# taz.de -- Parlament in Ecuador aufgelöst: Der Amtsenthebung zuvorgekommen | |
> Ecuadors rechter Präsident Lasso hat das Parlament aufgelöst und regiert | |
> jetzt zunächst per Dekret. Die Opposition spricht von einem | |
> „Selbstputsch“. | |
Bild: Militär sichert den Präsidentenpalast in Ecuadors Hauptstadt Quito | |
BUENOS AIRES taz | Ecuadors rechtsliberaler Präsident [1][Guillermo Lasso] | |
hat am Mittwoch das Parlament aufgelöst. Lasso machte von einem | |
Verfassungsmechanismus Gebrauch, der es dem Präsidenten erlaubt, die | |
Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. „Dies ist eine | |
demokratische Maßnahme, weil sie den Ecuadorianern die Macht zurückgibt, | |
selbst über ihre Zukunft zu entscheiden“, sagte Lasso in einer im Fernsehen | |
übertragenen Ansprache. | |
Es sei unmöglich, die Herausforderungen des Landes mit diesem Parlament zu | |
lösen, dessen einziges Ziel es sei, das Land zu destabilisieren, erklärte | |
Lasso. | |
Ecuadors Verfassung enthält eine Besonderheit, die landläufig als ‚muerte | |
cruzada‘ (etwa: sich überkreuzender Tod) bezeichnet wird. Der Artikel 148 | |
verleiht dem Präsidenten die Kompetenz im Fall einer „schweren politischen | |
Krise“ oder „inneren Unruhen“, das Parlament zusammen mit der Exekutive, | |
sprich dem Amt des Präsidenten und Vizepräsidenten, aufzulösen und | |
Neuwahlen zu beantragen. | |
Der Präsident reagierte mit dem Schritt auf ein vom Parlament eingeleitetes | |
Amtsenthebungsverfahren, dem 88 der 137 Abgeordneten zugestimmt hatten. Das | |
Parlament wirft Lasso vor, Unstimmigkeiten in einem von der staatlichen | |
Erdöltransportgesellschaft Flota Petrolera Ecuatoriana mit einer privaten | |
Reederei unterzeichneten Vertrag ignoriert zu haben, die nach Angaben des | |
Rechnungshofs einen Schaden von rund 6 Millionen Dollar verursacht hätten. | |
## Militär und Polizei stellen sich hinter den Präsidenten | |
Noch am Dienstag wies Lasso in einer fast zwölfstündigen Parlamentsdebatte | |
die Vorwürfe zurück und sprach von einer politischen Kampagne. Als sich | |
jedoch immer deutlicher abzeichnete, dass die notwendige Mehrheit von | |
mindestens 92 Parlamentsstimmen für eine Amtsenthebung erreicht werden | |
könnte, zog der Präsident die Reißleine. Es war das zweite | |
Amtsenthebungsverfahren gegen Lasso. Das erste scheiterte im Juni 2022 mit | |
nur 80 Stimmen. | |
Der Nationale Wahlrat muss nun innerhalb von sieben Tagen den Termin für | |
die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen festlegen, die spätestens in 90 | |
Tagen stattfinden müssen. Lasso bleibt jedoch so lange geschäftsführend im | |
Amt, bis ein gewählter Nachfolger das Präsidentenamt übernimmt. Bis dies | |
geschieht, kann Lasso per Dekret regieren. Und das könnte bis zu sechs | |
Monaten dauern, sollte der Nachfolger erst in einer Stichwahl bestimmt | |
werden. | |
Nach Lassos Ankündigung hatten Sicherheitskräfte vorsorglich das | |
Parlamentsgebäude umstellt. Zugleich stellten sich Militär und Polizei | |
hinter den Präsidenten. „Die Entscheidung des Präsidenten unterliegt der | |
verfassungsmäßigen Ordnung und muss von allen Bürgern voll und ganz | |
respektiert werden“, erklärte das Oberkommando der Streitkräfte. | |
Sollte es zu gewaltsamen Protesten kommen, würden Streitkräfte und | |
Nationalpolizei „entschlossen handeln“, sagte der Oberbefehlshaber der | |
Streitkräfte, Nelson Proaño. | |
## Steuern senken für mehr Zustimmung | |
Protestaktionen blieben zwar aus, aber verbal ließ es sich Lassos | |
Gegnerschaft nicht nehmen, sein Vorgehen zu kritisieren. Leonidas Iza, | |
Präsident des Dachverbands der indigenen Gruppen [2][Conaie], twitterte: | |
„Ein feiger Selbstputsch mithilfe der Polizei und der Streitkräfte“ und | |
warnte vor einer drohenden Diktatur. Ex-Präsident Rafael Correa kritisierte | |
ebenfalls Lassos „illegale Aktion“, merkte aber an: „Dies ist definitiv | |
eine gute Gelegenheit, Lasso, seine Regierung und seine Parlamentarier nach | |
Hause zu schicken.“ | |
Wie gering Lassos Rückhalt in der Bevölkerung geworden ist, hatten die | |
Kommunalwahlen im vergangenen Februar gezeigt. Damals hatte die Opposition | |
die Bürgermeisterämter der Hauptstadt Quito und Guayaquil gewonnen, der | |
wichtigen Hafenstadt, die 30 Jahre lang eine Hochburg der Rechten war. | |
Offenbar um nicht jegliche Zustimmung zu verlieren, nutzte der Präsident | |
noch am Mittwoch sein Recht, per Dekret zu regieren und erließ ein | |
Steuerreformpaket, mit dem nach seinen Worten die Steuerzahlenden um 200 | |
Millionen Dollar entlastet werden. | |
18 May 2023 | |
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Jürgen Vogt | |
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