterzumachen“, | |
erzählt sie. Es sei schließlich ein anspruchsvoller Sport – er vereine | |
Kraft, Flexibilität und Eleganz im Kampf gegen die Erdanziehungskräfte. | |
Darunter leiden allerdings Kniekehlen, Fußrücken, Schienbeine und die | |
inneren Oberschenkel. Quetschungen durch den Kontakt von Haut und Stange | |
führen zu blauen Flecken und Blutergüssen. | |
In Nicoles Umfeld wissen nicht alle, dass sie diesen Sport betreibt. Und | |
Kevin ist gerade 30 geworden, wurde von einer Freundin zu einer Probestunde | |
überredet und kommt mittlerweile regelmäßig. Er hat immer wieder mit | |
Vorurteilen zu kämpfen: „Manche finden es immer wieder erstaunlich, dass | |
ich das als Mann mache.“ | |
Poledance differenziert sich immer mehr aus – es reicht von Freestyle bis | |
zur [3][Kunst-Performance]. Während Poledance sich aber zunehmend als | |
ernstzunehmende Sportart etabliert und es sogar die Forderung gibt, es möge | |
doch [4][olympische Disziplin] werden, gibt es gleichzeitig eine | |
Rückbesinnung auf die Ursprünge im Rotlicht. Denn 20 Jahre nach den | |
Anfängen in Deutschland wird es im Exotic Style wieder sexy. Eine gute | |
Entwicklung, findet Sehrt. „Viele Pole-Trainer*innen haben sich von der | |
Anfangszeit und vom Milieu abgegrenzt“, sagt sie. „Es wäre aber schön, den | |
Ursprüngen Anerkennung zu geben, weil es weltweit Table Dancerinnen waren, | |
die erstmalig begannen, Pole Dance zu unterrichten.“ | |
8 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Lena Pinto | |
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