# taz.de -- Parlamentswahlen in Israel: Links steht nicht zur Wahl | |
> In Israel wird am Dienstag ein neues Parlament gewählt. Die Liste | |
> Blau-Weiß von Quereinsteiger Benny Gantz ist keine echte Alternative. | |
Bild: Der ehemalige Militärchef Benny Gantz will „weder links noch rechts“… | |
Seit [1][Benny Gantz] mit seinem Bündnis Blau-Weiß um die Stimmen der | |
israelischen Wähler kämpft, dürfte Regierungschef Benjamin Netanjahu | |
schlaflose Nächte haben. Letzte Umfragen vor der Wahl am Dienstag geben | |
Gantz einen Vorsprung von vier bis fünf Mandaten vor dem Likud. Dabei sah | |
es noch vor wenigen Monaten so aus, als sei Netanjahus vierte Amtszeit in | |
Folge so gut wie sicher. Das Volk sprechen lassen, das war sein Plan, und | |
mit einem überragenden Wahlsieg den ihm drohenden Anklagen entkommen. | |
Es hätte vermutlich geklappt, wäre nicht Gantz überraschend in den Ring | |
gestiegen. Der rasante Einstieg des früheren Generalstabschefs ist | |
beeindruckend. Inhaltlich wollte er sich zunächst auf nichts anderes | |
festlegen, als „weder links noch rechts“ zu sein. Trotzdem gaben ihm | |
Umfragen umgehend eine echte Chance. Viele Israelis hungern nach | |
Veränderung. Nur nicht noch einmal vier Jahre Netanjahu. Dass auch die | |
patriotisch gefärbte Liste Blau-Weiß ein klar rechtes Programm verfolgt, | |
nimmt man in Kauf. | |
Aus Unlust, sich mit Inhalten auseinanderzusetzen, oder eben schlicht aus | |
Mangel an Alternativen tendieren weite Teile der liberalen Mitte zu | |
Blau-Weiß, auch wenn sie sich ideologisch mit der Partei kaum | |
identifizieren können. Netanjahu warnt vor den Linken, als seien sie | |
Pestkranke. „Frieden ist ein schmutziges Wort geworden“, so formulierte es | |
die frühere Justizministerin Zipi Livni, als sie Mitte Februar ihren | |
Abschied aus der Politik verkündete. Abgesehen von den arabischen Parteien | |
in der Knesset, dem Parlament, setzt sich nach Livnis Rücktritt nur noch | |
die Kleinstpartei Meretz ein Ende der Besatzung im Westjordanland zum Ziel. | |
Links gilt als abtrünnig und staatsfeindlich. „Ein palästinensischer Staat | |
würde unsere Existenz bedrohen“, warnt Netanjahu und wirft seinen Gegnern | |
von Blau-Weiß vor, Hand in Hand mit den israelischen Arabern nichts anderes | |
zu planen als das, was „die Linken“ schon immer wollten: Zugeständnisse an | |
den palästinensischen Feind auf Kosten von Israels Sicherheit. Genau das | |
Gegenteil ist der Fall: Gantz lehnt eine Koalition mit den arabischen | |
Listen ab. Weder die Zweistaatenlösung noch der Begriff Palästinenserstaat | |
findet im blau-weißen Parteiprogramm Erwähnung. Stattdessen will man den | |
Siedlungsbau vorantreiben und Jerusalem „niemals teilen“. | |
## Rechts funktioniert gut | |
Nun hat es Gründe, dass mit einer linken Agenda in Israel keine Wahl zu | |
gewinnen ist. Die Terrorwelle in den Jahren 2000 bis 2003 war unmittelbare | |
Konsequenz der gescheiterten Friedensverhandlungen in Camp David. Rund | |
1.000 Israelis kamen damals bei Anschlägen zu Tode. Und die Raketen aus dem | |
Gazastreifen folgten auf Israels Entscheidung, den besetzten Küstenstreifen | |
komplett den Palästinensern zu überlassen. Siedler und Soldaten räumten das | |
Feld. | |
Endlich bekamen die Palästinenser dort, was sie sich immer gewünscht hatten | |
– und bedankten sich, indem sie bei den Wahlen kurz darauf ihre Stimme der | |
islamistischen Hamas gaben. Wenn Terror und Raketen der Preis für | |
territoriale Zugeständnisse sind, so die verständliche Folgerung in Israel, | |
dann lassen wir es künftig lieber damit. | |
Israels Regierung steht auch international nicht mehr unter dem Druck, | |
einen Friedensprozess voranzutreiben und den Siedlungsbau einzustellen. | |
Netanjahu rühmt sich zu Recht der verbesserten Beziehungen zu einer Reihe | |
von arabischen Staaten. Und gerade rechtzeitig zu den Wahlen hat | |
[2][US-Präsident Donald Trump] die Golanhöhen zu israelischem Gebiet | |
erklärt. Wenn es rechts so gut funktioniert, warum dann nicht noch ein | |
wenig mehr rechts. „Wir müssen unser Schicksal selbst kontrollieren“, | |
stellt Netanjahu fest und kündigt im Endspurt seines Wahlkampfs an, Teile | |
des Westjordanlands zu annektieren. | |
Damit nicht genug, kündigte Netanjahu ein Zusammengehen mit der | |
rassistischen Partei Otzma Jehudit (Jüdische Kraft) an, die auf | |
Wahlplakaten an den einst verbotenen Politiker Meir Kahane erinnert. | |
„Kahane lebt“ steht dort neben den Fotos der Kandidaten, die den „totalen | |
Krieg gegen Israels Feinde“ propagieren und die Gründung eines Großisraels, | |
aus dem Araber vertrieben werden sollen. | |
## „Links und rechts sind passé“ | |
Netanjahus Kampagne geht über außenpolitische Fragen hinaus. Die „Linke“, | |
das sind nicht nur [3][Gegner der Besatzung], sondern auch seine | |
persönlichen Feinde, allen voran die Medien. Dass er überhaupt jemals in | |
den Verdacht der Korruption geraten ist, sei das Werk von Journalisten, die | |
wiederum Einfluss nähmen auf Polizei und Oberstaatsanwalt. Drei Verfahren | |
drohen dem Spitzenkandidaten des Likud. Doch Netanjahu gibt sich | |
unverändert unschuldig: Bei den noch ausstehenden gerichtlichen Anhörungen | |
würden sich alle Anschuldigungen gegen ihn „in Luft auflösen“. | |
Sollte Netanjahu auch die kommende Regierung stellen, wird er alles | |
daransetzen, eine Gesetzesreform voranzutreiben, die ihm Immunität | |
garantiert. Ob sich die Verdachtslage gegen ihn festigt oder auflöst, wäre | |
dann ohnehin egal. Noch mal vier Jahre unter Netanjahu gäbe auch | |
Justizministerin Ajelet Schaked Gelegenheit, weiter an den Grundpfeilern | |
der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung zu nagen. | |
Schon kündigte sie dem Obersten Gerichtshof, der einst die Zwangsausweisung | |
afrikanischer Flüchtlinge verhinderte und der die Rechte palästinensischer | |
Grundbesitzer schützt, den offenen Kampf an. | |
Sowenig die Palästinenser von Blau-Weiß zu erwarten haben – innenpolitisch | |
ist die neue Liste eine Alternative. Gantz will der Polarisierung im Volk | |
entgegenwirken. „Links und rechts sind passé“, sagt er, was stimmt, denn es | |
ist nur noch die Rechte übrig in dem Staat, der in den ersten dreißig | |
Jahren nach seiner Gründung von Sozialdemokraten regiert wurde. Die | |
Demokratie zu retten wäre zentrale Mission von Blau-Weiß. Das und eine | |
offene, eine jüdische Streitkultur in Israel wiederzubeleben. | |
8 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Parlamentswahlen-in-Israel/!5581669 | |
[2] /Kommentar-Netanjahu-in-Washington/!5579910 | |
[3] /Ankuendigung-von-Benjamin-Netanjahu/!5586057 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
## TAGS | |
Israel | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Palästina | |
Parlamentswahl | |
Benjamin Netanjahu | |
Benny Gantz | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Israel | |
Israel | |
Benny Gantz | |
Israel | |
Benjamin Netanjahu | |
Israel | |
Klagemauer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Wahl in Israel: Logischer Rechtsruck | |
Nach dem Wahltag sieht es aus, als könnte Netanjahu wieder die Regierung | |
bilden. Seine Politik hat die Israelis linke Träume vergessen lassen. | |
Wahlen in Israel: Reicht wohl nicht gantz | |
Netanjahu und sein Herausforderer erhalten gleich viele Stimmen. Auf der | |
Suche nach Koalitionspartnern sieht es für den Ministerpräsidenten besser | |
aus. | |
Israel wählt neues Parlament: Von Marihuana bis zum Siedlungsbau | |
Behauptet sich Netanjahu? Oder löst Herausforderer Gantz ihn als | |
Regierungschef Israels ab? Kleine Parteien ringen um den Einzug in die | |
Knesset. | |
Schmutz-Wahlkampf in Israel: Gantz oder gar nicht | |
Israels Premier Netanjahu liegt laut Umfragen hinter Herausforderer Gantz. | |
Doch dass der Regierungschef abgelöst wird, ist unwahrscheinlich. | |
Ankündigung von Benjamin Netanjahu: Teile des Westjordanlands annektieren | |
Er wolle die Souveränität Israels auch auf das Westjordanland ausweiten, | |
sagt Israels Regierungschef Netanjahu. Die PLO zeigte sich wenig | |
überrascht. | |
Parlamentswahlen in Israel: Bibi oder Benny | |
Wer wird israelischer Ministerpräsident? Der amtierende Premier Netanjahu | |
wird von Newcomer Gantz herausgefordert. Ausgang ungewiss. | |
Kommentar Netanjahu in Washington: Ziemlich beste Freunde | |
Die Reise des israelischen Premiers in die USA hätte ein Spaziergang werden | |
können. Wäre da nicht eine jüdische US-Lobbyorganisation. |