| # taz.de -- Philosoph über Eigentumsrechte: „Die Natur gehört nicht dem Men… | |
| > Der Philosoph Tilo Wesche fordert, der Natur Eigentumsrechte an sich | |
| > selbst zuzusprechen. Die Folge: Wenn Unternehmen sie nutzen, müssten sie | |
| > zahlen. | |
| Bild: Das Prinzip „Abholzen für die Unternehmensziele“: Der Tagebau Hambac… | |
| taz: Herr Wesche, was halten Sie als Philosoph, der sich mit Eigentum | |
| beschäftigt, von der Enteignung von Wohnungskonzernen? Würden Sie das gut | |
| finden, oder würden Sie doch am Eigentum festhalten? | |
| Tilo Wesche: Das schließt sich ja nicht aus. Unter Eigentum wird | |
| bedauerlicherweise durchgehend nur Privateigentum verstanden. Aber zum | |
| Eigentum gehört auch gemeinschaftliches und öffentliches Eigentum, das wir | |
| ja in unseren Rechtsordnungen kennen. Wenn wir von Enteignung von | |
| Immobiliengroßkonzernen sprechen, dann sprechen wir hier von der | |
| Überführung des Privateigentums in diese andere Eigentumsformen. | |
| Das bedeutet, man kommt um das Eigentum nicht herum. Dabei glauben manche | |
| Linke ja, Eigentum sei die Ursache alles Bösen. | |
| Es ist bedauerlicherweise so, dass gesellschaftliche Konflikte selten als | |
| Eigentumskonflikte betrachtet werden. Sie sind zunächst als solche nicht | |
| sichtbar, darum ist es wichtig, dass man sie als Eigentumskonflikte | |
| erkennbar macht. Das ist genau das, was Karl Marx gemacht hatte, der die | |
| Konflikte zwischen Kapital und Arbeit so beschrieben hat und der auch auf | |
| eine bestimmte Form des Eigentums hinaus will. Er spricht an verschiedenen | |
| Stellen vom „wahrhaft menschlichen“, vom „sozialen“, vom „individuell… | |
| Eigentum, das vom Privateigentum unterschieden ist. Wenn Sie von einer | |
| linker Position sprechen, würde ich sagen, das ist, wenn man von Marx aus | |
| kommt, immer auch eine Eigentumsposition. | |
| Sie sagen, die Natur müsse Eigentumsrechte haben. Wie kamen Sie auf die | |
| Idee? | |
| Es gibt diesen Fall des [1][Whanganui River] in Neuseeland, das war ein | |
| Rechtsstreit zwischen den Maori und der Regierung. Der Kompromiss war zu | |
| sagen: Okay, die Maori haben recht, dass der Fluss nicht Eigentum von | |
| Menschen ist – die Maori haben das damit begründet, dass ihre Ahnen in dem | |
| Fluss leben würden. Die Regierung hat wiederum Recht bekommen damit, dass | |
| sie sagt, es kann kein Fluss, kein Territorium außerhalb einer | |
| Eigentumsordnung liegen. Der Kompromiss war, dass man sagt, dem Fluss | |
| werden die gleichen Eigentumsrechte übertragen, die auch die | |
| Anwohner:innen dieses Flusses haben. | |
| Aber an was soll der Fluss Rechte haben? Am Wasser? An den Fischen? | |
| Wichtig ist, dass der Rechtsträger immer ein Ökosystem ist, ein | |
| Zusammenhang von verschiedenen Entitäten, die in diesem Zusammenwirken | |
| überhaupt erst ein lebendiges Stück Natur erlauben. Ich würde sagen, der | |
| Fluss besitzt Eigentumsrechte an all diesen Elementen, aus denen er | |
| besteht. | |
| Die Idee klingt aber doch sonderbar. | |
| Mir ist sehr wichtig, dass ich an eine bestehende Rechtspraxis anknüpfe. | |
| Die Rechte der Natur sind keine Traumtänzerei, es ist weltweit eine sich | |
| zunehmend etablierende Rechtspraxis. Und ich habe versucht, diesen Gedanken | |
| in unsere säkulare Rechtsordnung zu übersetzen. Ich habe zu zeigen | |
| versucht, dass sich diese Rechte der Natur aus unseren | |
| Eigentumsvorstellungen selbst herleiten. Sie müssen nicht erst aus Ländern | |
| des Globalen Südens importiert werden. Und da würde ich sagen: Schauen wir | |
| uns geltende Eigentumsvorstellungen bei uns genauer an. Denn bestehende | |
| Eigentumsrechte sind eine Hauptursache der globalen Ökologiekrise. | |
| Stromkonzernen wie RWE gehören große Gebiete, und sie dürfen Wälder für den | |
| Kohleabbau abholzen, so viel sie wollen. | |
| In Konflikten zwischen Ökonomie und Ökologie setzten sich häufig | |
| Eigentumsrechte durch, dafür gibt es unzählige Beispiele. Genau diesen | |
| Punkt versuche ich aufzugreifen. Wenn Klimaschutz und Umweltschutz weniger | |
| zählen als Eigentumsschutz, dann liegt es doch nahe, sich diesen starken | |
| Eigentumsschutz für Nachhaltigkeitsanliegen zunutze zu machen. Und dann | |
| muss man schauen, was ist eigentlich die Grundlage, auf der unsere | |
| Eigentumsvorstellungen beruhen. | |
| Und, worauf beruhen sie? | |
| Sie beruhen in der Regel auf dem Gedanken, dass, wer etwas erzeugt, auch | |
| Eigentümer:in dieser Erzeugnisse ist. | |
| Na ja, als Porsche-Arbeiter habe ich auch keinen Porsche. | |
| Nein, aber das ist ja das Problem. Sie reden ja auch von einem gerechten | |
| Lohn, oder bei unbezahlter Pflegearbeit, die insbesondere von Frauen | |
| verrichtet wird, heißt es, ihnen steht eigentlich etwas zu. Und warum? Weil | |
| sie zur Wertschöpfung beitragen. Aus dem Beitrag zur Wertschöpfung | |
| entstehen Ansprüche. Dass ist das gleiche Argument, wenn wir zum Beispiel | |
| Erbengesellschaften kritisieren, weil Erbschaften wie jegliches | |
| Kapitaleinkommen leistungslose Gewinne sind, und das ist ungerecht. | |
| Das wäre dann die Forderung, dass sich Eigentum rechtfertigen müsste. Aber | |
| in der gesellschaftlichen Realität rechtfertigt sich ja keiner. | |
| Die Vorstellung, dass sich Eigentumsrechte aus den Erträgen der Arbeit | |
| ergeben, ist unglaublich weit verbreitet. Sie finden sie in der | |
| katholischen Soziallehre, in sozialdemokratischen Vorstellungen von | |
| Chancengleichheit, im libertären Gedanken, dass sich Leistung lohnen müsse. | |
| Sie können sich auch konkrete Eigentumsrechte anschauen. Das Patentrecht | |
| zum Beispiel leitet sich daraus ab, dass man etwas geschaffen hat. Also so | |
| ganz jenseits unserer Eigentumsordnung ist es dann doch nicht. | |
| Und wie ist die Natur an der Wertschöpfung beteiligt? | |
| Die bestehenden Eigentumsrechte erlauben, mit Naturgütern nach Belieben | |
| umzugehen wie mit allen anderen Sachen. Sie erlauben, so zu tun, als ob die | |
| Natur niemandem gehörte und wir sie uns einfach aneignen könnten. Sie tun | |
| so, als ob die Natur keinen Wert besitzen würde, erst durch die Bearbeitung | |
| bekämen Naturgüter einen Wert. Und das ist falsch, wie wir an den | |
| Ökosystemdienstleistungen sehen. | |
| Was ist das? | |
| Das sind die Beiträge, die durch Naturgüter geleistet werden, für unsere | |
| menschliche Wertschöpfung. Das ist das Gedeihen von Pflanzen, das Reinigen | |
| von Wasser durch Böden, das ist der Transport von Feuchtigkeit … | |
| Sie meinen nicht nur Sachen wie Kohle, also Bodenschätze, sondern | |
| natürliche Prozesse, die benutzt werden. | |
| Das ist ein sehr verbreitetes Anliegen in der Ökologiebewegung, | |
| anzuerkennen, dass die Natur etwas beiträgt, das Menschen nicht geschaffen | |
| haben, aber trotzdem nutzen. | |
| Und was passiert, wenn die Natur Eigentumsrechte hat? | |
| Wenn Menschen Naturgüter nutzen, nutzen sie fremdes Eigentum, das der Natur | |
| gehört, und fremdes Eigentum verpflichtet dazu, dass man es sorgfältig | |
| behandelt. Es verpflichtet dazu, etwas nachhaltig zu nutzen. | |
| Aber das schreiben sich ja alle auf die Fahnen. | |
| Da haben Sie vollkommen recht, das ist so ein Feigenblatt geworden, das | |
| sich jedes Unternehmen in die Firmenpolitik reinschreibt, und es bedeutet | |
| letztendlich nichts. Deswegen sollte man genau schauen, was | |
| [2][Nachhaltigkeit] bedeutet. Das bedeutet erst mal, dass es um den Erhalt | |
| eines Ökosystems geht. Dann ist aber auch wichtig: Wenn wir fremdes | |
| Eigentum nutzen, kann der Eigentümer auch eine Gegenleistung erwarten. | |
| Jetzt wird’ s interessant. | |
| Daran scheitern ja auch viele Ökologieprojekte, weil sich immer die Frage | |
| stellt, wer soll das bezahlen. Und da würde ich sagen, wenn die Natur | |
| Eigentumsrechte hat und Menschen Naturgüter nutzen, kann ihnen auch eine | |
| Gebühr für die Naturnutzung abverlangt werden. Weil sie die Natur nutzen, | |
| müssten Unternehmen auch zahlen. Die Natur bekommt dann einen Preis, und | |
| dieser Preis muss reinvestiert werden, um die sozioökologische | |
| Transformation finanzieren zu können. | |
| Ließe sich das durch die Eigentumsrechte der Natur beschleunigen? | |
| Der Vorteil von Rechten ist, dass sie durchgesetzt werden können, auch | |
| gegen Großunternehmen. In Ecuador führten die Rechte der Natur dazu, dass | |
| ein milliardenschwerer, internationaler Bergbaukonzern über Nacht | |
| [3][gezwungen wurde], den Bergbau in einem Nebelwald einzustellen, und zwar | |
| ohne Entschädigung. | |
| Und das könnte RWE dann genauso gehen. | |
| Beim [4][Hambacher Forst] verlief die Geschichte ja so, dass er von | |
| Umweltschützer:innen besetzt wurde, um das Unternehmen daran zu | |
| hindern, ihn für die Kohleförderung abzuforsten. Das Unternehmen hat sich | |
| auf seine Eigentumsrechte berufen und gesagt, wir dürfen mit dem Wald | |
| machen, was wir wollen. Das Eigentumsrecht befugte das Unternehmen auch, | |
| die Polizei aufzufordern, das Gelände zu räumen. | |
| Wenn die Natur Eigentumsrechte hätte, liefe das anders? | |
| Wenn man die Sache von den Rechten der Natur aus betrachten würde, zeigt | |
| sich die Lage genau umgekehrt, dass nämlich das Unternehmen RWE die | |
| Eigentumsrechte der Natur verletzt hat. Und die Aktivist:innen schützen | |
| dieses Eigentum der Natur stellvertretend, indem sie diesen Wald vor | |
| Abholzung schützen und den Abbau von Kohle verhindern, weil dadurch die | |
| Speicherfähigkeiten der Natur geschützt werden. | |
| Sie gehen mit dem Eigentum da an die heilige Kuh das Kapitalismus ran. | |
| Wenn ich eins in dieser Zeit gelernt habe, dann: Man kann das Eigentum nur | |
| mit den eigenen Waffen schlagen. Es hilft nichts zu fordern, das Eigentum | |
| abzuschaffen. Es hilft nichts, an den bestehenden Eigentumsrechten | |
| Reparaturen vorzunehmen. Da muss eine grundlegende Veränderung stattfinden. | |
| Den Gedanken, dass die Natur nicht dem Menschen gehört, finden Sie in | |
| vielen Kulturen. Und genau diesen Gedanken versuche ich in unsere | |
| gegenwärtigen Eigentumsgesellschaften zu übersetzen. | |
| 11 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Festival-an-der-Akademie-der-Kuenste/!5950147 | |
| [2] /Nachhaltigkeit/!t5009818 | |
| [3] /Die-Natur-hat-Rechte/!5923733 | |
| [4] /Schwerpunkt-Hambacher-Forst/!t5013292 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Wiese | |
| ## TAGS | |
| Eigentum | |
| Natur | |
| Neues Recht | |
| Rechtsstaat | |
| Philosophie | |
| Bodenschätze | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Natur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kupfermine auf indigenem Land: Bodenschätze in heiliger Erde | |
| Indigene kämpfen in Arizona gegen eine Kupfermine auf einer religiösen | |
| Stätte. Das Metall wird vor allem für die Energiewende benötigt. | |
| Rechte der Natur in Spanien: Das Mar Menor wehrt sich | |
| Die spanische Lagune wurde zur Rechtsperson erklärt und kann Verschmutzer | |
| dadurch verklagen. Teresa Vicente hat dafür gekämpft. | |
| Die Natur hat Rechte: Wenn das Wattenmeer uns verklagt | |
| Einzelne Ökosysteme sind in Ecuador, Neuseeland und Spanien als juristische | |
| Person anerkannt. Für Deutschland liegen Optionen auf dem Tisch. |