# taz.de -- Persönliche Erfahrungen mit der Polizei: Kein kollektiver Pranger | |
> Unser Autor kennt Rassismus und Polizeigewalt gut. Warum er trotzdem | |
> nicht den kompletten Berufsstand verdammen will, erklärt er hier. | |
Bild: Genua 2001: Die Polizei und der von ihr erschossene Demonstrant Carlo Giu… | |
Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debattenreihe der taz, | |
ausgelöst durch die Kolumne [1][„All cops are berufsunfähig“]. Als | |
pluralistisches Haus verschweigen wir diese Kontroverse um die Arbeit der | |
Polizei und unsere unterschiedlichen Blickwinkel auf diese nicht. Es werden | |
weitere, konträre Texte folgen. Die Beiträge lesen Sie auf unserer | |
Webseite: [2][taz.de/kolumnendebatte]. | |
Im August 1999 nahm ich als Aktivist am Antirassistischen Grenzcamp im | |
sächsischen Zittau teil. Wir wollten ein Zeichen setzen gegen die | |
Flüchtlingspolitik in der Grenzregion zu Polen und Tschechien. Die | |
Grenzzäune gab es damals noch. Wer als Flüchtling versuchte, die Neiße zu | |
überqueren, wurde verhaftet, in Lager gesteckt und abgeschoben. „Kein | |
Mensch ist illegal“, lautete unser Protestslogan. | |
Zwei Freunde aus meiner Gruppe hatten sich bei einem Verkehrsunfall | |
verletzt. Ich wollte sie zum Krankenhaus fahren. Doch an einer Sperre hielt | |
ein Polizist mich an. „Lassen Sie uns durch, es handelt sich um einen | |
medizinischen Notfall“, rief ich ihm zu. Die Antwort des Polizisten: „Von | |
einem Fidschi lass ich mir gar nichts sagen.“ Ich fühlte mich in diesem | |
Moment wütend und hilflos zugleich. Erst als ein zweiter Beamter dazukam, | |
durfte ich durch. | |
Eine andere Szene, diesmal im westlichen Teil der Republik, in Göttingen. | |
Die [3][Neonazis] marschierten auf, und die Polizei schaute zu. Als wir uns | |
jedoch zur Gegendemo versammelten, blockierten uns die Einsatzkräfte. Auch | |
ich habe da aus vollem Hals „F** the police“ gebrüllt. | |
Und als der Student Carlo Guiliani bei den Protesten gegen den G8-Gipfel | |
2001 in Genua von einem Carabiniere erschossen wurde und Polizeieinheiten | |
in der darauffolgenden Nacht eine Schule stürmten, in der wir | |
Aktivist_innen unser Medienzentrum hatten, brüllte auch ich wütend: | |
„Assassini!“ – Mörder. Wie alle, die dabei waren, forderte ich eine | |
Bestrafung der beteiligten Polizisten und ihrer Einsatzleiter. | |
## Diskriminierendes Denken gibt es überall | |
Doch ich habe auch andere Erfahrungen gemacht. Als Lokalreporter hatte ich | |
2001 über einen Neonazi-Aufmarsch zu berichten. Nach dem Aufmarsch sah ich | |
mich plötzlich von einer Gruppe Neonazis umzingelt. Einer schlug mir mit | |
der Faust seitlich an den Kopf. Eine Polizistin, die das gesehen hatte, | |
eilte sofort herbei und stellte sich dazwischen. Sie hatte sich selbst in | |
Gefahr gebracht, denn Verstärkung rückte erst kurze Zeit später an. Wäre | |
sie nicht gewesen – ich wäre nicht nur mit einem blauen Auge davongekommen. | |
Rassismus und Polizeigewalt – ich habe das miterlebt. Dennoch halte ich es | |
für falsch, einen kompletten Berufsstand an den Pranger zu stellen. Denn | |
dann müsste man das mit so ziemlich allen Berufsgruppen tun, nicht zuletzt | |
Journalisten. Wie oft schreiben Zeitungen verächtlich über ganze | |
Personengruppen? Es ist eine Binse: Vorurteile, Rassismus und | |
diskriminierendes Denken gibt es überall. | |
Den Spruch „Tsching, Tschang, Tschung – Chinesen sind nicht dumm“ habe ich | |
mir erst neulich in einer Sauna wieder anhören müssen. War ganz sicher | |
nicht böse gemeint, allenfalls als schlechter Scherz, über den ich dann mit | |
gekünsteltem Schmunzeln versuchte hinwegzusehen. Unangenehmer fand ich, wie | |
ich vor einigen Jahren in einem schmucken Dorf im Allgäu von den Anwohnern | |
misstrauisch beäugt wurde. | |
Ich machte einen Abendspaziergang durch die Nachbarschaft, weil mir die | |
verzierten Häuser so gefielen. An der Zahl der Herbergen zu urteilen, | |
müssten sie Touristen gewohnt sein. Doch offenbar nicht ausländisch | |
aussehende. Mit ihren Blicken gaben sie mir sichtlich zu verstehen: Fremde | |
wie ich sind nicht erwünscht. | |
Selbst im eigenen Umfeld bin ich vor Erwartungen im Zusammenhang mit meiner | |
Herkunft nicht gefeit: Unsolidarisches Verhalten wurde mir vorgeworfen, | |
weil ich die Kolumne „All cops are berufsunfähig“ von Hengameh | |
Yaghoobifarah als „unsäglich“ und „schlimm“ bezeichnete. Dabei sei ich… | |
auch PoC (Person of Colour). | |
## Bemühen um Sensibilisierung | |
Manchmal echauffiere ich mich über Rassismus im Alltag, meistens sehe ich | |
darüber hinweg, weil ich es als müßig empfinde, mich über jeden Satz | |
aufzuregen, der mich auf mein Aussehen oder meine Herkunft reduziert. So | |
erlebe ich Rassismus: selten lustig, fast immer nervig, manchmal | |
verletzend. | |
Trotzdem schätze ich mich einigermaßen glücklich, in einem Staat zu leben, | |
in dem es zivilgesellschaftliche und institutionelle Möglichkeiten gibt, | |
gegen Diskriminierung vorzugehen. In einigen Bereichen, etwa in den | |
Chefetagen, wünschte ich mir mehr Diversität. Aber um Sensibilisierung | |
bemüht man sich vielerorts. Auch bei der Polizei. | |
Der rot-rot-grüne Senat in Berlin hat erst vergangene Woche ein neues | |
Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Macht ein Betroffener glaubhaft, | |
dass er von einer staatlichen Stelle diskriminiert wird, liegt es am Staat, | |
das Gegenteil zu beweisen. Dieses Gesetz wird einem nicht per se davor | |
schützen, nicht doch auf einen rassistischen Polizisten zu stoßen. Doch es | |
gibt einem das Gefühl, dass man den Behörden bei Rassismus nicht hilflos | |
ausgesetzt ist. | |
Ich empfinde die Polizei hierzulande nicht weniger, aber auch nicht mehr | |
rassistisch als andere Berufsgruppen. Deswegen kollektiv alle an den | |
Pranger stellen? Damit wäre niemandem geholfen. Das ist auch meine | |
Erfahrung. | |
Felix Lee ist Redakteur für Wirtschaft und Umwelt. Bis 2019 war er acht | |
Jahre China-Korrespondent der taz. Dort erlebte er mit, wie chinesische | |
Polizisten gegen Menschen vorgingen, nur weil sie zur muslimischen | |
Minderheit der Uiguren gehörten. Rechtliche Mittel gegen diese | |
Polizeiwillkür hatten die Betroffenen keine. | |
27 Jun 2020 | |
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Felix Lee | |
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