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# taz.de -- Pawlowsche Konditionierung im Heim: Hamburg lässt einsperren
> Ein Hamburger Skandalheim für auffällige Kinder ist geschlossen. Jetzt
> schickt das Land sie in die autoritäre Brandenburger Haasenburg.
Bild: Das Heim in der Hamburger Feuerbergstraße. (Archivbild, 2003).
HAMBURG taz | Geschlossene Heime brauche Hamburg nicht, heißt in einer
neuen Senatsdrucksache zur Jugendgewalt. Schließlich gebe es genug Plätze
außerhalb. Die meisten Jugendlichen, derzeit 15, schickt Hamburg seit
Schließung des Heims in der Feuerbergstraße Ende 2008 in die drei
privatwirtschaftlich betriebenen Heime der Haasenburg GmbH in Brandenburg.
Doch deren autoritäres Konzept sei kaum besser als das des geschlossenen
Hamburger Skandalheims, sagt Anwältin Jianka Pigors. „Es ist eine Schande,
dass Hamburg Kinder dorthin schickt.“
Vier Meter hohe Mauern, wie in der Feuerbergstraße, gibt es dort nicht.
Aber es gibt abschließbare Türen und Fenster. Und es gibt Menschen, die
diese Mauern ersetzen, und sehr strenge Verhaltenregeln. „Das ist Dressur
statt Erziehung“, sagt Pigors. Sie ist nur eine von mehreren Anwälten, die
durch Berichte von Jugendlichen und deren Angehörigen alarmiert sind. Doch
sie dürfen nur begrenzt offen reden, weil Familiengerichtsverfahren nicht
öffentlich sind.
Einen erschütternden Text über ihre Zeit in der Haasenburg hat die heute
20-jährige Ex-Insassin Julia zu Jahresbeginn ins Netz gestellt. Lieber
hinter Mauern.
Sie durfte keine eigene Kleidung tragen, musste einen großen Teil ihres
Aufenthalts isoliert in ihrem Zimmer verbringen und durfte zeitweise nicht
mal allein aufs Klo. „Mauern wären mir manchmal lieber gewesen“,
kommentiert sie die Vorfälle, bei denen mehrere Betreuer sie auf den Boden
niederdrückten - und sie sich jedes Stück Losgelassenwerden durch
Wohlverhalten verdienen musste. Julia zur taz: „Das passierte, wenn man
sich einer Anweisung widersetzte.“ Das Mädchen war von 2006 bis 2008 in der
Haasenburg und hat Anfang 2012 Anzeige wegen Körperverletzung gegen
Mitarbeiter gestellt.
Glaubt man den Anwälten der Kinder, hat sich seitdem nicht viel geändert.
Noch immer seien die Jugendlichen zunächst in „Phase rot“ allein auf ihren
Zimmern. „Die Türen sind angelehnt oder offen. Sie verbringen die ganze
Zeit ohne Kontakt zu anderen Jugendlichen auf ihrem Zimmer“, sagt ein
Anwalt. Wenn sie etwas wollten, etwa auf die Toilette gehen, müssten sie an
die Tür klopfen, ihren Namen rufen und warten, bis jemand kommt. Jede
Verbesserung - ein Plakat an der Wand, Unterricht in der Gruppe - müssten
sie sich durch Gehorsamkeit verdienen. Dazu zähle auch die Mimik. „Wenn ein
Jugendlicher mit den Augen rollt, gibt es am Abend keinen Chip.“
Diese Holzmünzen seien die Währung in dem Heim, die die Insassen sammeln
müssten, damit sie abends länger wach bleiben dürfen oder statt eines
Bleistifts einen Kugelschreiber erhalten. Lieber wäre er fünf Jahre im
Knast als noch länger in der Haasenburg, flehte jüngst ein Junge laut
Protokoll einer gerichtlichen Anhörung. Das Gericht entschied, ihn
weiterhin dort unterzubringen, trotz der umstritten Erziehungsmethoden.
Fixierung auf einer Liege.
Rastet ein Jugendlicher aus, kommt er in einen „Anti-Aggressionsraum“. In
dem gab es bis vor zwei Jahren noch eine Liege, auf der Jugendliche fixiert
werden können. Inzwischen hat das Landesjugendamt dies unterbunden. Damit
sie weniger aggressiv sind, bekommen einige Insassen zudem von Ärzten vor
Ort das Beruhigungsmittel Risperdal verordnet. Und Betreuer dürfen deren
Post lesen, Telefonate der Jugendlichen mitgehört werden.
Der taz liegen die Hausregeln aus dem Jahr 2010 vor, die Jugendliche wie
Julia oft abschreiben mussten. Hat ein Jugendlicher Sorgen, gibt es einen
"Kummerkasten" der Heimleitung, wenn das nicht hilft, eine „unabhängige
Beschwerdekommission“. So etwas sei „durchaus nicht branchenüblich“, hei…
es in der Stellungnahme der Haasenburg zu einem Bericht über den Fall
Julia, der im Juni in der Jungen Welt erschien.
Zu Einzelfällen äußert sich die GmbH aus Datenschutzgründen nicht, eine
Anzeige ist nicht bekannt. Das verhaltenstherapeutische Konzept biete Halt
für Jugendliche, die bisher in ihrem Leben wenig Regeln kennengelernt
hätten, so die Einrichtung.
Die taz wollte wissen, wer in der Beschwerdekommission sitzt. Laut
Landesjugendamt Brandenburg ist der Hamburger Jugendhilferechtsexperte
Christian Bernzen, zugleich SPD-Landesschatzmeister, der Ansprechpartner
für die Jugendlichen. Er sei zugleich Rechtsbeistand der Haasenburg. Auf
diese Doppelfunktion angesprochen, erklärte Bernzen der taz, er habe beide
Aufgaben „streng getrennt“, sei aber vom Kommissionsvorsitz „mit Schreiben
von heute zurückgetreten“.
Die Pressearbeit der Haasenburg macht Bernzens Bruder Hinrich Bernzen. Der
nannte auf taz-Nachfrage denn auch einen anderen Ansprechpartner für die
Jugendlichen. Öffentliche Berichte über die Arbeit der Kommission gebe es
„selbstverständlich keine“, da es sich um konkrete Fälle der Jugendlichen
handele. Nach Darstellung von Hamburger Sozialbehörde, Landesjugendamt
Brandenburg und der Haasenburg GmbH selbst hat sich in der Haasenburg in
den vergangenen zwei Jahren sehr viel verändert, nachdem das
Landesjugendamt Auflagen erteilte.
„Beschwerden haben wir zurzeit keine“, sagt Landesjugentamtleiter Karsten
Friedel. Statt eines „Time-out-Raumes" gebe es dezentrale
„Anti-Aggressionsräume“ in den Gruppenbereichen. Um Aggressionen frühzeit…
einzudämmen, gebe es eine Stufenplan. Jede Anti-Aggressions-Maßnahme werde
zudem schriftlich gemeldet. Friedel: „Es gab einen Reflektionsprozess in
der Haasenburg.“
Auch von der Hausordnung gibt es inzwischen eine abgemilderte Fassung. Laut
Haasenburg-Geschäftsführer Mario Bavar ist es nicht wahr, dass sich
Jugendliche Gegenstände für ihr Zimmer „verdienen“ müssten. Lediglich we…
Jugendliche sich oder andere gefährden, könne es sein, dass persönliche
Sachen "nicht permanent im Zimmer sind".
Anwälte dagegen monieren, dass sich das Grundkonzept einer Art „pawlowschen
Konditionierung“ nicht geändert habe. Auch Bela Rogalla, Landessprecher der
Linken in Hamburg, spricht von einem „autoritären Konzept“, das Jugendliche
zu „Befehlsempfängern“ degradiere. Nach der Schließung der Feuerbergstra�…
müsse auch die Unterbringung von Kindern in der Haasenburg beendet werden.
7 Dec 2012
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Schwerpunkt Haasenburg Heime
Hamburg
geschlossene Heime
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