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# taz.de -- Polizei und sexualisierte Gewalt: Vom Kavaliersdelikt zur Straftat
> Bei sexueller und häuslicher Gewalt hat die Polizei dazu gelernt. In der
> Regel treffen Betroffene auf sensibilisierte Beamte und Beamtinnen.
Bild: Protest am 7. Oktober 1989 in Ostberlin
Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debattenreihe der taz,
ausgelöst durch die Kolumne [1][„All cops are berufsunfähig“]. Als
pluralistisches Haus verschweigen wir diese Kontroverse um die Arbeit der
Polizei und unsere unterschiedlichen Blickwinkel auf diese nicht. Es werden
weitere, konträre Texte folgen. Die Beiträge lesen Sie auf unserer
Webseite: [2][taz.de/kolumnendebatte].
Wer in der DDR gelebt und nicht in jedem Fall den gesellschaftlichen Normen
entsprochen hat, weiß, was Polizeigewalt bedeutet. Im Herbst 1989 bin ich
vor prügelnden Polizisten geflohen, habe mich in einem Häusereingang
versteckt und gehofft, dass sie mich nicht finden und abführen. So wie
viele andere, die gegen das DDR-System demonstrierten. Ich musste mir von
Polizisten bei Einfach-mal-so-Kontrollen zwischen die Beine greifen lassen.
Und ich wurde, als ich eine Vergewaltigung anzeigen wollte, beinahe ein
zweites Mal Opfer von sexueller Gewalt – durch einen Polizisten.
All das ist 30 Jahre her, die Volkspolizei gibt es nicht mehr, Gefahr
gebannt. Aber auch die Polizei in der Bundesrepublik ist eine andere als
vor 30 Jahren. Nehmen wir allein ihren Umgang mit sexualisierter und
häuslicher Gewalt. Was früher als „Bagatelldelikt“, „Ruhestörung“ und
„Familienstreit“ galt, wird heute streng verfolgt. Heute genügt ein Anruf
aus der Nachbarschaft, dass „der schon wieder seine Frau verprügelt“ – u…
die Polizei ist da. Wer heute eine Vergewaltigung anzeigt, trifft meist auf
empathische (weibliche) Beamte.
Mittlerweile gibt es Kriminalistinnen, die sich ausschließlich um „sexuelle
Gewaltstraftaten im sozialen Nahbereich“ kümmern. Einige von ihnen habe ich
kennen gelernt, als ich 2017 ein Buch über Partnerschaftsgewalt geschrieben
habe. Ich habe Beamte „auf Streife“ begleitet und gesehen, wie
deeskalierend, sachlich und kontrolliert sie agieren (können).
Ich hatte und habe mit Polizisten zu tun, die sogenannte
Kinderschänderringe ausheben. Die stundenlang Videos sichten, in denen
Kinder vergewaltigt und misshandelt werden. Die Beamten schauen sich das
an, um weiteren Tätern auf die Spur zu kommen – und sind nach wenigen
Wochen verstörte Menschen, die ohne psychologische Hilfe nur schwer durch
ihren Alltag kommen.
Vor einigen Jahren noch war das anders, damals hatte sich – bis auf die
Frauenbewegung und marginalisierte Betroffenengruppen – kaum jemand um
sexuelle und Partnerschaftsgewalt, um Kindesmissbrauch und Sexismus
gekümmert. Die Gesellschaft hat diese Themen weitgehend ignoriert – bis es
nicht mehr ging.
## Es hat sich viel getan, auch bei der Polizei
Seit aber in der Gesellschaft öffentlich darüber debattiert wird, hat sich
wirklich viel getan – auch bei der Polizei. Trotzdem kann es auch heute
immer mal wieder vorkommen, dass Beamte mit Betroffenen nicht in jedem Fall
zufriedenstellend umgehen. Angesichts der über Jahrhunderte hinweg
tradierten Haltungen und Reflexe, Frauen abzuwerten, ist das nicht so
erstaunlich. Da ist die Polizei auch nur ein Teil der Gesellschaft.
Der Wandel in der Haltung gegenüber sexueller und Partnerschaftsgewalt
kommt auch aus den Reihen der Polizei selbst. Engagierte Kriminalbeamtinnen
haben jahrzehntelang ihre Kollegen über Gewalt, Misshandlung und Missbrauch
aufgeklärt, sie haben versucht zu sensibilisieren und Umgangsnormen bei
Einsätzen und Anzeigen von Opfern zu schaffen. Mit einigem Erfolg: Seit
2002, seit dem Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes, ist sexuelle und
häusliche Gewalt ein eigener Lehrstoff in der Polizeiausbildung.
Bei rassistischer Gewalt hat die Polizei offenbar Nachholbedarf. Eine
breite öffentliche Debatte darum beginnt gerade erst.
Meine These: In einigen Jahren hat die Polizei dafür ebenso Sensibilität
und Regeln entwickelt wie bei sexualisierter Gewalt.
PS: Übrigens hat mich ein anderer Polizist vor der zweiten Vergewaltigung,
der ich auf der Wache entgegenblickte, „befreit“. Auch damals schon waren
nicht alle Polizisten gleich.
Simone Schmollack ist seit März 2020 Ressortleiterin der taz-Regie. Bis
2017 war sie Genderredakteurin.
28 Jun 2020
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## AUTOREN
Simone Schmollack
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Schwerpunkt Debatte über Kolumne in der taz
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Sexualisierte Gewalt
Polizei
Kindesmissbrauch
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