| # taz.de -- Parlamentswahl in Frankreich: Was wäre, wenn? | |
| > Der rechtsextreme RN könnte stärkste Kraft werden. Setzt die Partei ihre | |
| > Pläne um, wäre das eine Bedrohung für das französische | |
| > Gesellschaftsmodell. | |
| Bild: Die Richtung, in die er das Land zu führen gedenkt, ist absehbar: RN-Che… | |
| Paris taz | Bekommen die französischen Wähler*innen, die aus Wut oder | |
| Enttäuschung über die anderen Parteien dem rechtsextremen Rassemblement | |
| National (RN) „eine Chance geben“ wollen, eine Mogelpackung? Parteichef | |
| Jordan Bardella und seine Kandidat*innen haben den Unzufriedenen große | |
| Versprechen gemacht, etwa eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Treibstoffe | |
| und Heizöl, gedeckelte Energietarife oder die Rückkehr zu einem früheren | |
| Rentenalter. | |
| Im Verlauf seiner Wahlkampagne hat Bardella zwar mehrfach Abstriche | |
| gemacht, um den Vorwurf zu kontern, er plane als Premierminister eine | |
| verantwortungslose und ruinöse Politik. Allzu schockierende Forderungen | |
| seiner Bewegung, die im Voraus als verfassungswidrig kritisiert wurden, hat | |
| er revidiert. Aber vieles ist unklar geblieben. | |
| [1][Was also hat Frankreich zu erwarten, falls das RN die | |
| Regierungsverantwortung übernehmen und Bardella Regierungschef werden | |
| sollte]? Der erst 28-Jährige hat ein paar „Dringlichkeitsmaßnahmen“ | |
| angekündigt, die einen ersten Eindruck davon vermitteln, in welche Richtung | |
| er das Land zu führen gedenkt. Als Erstes möchte er die aus seiner Sicht | |
| von „Gauchistes“ (Linksextremen) unterwanderten öffentlichen Fernseh- und | |
| Rundfunksender privatisieren. Dann will er in den staatlichen Schulen mit | |
| einem „Big Bang“, also einem Bündel von Maßnahmen wie der Einführung von | |
| Schuluniformen, die Autorität wiederherstellen. Außenpolitisch soll sich | |
| [2][Frankreich Russland annähern] und auf Distanz zur Ukraine und zur Nato | |
| gehen. | |
| Keine Angaben macht Jordan Bardella dazu, wie er sein Versprechen halten | |
| will, die öffentlichen Ausgaben und die Zahl der Beamt*innen zu | |
| reduzieren. Frankreichs Diplomat*innen sorgen sich deshalb bereits um | |
| ihr Corps. Staatliche Subventionen würden vermutlich anders verteilt: Die | |
| Kulturwelt befürchtet, dass auf Kosten der Förderung von Künstler*innen | |
| Heimatschutz und Denkmalpflege bevorzugt werden könnten. | |
| ## Besessen von Migration | |
| Die Immigration ist und bleibt eine Obsession der extremen Rechten. Das | |
| Gesicht der Partei, Marine Le Pen, möchte den Migrationspakt der EU | |
| aufkündigen und eine „doppelte Grenzkontrolle“ einführen. Was viel über … | |
| rassistischen Hintergedanken aussagt, ist der ideologische Kernbegriff der | |
| „nationalen Präferenz“: Bei staatlichen Sozialgeldern, Familienzulagen, | |
| Stipendien, aber indirekt auch bei der Wohnungs- und Arbeitssuche soll die | |
| französische Staatsbürgerschaft zum Kriterium werden. | |
| Die systematische Bevorzugung eines Teils der Bevölkerung zu Ungunsten | |
| eines anderen bedeutet in einem Land wie Frankreich, in dem Generationen | |
| von Eingewanderten und Menschen aus ehemaligen Kolonien integriert wurden, | |
| eine Diskriminierung, die den Grundwerten der Republik diametral | |
| widerspricht. Wenn eine RN-Regierung ihre Pläne einmal umzusetzen beginnen | |
| sollte, wären Diskriminierungen aufgrund der Herkunft, Hautfarbe oder | |
| Religion schnell nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Eine | |
| rechtsextreme Staatsführung würde auch die Programme stoppen, mit denen | |
| bisher sozial benachteiligten Jugendlichen mit Migrationsgeschichte der | |
| Zugang zu Eliteschulen erleichtert wurde. | |
| Beim Thema doppelte Staatsbürgerschaft, die der RN infrage stellt, wird | |
| deutlich, dass es für die extreme Rechte zwei Sorten von Franzosen und | |
| Französinnen gibt: die „Echten“, die Français de souche (von der Abstammu… | |
| her), und die „Papierfranzosen“, Eingebürgerte ausländischer Herkunft. | |
| Mehrere Kandidat*innen, darunter RN-Vize Sébastien Chénu, sagten, dass sie | |
| in der doppelten Staatsbürgerschaft ein Loyalitäts- und Sicherheitsproblem | |
| sähen. Parteichef Jordan Bardella etwa glaubt, es wäre riskant, wenn | |
| gewisse Menschen mit zwei Pässen strategisch wichtige Posten bekämen. Sein | |
| pikantes Beispiel: ein französisch-russischer Bürger als Direktor eines | |
| Atomkraftwerks. Andere Parteimitglieder wollen Mitbürger*innen mit zwei | |
| Nationalitäten den Zugang zu Minister*innenposten und anderen Ämtern | |
| gleich ganz untersagen. | |
| Die Staatsbürgerschaft soll nach Ansicht des RN ohnehin nicht mehr wie seit | |
| Jahrhunderten in Frankreich mit dem „jus soli“ aufgrund der Geburt erlangt | |
| werden, sondern nur noch dank der Abstammung von französischen Eltern. | |
| Einbürgerungen soll es nur geben, wenn sie „verdient“ sind. Das alles wür… | |
| zweifellos die Integration erschweren und die Bevölkerung zusätzlich | |
| spalten. Die anderen politischen Parteien, die sich zuletzt zu einer | |
| Abwehrfront zusammengeschlossen haben, sehen darin einen Angriff auf das | |
| französische Gesellschaftsmodell. | |
| ## Bereit zum Bürgerkrieg? | |
| Als RN-Premierminister hätte Jordan Bardella allerdings nur eine | |
| beschränkte Handlungsfreiheit. Er muss mit dem Staatspräsidenten | |
| koexistieren, der über seine Exklusivrechte wachen wird. Als Gegenmacht | |
| bleiben zudem der Senat mit seiner konservativen Mehrheit, das | |
| Verfassungsgericht und auch die EU. Die kann nicht bloß wegen der | |
| Staatsfinanzen mit Sanktionen drohen, sie würde auch Maßnahmen ablehnen, | |
| die den europäischen Verträgen, Direktiven und einstimmigen Vereinbarungen | |
| widersprechen – beispielsweise die vom RN geforderte Senkung der | |
| französischen Beitragszahlungen. | |
| Innenpolitisch braut sich viel Konfliktpotenzial zusammen. Gewerkschaften | |
| und linke „Antifaschisten“ drohen bereits mit Demonstrationen, Streiks und | |
| Widerstandsaktionen, die zu gewaltsamen Konfrontationen führen könnten. | |
| [3][Präsident Macron] hatte im Vorfeld der Wahlen vor einem | |
| „Bürgerkriegsrisiko“ gewarnt. | |
| Muss man gar einen Putsch befürchten, falls sich eine rechtsextreme | |
| Regierung wegen der Einspruchsmöglichkeiten des Präsidenten und der anderen | |
| Institutionen nicht durchsetzen kann? Darüber wird in Frankreich in diesen | |
| Tagen diskutiert. Der liberale Publizist Nicolas Baverez warnt: „In jedem | |
| der beiden Fälle – bei einer absoluten oder fast absoluten RN-Mehrheit oder | |
| mit einer unregierbaren Parlamentskammer – kippt Frankreich ins Unbekannte | |
| und in eine Ära sehr hoher Risiken.“ | |
| 7 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Frankreich-vor-der-Wahl/!6016617 | |
| [2] /Frankreichs-rechte-Russland-Connection/!5960467 | |
| [3] /Macrons-Taktieren-vor-der-Stichwahl/!6018098 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Marine Le Pen | |
| Schwerpunkt Rassemblement National | |
| Social-Auswahl | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Rechtsextremismus | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Parlamentswahlen Frankreich | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Europawahl | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Justiz in Frankreich: Marine Le Pen steht vor Gericht | |
| Marine Le Pen und ihr rechtsextremes Rassemblement National sollen massig | |
| EU-Gelder unterschlagen haben. Diesen Montag beginnt der Prozess. | |
| Politologe über den Rechtsruck: „Das Ende der EU wird kein Knall“ | |
| In Frankreich stehen die Rechten vor dem Machtgewinn, in Italien und Ungarn | |
| regieren sie schon. Jan-Werner Müller warnt vor Umarmungsstrategien. | |
| Wahlen zur Nationalversammlung: Was in Frankreich passiert | |
| Nach dem ersten Wahlgang schreitet Frankreich am Sonntag wieder zur Urne. | |
| Wie geht es weiter? Drei Fragen, drei Antworten. | |
| Parlamentswahl in Frankreich: Macron droht neue Schlappe | |
| Das Interesse der Menschen an der Wahl in Frankreich ist groß. Am Mittag | |
| liegt die Wahlbeteiligung bereits höher, als zum selben Zeitpunkt vor zwei | |
| Jahren. | |
| Frankreich vor den Wahlen: Ein Bündnis gegen Le Pen | |
| In Dreux feierte Marine Le Pens Partei früher Erfolge – bei den | |
| Europawahlen siegte hier aber die Linke. Was lässt sich von der Kleinstadt | |
| lernen? | |
| Vor den Parlamentswahlen: Was in Frankreich auf dem Spiel steht | |
| Nach der Auflösung der Nationalversammlung steht Frankreich vor einer | |
| ungewissen Zukunft. Zwei sehr heterogene Blöcke ziehen in den Kampf. |