| # taz.de -- Parkraumbewirtschaftung in Kreuzberg: Parkraumbewirtschaftung kills… | |
| > Veysi Özgür gibt Tanzkurse und braucht dafür wegen einer Gehbehinderung | |
| > das Auto. Parken ist im Mariannenkiez teuer geworden – der Bezirk bleibt | |
| > hart. | |
| Bild: Veysi Özgür lehrt in der Sporthalle in der Mariannenstraße ehrenamtlic… | |
| Berlin taz | In der Halle riecht es nach Turnmatten und Schuhen. Angenehm | |
| kühl ist es hier. Und die Tänzer:innen scheinen nicht müde zu werden. | |
| Hand in Hand bewegen sie sich in einem Halbkreis durch die Halle. „Komm, | |
| mach doch mit“, sagt ein junger Mann und reiht sich in den Kreis ein. Auch | |
| die Musik fordert zum Tanz heraus, aber der Schritt, der ist schnell, | |
| erfordert ein Hüpfen. „Links, rechts, links, rechts, rechts“, ruft der | |
| Lehrer und macht die Schritte vor. | |
| Jeden Samstag von 19 bis 22 Uhr unterrichtet Veysi Özgür ehrenamtlich | |
| kurdischen Tanz in Kreuzberg. Özgür ist Kurde und politischer Geflüchteter. | |
| Anfang der Nullerjahre ist er nach Berlin gekommen. Seine offene Tanzgruppe | |
| GovendaKÎ gibt es seit 2011. „Wir lernen Tänze und deren Bedeutung aus den | |
| verschiedenen Regionen Kurdistans“, erzählt Özgür. „Jeder, der mag, ist | |
| willkommen.“ Wichtig sei ihm nur, dass die Gruppe frei von | |
| parteipolitischem Einfluss bleibe. Für seinen Unterricht mietet er die | |
| Sporthalle in der Mariannenstraße, die von dem Verein Pfefferwerk verwaltet | |
| wird. Doch nun sieht der hauptberufliche Inklusionsschullehrer sein | |
| langjähriges Engagement gefährdet. | |
| Grund ist die [1][im Herbst vorigen Jahres eingeführte | |
| Parkraumbewirtschaftung rund um die Mariannenstraße] in | |
| Friedrichshain-Kreuzberg. Özgür ist auf sein Auto angewiesen. „Für den | |
| Tanzunterricht muss ich zwei Fahrradtaschen mit Unterrichtsmaterial wie | |
| Hallenschuhen, Laptop, Kasse, Infoblättern, Rechner und der Soundbox | |
| tragen“, sagt er. Diese seien zu schwer, um sie mit den öffentlichen | |
| Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad von seinem Wohnort zu transportieren – | |
| auch wegen seiner Schwerbehinderung. | |
| Aufgrund einer Unterschenkelamputation besitzt Özgür eine Prothese. Zudem | |
| sind sein linker Arm und seine linke Hand funktionseingeschränkt. „Was, | |
| wenn ich beim Tragen der Taschen hinfalle und die Prothese herausrutscht?“ | |
| Das sei auf der Straße nicht nur gefährlich, sondern auch entwürdigend, | |
| weil er diese erst durch das Ausziehen der Hose wieder befestigen könne. | |
| „Wenn mir das in der Öffentlichkeit passiert, ist das für mich und alle | |
| anderen sehr unangenehm“, sagt Özgür. | |
| ## Parkkosten in Höhe von 100 Euro pro Monat | |
| Das ganze Material wie früher mit dem Auto zu transportieren und für den | |
| Zeitraum des Unterrichts in der Nähe der Halle zu parken, ist teuer: 4 Euro | |
| die Stunde kostet das Parken dort inzwischen. [2][Für einen Abend zahlt er | |
| 20 Euro, im Monat 100 Euro.] Das sei so viel wie er privat für die Miete | |
| der Sporthalle zahle. „Ich kann mir das nicht leisten“, sagt Özgür. Und: | |
| „Für eine ehrenamtliche Tätigkeit ist es unverschämt, solch hohe Parkkosten | |
| zu tragen.“ | |
| Nicht alle müssen fürs Parken so teuer zahlen: Anwohner:innen | |
| beispielsweise können Parkvignetten für einen Jahresbetrag erhalten. Und | |
| die Verkehrsbehörde des jeweiligen Bezirks kann weitere Ausnahmen zulassen. | |
| So zumindest geht es aus Paragraf 46 „Ausnahmegenehmigungen, Erlaubnisse | |
| und Bewohnerparkausweise“ der Straßenverkehrsordnung hervor, auf den sich | |
| auch das Bezirksamt bezieht. Auf ihrer Internetseite werden beispielhaft | |
| ansässige Geschäfte, Betriebe, Praxen und Einrichtungen, | |
| Beherbergungsunternehmen und private Besucher:innen genannt. Andere | |
| Sonderfälle sind durch den „Ermessensspielraum“, den der Paragraf bietet, | |
| aber nicht ausgeschlossen. | |
| Aus diesem Grund hatte Özgür schon kurz nach Inkrafttreten der | |
| Parkraumbewirtschaftung einen Antrag an die zuständige | |
| Straßenverkehrsbehörde geschrieben und um eine Ausstellung einer | |
| Parkvignette für samstags von 17 bis 23 Uhr für das entsprechende Gebiet | |
| wegen ehrenamtlicher Tätigkeit gebeten. | |
| Weil Özgür keine Antwort erhielt, schrieben er und seine Frau Jutta | |
| Hermanns drei Monate später erneut an das Amt. Ausführlich schilderten sie | |
| ihren Sonderfall, der das günstigere Parken erfordere: eine Kombination aus | |
| langjährigem Ehrenamt und Schwerbehinderung. „Wenn wir nicht bald die | |
| Möglichkeit erhalten, samstagabends gebührenfrei parken zu können, müssen | |
| wir die ehrenamtliche Arbeit einstellen“, heißt es in dem Schreiben, das | |
| der taz vorliegt. | |
| ## Tanzen als Kampf gegen die Unterdrückung | |
| „Die Kurden sind ein tanzendes Volk“, sagt Özgür. Aber in der Türkei hä… | |
| sie deswegen weiterhin Probleme. [3][Menschen würden immer mal wieder | |
| verhaftet, wenn sie etwa auf kurdischen Hochzeiten tanzen und singen.] | |
| „Darum ist es hier umso wichtiger.“ Das gemeinsame Tanzen ist für ihn ein | |
| Kampf gegen die Unterdrückung und Ausdruck der eigenen Identität. „Wir | |
| sehen uns als friedliche Widerstandskämpfer, wir wollen unsere Wurzeln | |
| nicht verlieren, aber auch in der Gesellschaft ankommen“, sagt er. | |
| Mit dem Ankommen meint Özgür auch, sich mit den Problemen vor Ort zu | |
| beschäftigen, Rassismus und sozialer Isolation etwa. Ein Anliegen der | |
| Gruppe sei es dem entgegenzuwirken: „Unsere Tänze stärken das soziale | |
| Miteinander“, sagt der Lehrer. Egal wie viel man streite, am Ende halte man | |
| sich beim Tanzen im Kreis an den Händen. Auch die Vorführungen und | |
| Festivals, auf denen sie auftreten, sollen das Beisammensein fördern. | |
| Der kulturelle Begegnungsort sei „auch für traumatisierte Menschen“ | |
| wichtig. „Wenn die Leute in Heimen wohnen oder Hartz IV bekommen, müssen | |
| sie nichts für den Kurs bezahlen“, erklärt Özgür. Für alle anderen empfe… | |
| er eine Spende. Die einzige Grenze bestehe darin, dass die Straßenschuhe | |
| vor dem Tanzen ausgezogen werden müssen. | |
| An diesem Abend stehen einige Straßenschuhe im Eingangsbereich. Nach und | |
| nach kommen Menschen dazu. „Ich fände es schlimm, wenn es die Tanzgruppe | |
| nicht mehr gibt“, sagt eine Teilnehmerin. „Für mich ist das Tanzen gut, um | |
| den Kopf auszuschalten.“ Sie sei noch nicht lange dabei, drum tanze sie | |
| meist eher weiter hinten. Das sei einfacher, weil man den Schritten besser | |
| folgen könne. | |
| ## Das Bezirksamt kennt kein Pardon | |
| Ganz vorne in der Reihe hält eine Person ein buntes Band in ihrer freien | |
| Hand, um dessen Bedeutung sich mehrere Sagen ranken. Eine besagt laut | |
| Özgür, dass das Band die Zunge eines Drachens symbolisiert, die Tanzenden | |
| sind der Drachenkörper. „Mir gefällt diese Sage“, sagt er. Sie passe zu | |
| Kurdistan – wegen der geografischen Lage, der Berge, in denen im Winter so | |
| viel Schnee liege, den damit verbundenen Albträumen, dem Wunsch nach Sonne. | |
| Doch die Zukunft seiner Tanzgruppe ist ungewiss. Die Straßenverkehrsbehörde | |
| kündigt die Ablehnung des Antrags einer Parkvignette an. Auf taz-Anfrage | |
| teilt das zuständige Bezirksamt mit: „Ein Ehrenamt ist kein Grund für eine | |
| Ausnahmegenehmigung.“ Und: Einzelne Gruppen für eine Vergünstigung | |
| auszuwählen, „widerspricht den Grundsätzen des Verkehrsrechts“. Zudem wü… | |
| eine „großzügige Erteilung von Parkvignetten“ den Erfolg der | |
| Parkraumbewirtschaftung „gefährden“. | |
| Jutta Hermanns kritisiert die Antwort: „Bei einem Sonderfall wie unserem | |
| muss eine Behörde in der Lage sein, verschiedene Dinge zusammenzudenken.“ | |
| Die Ablehnung habe nun zur Folge, dass der Staat „fleißig an der | |
| ehrenamtlichen Arbeit mitverdient“, sagt sie. „Das sind Einnahmen auf dem | |
| Rücken engagierter und noch dazu schwerbehinderter Menschen.“ | |
| 7 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Johanna Weinz | |
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