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# taz.de -- Indigene Proteste in Ecuador: Schießbefehl und Verhandlungen
> Eine indigene Organisation ist in Ecuador zum Sprachrohr breiter
> Bevölkerungsschichten geworden. Präsident Lasso wiederholt Fehler seines
> Vorgängers.
Bild: Harter Polizeieinsatz in Quito gegen die DemonstrantInnen
Hamburg taz | Carlos Mazabanda hat die Bilder von den Menschen, die am
letzten Freitag die Polizeieinheiten feierten, noch vor Augen. „Sie
jubelten denjenigen zu, die eine indigene Versammlung im Haus der Kulturen
sprengten, das Haus räumten und zahlreiche Menschen verletzten“, kritisiert
der Umweltexperte.
Mazabanda, der lange für die US-amerikanische Umweltorganisation „Amazon
Watch“ arbeitete, ist konsterniert von den Bildern der offenen, oft
rassistisch gefärbten Ablehnung gegenüber der indigenen Protestbewegung in
einigen der besseren Wohnviertel von Quito. „Dafür ist Präsident Guillermo
Lasso mitverantwortlich. Er hat sich verbal zwar zu Verhandlungen bereit
erklärt, parallel dazu aber immer wieder die Konfrontation geschürt und die
Forderungen der Protestbewegung als unangemessen zurückgewiesen“,
kritisiert Mazabanda.
Als konfus, widersprüchlich und konfrontativ bezeichnet auch der
Menschenrechtsanwalt Mario Melo das Krisenmanagement der Regierung. „Es war
ein verheerendes Signal, den Vorsitzenden der Conaie am zweiten Tag der
Proteste ohne juristische Handhabe festzunehmen. Das hat den Konflikt
geschürt“, kritisiert Melo, Professor an der päpstlichen katholischen
Universität in Quito.
Doch auch die Verhängung des Ausnahmezustands am fünften Tag der Proteste,
der im ersten Anlauf nicht verfassungskonform war, und das martialische
Vorgehen der Polizei, die Tränengasgranaten in Kopfhöhe der
Demonstrant:innen verschoss, billigt Melo nicht. „Gewalt hat es auf
beiden Seiten gegeben. Sie hätte jedoch vermieden werden können, wenn es
früher Bereitschaft zum Dialog gegeben hätte“, meint Melo.
## Das Abkommen von 2019 wurde nicht ganz umgesetzt
Fünf Tote, sechs Verschwundene, sechs Schwerverletzte und mindestens sechs
weitere mit schweren Augenverletzungen lautet die Bilanz der „Allianz für
die Menschenrechte“, einer Dachorganisation verschiedener
Nichtregierungsorganisationen. Deutlich weniger als die elf Toten, die im
[1][Oktober 2019] während der ersten Proteste gegen die
Benzinpreiserhöhungen unter dem damaligen Präsidenten Lenín Moreno zu
beklagen waren.
Doch es gibt viele Parallelen, und die massive Polizeigewalt ist nur eine.
Auch damals verhielt sich die Regierung ambivalent, ging auf
Verhandlungsangebote des indigenen Dachverbandes Conaie nicht ein und nahm
die anlaufenden Mobilisierungen nicht ernst. Ein Fehler, den die Regierung
von Guillermo Lasso nun wiederholte. Dabei ist für etliche Analysten längst
klar, dass Conaie zum wichtigsten Sprachrohr breiter verarmter
Bevölkerungsschichten im Land mutiert, so Mario Melo oder Nathalie Bonilla
von der Umweltorganisation Acción Ecológica.
„Die Regierung ignoriert die Opfer, die die indigenen Aktivist:innen
auf sich nehmen, um in Quito zu demonstrieren. Und sie hat viel zu lange
die Forderungen unbeantwortet gelassen, die seit Monaten auf dem Tisch
liegen“, so Bonilla. Obendrein weist die Anthropologin darauf hin, dass
auch das Abkommen vom Oktober 2019 nicht komplett umgesetzt worden sei.
„Auf die Maßnahmen zur Förderung kleinbäuerlicher Betriebe warten nicht nur
indigene Betriebe“, kritisiert die derzeitige Vorsitzende der
Umweltorganisation.
Die Folgen sind landesweit sichtbar. Die Pleitewelle unter Bananenbauern
ist dafür genauso ein Indiz wie die Probleme, Lebensmittel aus den Regionen
in die Metropolen Quito und Guayaquil zu bekommen. Hohe Treibstoffpreise
sind dabei genauso ein Problem wie die miese Infrastruktur. „Davon sind
indigene Gemeinden in den Amazonasregionen des Landes, aber auch rund um
Cuenca, wo ich lebe, überproportional stark betroffen“, erklärt [2][Yaku
Pérez].
Pérez, der Rechtsanwalt und einstige Präsidentschaftskandidat der indigenen
Partei Pachakutik hat am Samstag in Cuenca acht Opfer von Polizeigewalt vor
Gericht vertreten. „Die Regierung ist für diese Welle von Gewalt
verantwortlich. Sie agiert ambivalent: mahnt einerseits zum Dialog,
diffamiert anderseits die Protestbewegung als Putschisten, geht repressiv
gegen sie vor und gibt den Schusswaffeneinsatz frei. Dass hat leider
Tradition in Ecuador, und das müssen wir ändern“, mahnt der 52-jährige.
Er baut im Süden des Landes derzeit eine neue Umweltpartei auf, die
verhindern will, dass die Erdöl- und Bergbaukonzerne weiter in die
Amazonasregion vordringen – wie es Präsident Guillermo Lasso verfügt hat.
28 Jun 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Protest
Polizeigewalt
Ecuador
Indigene
Schwerpunkt Korruption
Protest
Ecuador
Lateinamerika
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