# taz.de -- Performte Science-Fiction: Es war einmal die Zivilisation | |
> In der Bremer Schwankhalle zeigt Jan van Hasselt „Der Bau“: eine | |
> dystopische Performance zwischen Hörspiel und Videoinstallation. | |
Bild: Performer Jan van Hasselt in seiner Schaltzentrale auf der Bühne | |
Wichtig muss er wohl sein, dieser „Bau“, weil ja ständig die Rede von ihm | |
ist. Auch dass [1][Jan van Hasselt] seine Performance nach ihm benannt hat, | |
„Der Bau“ nämlich, darf als Hinweis auf die Bedeutsamkeit des ominösen | |
Gebildes durchgehen. Ganz besonders verdächtig am Bau ist aber der Umstand, | |
dass wir im Grunde nichts von ihm wissen – und sich auch bis zum Ende der | |
Aufführung nicht viel daran ändert. | |
Als monumentale Leerstelle steht der Bau im Zentrum einer Geschichte, die | |
auf der Bühne der Bremer Schwankhalle nur in Auszügen erzählt wird. Beides | |
ist in den Performing Arts keine Selbstverständlichkeit: weder Geschichten | |
noch dass überhaupt erzählt wird. Und obwohl auch hier abstrakte | |
Videosequenzen und wabernde Soundlandschaften den Abend prägen, ist es | |
tatsächlich doch Erzählung, was den Abend in der Spur hält. | |
Es sind acht kurze Lesungen aus dem Off, wie wahllos herausgerissene | |
Kapitel eines Science-Fiction-Romans, der grübelnde Monolog eines Mystikers | |
oder Szenen aus der dystopischen Umgebung des Baus zwischen Mietskasernen | |
und den lebensgefährlichen Hinterlassenschaften einer untergegangenen | |
Industriewelt. Wechselnde Erzähler:innen sprechen ihre Texte in je sehr | |
eigenem Ton und Tempo ein – immer aber ausdrücklich vorgelesen. Manchmal | |
stockt das, meistens rauscht’s, einmal wird gehustet zwischendurch. | |
Aus einem gläsernen Kasten bedient van Hasselt seine Gerätschaften, legt | |
Platten auf, wechselt Audiokassetten und zielt mit der Fernbedienung zur | |
Bühnendecke, wo er seinen Projektor an- und ausknipst. Obwohl er meist | |
sitzt und zuhört, lässt van Hasselt keinen Zweifel daran, dass er es ist, | |
der das Material organisiert: live von Kassette und eigens gepressten | |
Videoplatten auf Vinyl. | |
Viel zu erkennen ist übrigens auch auf den Bildern nicht: Verwaschene | |
Szenen folgen auf geometrische Formen, die sonderbar unheilschwanger um | |
sich selbst kreisen. Der so hübsche wie beunruhigende Eindruck, man werde | |
körperlich reingezogen in diesen visuellen Aberwitz, rührt auch daher, dass | |
die Videos von der Decke auf den Bühnenboden projiziert werden und man | |
immer fürchtet, der sonderbaren Sichtachse hinterher zu stolpern. | |
Und darum geht es auch inhaltlich: um eine süchtige Gesellschaft am | |
Abgrund, die Rückkehr des mystischen Denkens, um Hokuspokus, | |
Selbstzerstörung und Rausch. Und um ein sonderbares Gas, das entweder in | |
den Bau hinein oder aus ihm heraus gepumpt wird und Menschen bis zur | |
Raserei enthemmt. Wichtig ist noch, dass die Gerippe der Zivilisation | |
durchaus noch stehen: Wissenschaftler:innen machen ihre zwielichtigen | |
Experimente, und so klandestine wie bürokratische Behörden gehen noch immer | |
über Leichen … | |
## Klassischer Science-Fiction-Stoff | |
Kurz gesagt: „Der Bau“ ist klassisch-dystopischer Science-Fiction-Stoff, | |
der seine Vorbilder irgendwo in den 1970er-Jahren findet. In seinen besten | |
Momenten lässt das Stück [2][an die berühmten Strugazki-Brüder] denken, im | |
Grunde aber an eine ganze Generation von Literat:innen, die sich mit | |
Entfremdung und Zurichtungen durch technologischen Fortschritt beschäftigt | |
haben. | |
Jan van Hasselts Produktion darum als nostalgischen Beitrag zum Genre | |
abzutun wäre allerdings falsch. Denn “Der Bau“ verstellt gleich beide | |
üblichen Auswege aus der Phantastik: Erstens versucht sich die | |
bruchstückhafte Erzählung nicht am Weltschöpfen. Die Szenerie lädt nicht | |
ein zum Weiterspinnen, will kein Franchise begründen, und auch von | |
Fan-Fiction, Pastiches, Spin-Offs und Reboots wird die Welt verschont | |
bleiben. | |
Das andere Hindernis ist noch interessanter und hat auch mit der Form zu | |
tun, also mit dem Theater. Denn auch wenn jede:r Besucher:in beim | |
ratlosen Taumeln aus dem Theatersaal ein Textheft zugesteckt bekommt, | |
bleibt das Wesentliche hinter den Türen zurück. Die Erfahrung, mit Bildern | |
und Worten bombardiert zu werden, die zwar alles Mögliche auslösen, aber | |
keinen Sinn stiften – und auch nicht als Metapher taugen. | |
## Finsterer Scheinsinn | |
„Der Bau“ ist eine umfassende körperliche und psychische Erfahrung, eine | |
Reaktion auf sonderbar vertraute Motive, die losgelöst von der Präsentation | |
auf der Bühne nicht denkbar wäre. Darum arbeitet Jan van Hasselt auch so | |
betont händisch mit seinem Material – und darum greifen die Aussendungen | |
seiner analogen Medien so explizit mit den [3][Kompositionen von Christoph | |
Ogiermann] ineinander, der vom Pult aus die mal atmosphärisch dröhnenden, | |
mal dekonstruktiv zerfrickelten Elektrosounds einspielt, die den | |
Textfragmenten überhaupt erst ihren finsteren Scheinsinn beigeben. | |
Kurz gesagt: Der Abend kreist undurchdringlich um sich selbst, was erst mal | |
vielleicht nicht gut klingt, sich bald aber zu einer handfesten | |
Konfrontation mit dem eigenen Unbehagen auswächst. Hier ist nichts | |
Metapher, alles nur ausgedacht – und es fühlt sich gerade darum so | |
schauerlich echt an. | |
24 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://schwankhalle.de/kuenstler/jan-van-hasselt-532.html | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Picknick_am_Wegesrand | |
[3] https://www.datenbankneuemusik.de/datenbank/komponistinnen/ogiermann-christ… | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
## TAGS | |
Performance | |
Theater | |
Science-Fiction | |
Bremen | |
taz.gazete | |
taz.gazete | |
Bremen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bremer Kultursommer im Freien: Endlich mal wieder spielen | |
Beim Bremer Kultursommer „Summarum“ laden Musiker*innen zum Wandelkonzert | |
im Freien. Geboren wurde die Idee aus der Corona-Not. | |
Leitungswechsel in der Schwankhalle: Gewachsen am Kompromiss | |
Nach fünf Jahren geht Schwankhallen-Leiterin Pirkko Husemann zurück nach | |
Berlin. Sie hinterlässt ein Haus, das bestens vernetzt ist. | |
Interview über einen verbotenen Film: „Das böse Kapital und so“ | |
Der Regisseur Jan van Hasselt erzählt in der Schwankhalle von dem Film, den | |
er nicht zeigen darf |