# taz.de -- Das Verhältnis der Linken zur Polizei: Antifa, weil die Polizei ni… | |
> In den 80er Jahren entsprangen die antifaschistischen Aktionen nicht den | |
> Hörsälen oder der Critical-Whiteness-Lektüre. Es ging um handgreifliche | |
> Probleme. | |
Bild: Die Probleme waren realer und handgreiflicher Natur: Punk und Polizist in… | |
Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debattenreihe der taz, | |
ausgelöst durch die Kolumne [1][„All cops are berufsunfähig“]. Als | |
pluralistisches Haus verschweigen wir diese Kontroverse um die Arbeit der | |
Polizei und unsere unterschiedlichen Blickwinkel auf diese nicht. Es werden | |
weitere, konträre Texte folgen. Die Beiträge lesen Sie auf unserer | |
Webseite: [2][taz.de/kolumnendebatte]. | |
Am 25. Mai wurde George Floyd in den USA von einem Polizisten getötet. In | |
Deutschland nahmen am 6. Juni Zehntausende Menschen an Protesten gegen | |
rassistische Polizeigewalt in den USA teil, trotz Corona. Der Backlash in | |
den USA beunruhigt auch hier viele. Trump hatte zuletzt gar „die Antifa“ zu | |
seinem Hauptfeind ausgerufen. In diesen Kontext hinein platzierte Hengameh | |
Yaghoobifarah ihre [3][taz-Kolumne], in der sie sich Polizisten auf die | |
Mülldeponie wünschte. Ausdrücklich übertrug sie zudem die Situation in den | |
USA auf die in Deutschland. Gerade auch Letzteres scheint dem Autor dieser | |
Zeilen wenig sinnvoll. | |
„Ihr lieben Polizisten in der BRD / Ich will euch mal was sagen – hört mal | |
alle her / Ihr seid moderne Nazis, das steht für uns fest / Kommt, lasst | |
uns doch in Ruhe, ihr seid schlimmer als die Pest.“ Anfang der 1980er | |
[4][sang das die Hamburger Punkband Slime]. „Polizei SA SS“. Das Punklied | |
war vielleicht musikalisch gebrochen, aber doch keineswegs nur satirisch | |
gemeint. Der vielfach gecoverte Slime-Song „Wir wollen keine | |
Bullenschweine“ wurde erst 30 Jahre später, 2011, auf den Index gesetzt. | |
Der Schöpfer des Songs war 16, als er die kräftigen Zeilen schrieb. Der | |
Hintergrund: das harte Vorgehen der Polizei bei Anti-AKW-Demos sowie die | |
angenommenen Morde an inhaftierten RAF-Mitgliedern in Stuttgart-Stammheim. | |
Slime waren Antifaschisten in unmittelbar | |
antiimperialistisch-antikapitalistischer Linie. Und hatten, wie sie bald | |
selber wussten, nicht immer recht. | |
Eine andere Band, [5][Extrabreit, textete 1981 in „Polizisten“] schon etwas | |
einschließender und vorausschauender. „Sie rauchen Milde Sorte / Weil das | |
Leben ist doch hart genug.“ Die New-Waver spielten genüsslich mit den | |
Klischees der harten Männer. Selbstironie und Hedonismus durchlöcherten die | |
als absolut vorgestellten Trennlinien vom bösen Staat und dem guten Lager | |
der linksradikalen Selbstverwirklicher. Harte Männer kannten sie beide, es | |
clashte in den 70er und 80ern oft genug. | |
## Neonazigruppen in beiden deutschen Staaten | |
Anders als die USA verstanden sich BRD und DDR bis 1989 nie als | |
Einwanderungsländer. Es entwickelte sich in dieser Zeit ein | |
institutioneller Rassismus, der sich vor allem gegen die ins Land geholten | |
Arbeitsmigranten richtete. In den 1980er entstanden in beiden deutschen | |
Staaten sehr gewalttätige Neonazigruppen, sie lösten die biologisch dahin | |
siechenden Altnaziszenen ab. Die neuen Nazis griffen vor allen die offenen | |
linken Subkulturen an, gingen in die Stadien. Aber auch jugendliche | |
Migranten gerieten zunehmend in ihren Fokus. | |
Man wehrte sich. Der Staat bagatellisierte die faschistischen Attacken. Die | |
antifaschistische Aktion entsprang nicht Hörsälen oder überspannten | |
Critical-Whiteness-Lektüren. Die Probleme waren realer und handgreiflicher | |
Natur. Der Staat kam seinen Schutzpflichten gegenüber den | |
gesellschaftlichen Minderheiten oft nicht nach. Antifa, weil die Polizei | |
nicht kam. | |
Mit den fünf neuen Bundesländern im Osten bekam das neue Deutschland dann | |
ein veritables „Südstaaten“-Problem. Ausländische Botschaften hielten ihre | |
Landsleute an, sich im öffentlichen Raum gut zu kleiden, Anzüge zu tragen. | |
Das schützte ein wenig. In dieser Zeit entstanden der NSU, und es gab | |
völkisch-nationalistische Verschwörungen in Teilen der staatlichen | |
Apparate. | |
## Ein Bruch mit dem institutionellen Rassismus | |
Erst 1998 erkannten Staat und Parteien die neuen Realitäten sich weiter | |
globalisierender Welten an. Die Reform des Staatsbürgerrechts schuf die | |
Grundlage für ein offenes Nationenkonzept und brach dem institutionellen | |
Rassismus die Spitze. Aus „Gastarbeitern“ (West) oder „Vertragsarbeitern�… | |
(Ost) können seither viel einfacher deutsche Bürger werden. Und eben auch | |
Polizeibeamte. | |
Die Auseinandersetzungen sind damit nicht verschwunden. Sie verlagern sich | |
auf andere Felder. Mit Neonazistrukturen beschäftigen sich Kontroll- und | |
Untersuchungsausschüsse. Natürlich schauen dabei private Initiativen und | |
Medien weiter genau hin. Auch die Auflösung ganzer Spezialeinheiten ist | |
jetzt in der Diskussion. Doch sind die Minderheiten von vor 25 Jahren | |
verfassungsmäßig anerkannter Bestandteil von Nation und Gesellschaft. Aus | |
Wut darüber entstand auf der rechten Seite die AfD. Sie will den alten | |
Staat zurück und propagiert in weiten Teilen den völkischen Nationalismus. | |
Doch auf der anderen Seite werden auch ethnisch oder essentialistisch | |
gedachte „positive“ Vorurteile zum Problem. Siehe taz-Kolumne. Sie | |
ignorieren auch die von Migranten gemachten Erfahrungen und homogenisieren | |
dort, wo es nicht zu homogenisieren gilt. Was soll ein kurdischer oder | |
türkischer Antifaschist, möglicherweise homosexuell oder transgender, mit | |
einem großtürkischen Nationalisten gemein haben? Was die vor Mullahs oder | |
Taliban aus Iran oder Afghanistan Geflüchteten mit den Islamisten, vor | |
denen sie geflüchtet sind? | |
Es gibt Grenzen, und die sind auch dazu da, um sie vor gewissen | |
Entgrenzungen zu schützen. So arbeiten syrische Menschenrechtsanwälte Hand | |
in Hand mit deutscher Polizei und Justiz. So kann derzeit in Deutschland | |
abgetauchten Folterknechten des Assad-Regimes der Prozess gemacht werden. | |
Auch Völkermörder aus Ruanda wurden international vor Gericht gestellt. | |
## Für Komplexität fehlt häufig der Platz | |
Digitalisierung und Popkultur sorgen heute für einen immer schnelleren | |
transkontinentalen Transfer symbolischer Politikformen. Für die | |
unterschiedliche Komplexität von Gesellschaften bleibt häufig kein Platz. | |
„Wär’n die Bullen schnell genug, dann könnten sie meinen Sack noch lecken… | |
rappte Sido 2011. Statt Antifa regiert massenmedial Gangsta-Nihilismus. | |
Häufig den US-Subkulturen entlehnt, aber ohne Black-Panther-Anleihen. | |
Der Macker-Rap der Sidos, Bushidos oder Kollegahs ist bestürzend einfältig. | |
Aktuell platziert etwa „187 Straßenbande“ einen neuen Hit: „Affe sieht, | |
Affe tut / Geh mir aus dem Weg, machst du Krieg, dann fließt Blut / Hab aus | |
langer Weile wieder eine Nutte herbestellt / Weil mein Schwanz lutscht sich | |
nicht von selbst.“ | |
Die Polizei hat tatsächlich schon auch mit Mixed-Milieus zu tun, die nicht | |
ganz so artig sind wie die TeilnehmerInnen einer | |
taz-Genossenschaftsversammlung. Und vor denen will auch eine taz geschützt | |
werden. Konkrete Kritik an Polizeiarbeit ja, simple Verallgemeinerungen | |
lieber nicht. Anerkennung und Repräsentation unterschiedlicher Perspektiven | |
sind Voraussetzung für gegenseitigen Respekt. | |
Andreas Fanizadeh leitet das taz-Kulturressort. | |
27 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Abschaffung-der-Polizei/!5689584 | |
[2] /Schwerpunkt-Debatte-ueber-Kolumne-in-der-taz/!t5696698 | |
[3] /Abschaffung-der-Polizei/!5689584 | |
[4] https://youtu.be/DeOKTIeo47A | |
[5] https://youtu.be/b5ekGLc-2Ao | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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