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# taz.de -- Palästina in der Schwarzen Community: Apartheid? Echt jetzt?
> Vor einem Jahr feierte Black Lives Matter den Hamas-Angriff auf Israel
> als Widerstand. Nun bröckelt die Unterstützung der Schwarzen Community.
Bild: Martin Luther King während des Marsches auf Washington, USA, 1963
„Wenn Leute ‚Zionisten‘ kritisieren, meinen sie Juden“, warnte Martin
Luther King. Seine Stimme schwang bei dieser Gelegenheit mit besonderer
Dringlichkeit: Jedwede Silbe klang wie ein Hammerschlag, der aufrüttelte
und zur Reflexion zwang.
Oktober 1967 an der Harvard-Universität. Sit-ins, Demos und Besetzungen
prägten, wie heute wieder, das Bild auf dem Campus. King unterhielt sich
mit den Gelehrten Seymour Lipset und Marty Peretz über das Fiasko in
Vietnam und nicht zuletzt über den Sechstagekrieg im Nahen Osten. Ein
afroamerikanischer Student stieß dazu und tätigte eine israelkritische
Bemerkung, die King als judenfeindlich empfand. [1][Der Historiker Martin
Kramer berichtet, King habe dem jungen Mann wütend entgegnet: „Rede nicht
so! Das ist antisemitisch!“]
Kings Verachtung für den Judenhass [2][war tief verwurzelt.] Zu seinen
Mitstreitenden gehörten die Rabbiner Joachim Prinz und Abraham Heschel.
Prinz und Heschel, die der Gestapo in die Hände gefallen waren, hatten den
Holocaust nur knapp überlebt.
Für King, der 1959 Jerusalem besucht hatte, kam es nicht in Frage, mit dem
Existenzrecht Israels zu spielen. 1968 betonte er: „Jegliches Gerede von
der Vertreibung der Juden ins Mittelmeer, wie wir es in den letzten Wochen
oder Jahren gehört haben, ist nicht nur unrealistisch, sondern es ist
selbstmörderisch für die ganze Welt, und ich halte es auch für schrecklich
unmoralisch.“
## Fallschirmjäger mit Palästinaflagge
Im Strom der Zeit verebbte jedoch die Resonanz auf Kings Botschaft. We
shall overcome wurde von From the river to the sea verdrängt. So wundert es
nicht, dass 55 Jahre nach Kings Ermordung [3][die Bewegung Black Lives
Matter (BLM) den am 7. Oktober 2023 von der Hamas verübten Terrorangriff
auf Israel begrüßte]. BLM postete voller Schadenfreude eine Illustration,
die einen Fallschirmjäger mit palästinensischer Fahne darstellte, eine
geschmacklose Anspielung auf das Massaker auf das Musikfest Supernova.
Andere zogen nach.
Es erinnert an James Baldwins provokative Warnung: [4][„Schwarze sind
antisemitisch, weil sie gegen Weiße sind.“] Prominente wie Kanye West, Dave
Chappelle und Ta-Nehisi Coates traten mit auffälliger Israel-Kritik nach,
ohne der jüdischen Community auch nur einen Hauch aufrichtiger Empathie zu
zeigen. Claudine Gay, Harvards erste afroamerikanische Präsidentin,
antwortete auf antisemitische Vorfälle an ihrer Uni mit Relativierungen und
Gleichgültigkeit.
Doch ausgerechnet an den Unis ist nun ein Umdenken zu erkennen. Die
[5][Black Student Union (BSU) der University of Michigan hat sich jüngst
von der propalästinensischen Tahrir Coalition losgesagt.] Denn die BSU habe
sich innerhalb jener Koalition einer systematischen Diskriminierung
ausgesetzt gesehen. „Es ist jedoch zunehmend offensichtlich geworden, dass
Schwarze Identitäten, Stimmen und Körper in dieser Koalition nicht
geschätzt werden, und deshalb müssen wir uns zurückziehen“, heißt es in d…
Statement.
Ähnlich negative Erfahrungen werden an Hochschulen zwischen New York und
Los Angeles gesammelt. Afroamerikanische Studierende in der
Free-Palestine-Bewegung fühlen sich wie Tokens oder Türsteher. Schwarze
haben das Gefühl, unterwürfig grinsend an der Pforte stehen zu müssen,
während White Saviors in Kufiyas hereinstolzieren, gegen die kulturelle
Aneignung predigen und von der Führung mit offenen Armen empfangen werden.
In der Mensa bezeichnen Arabischsprachige ihre schwarzen
Kommiliton:innen als abeed („Versklavte“). Gesehen wollen die
Orga-Teams lieber mit weißen Angehörigen der Jewish Voices for Peace. Es
wird gewitzelt, dass Schwarze eh nur wegen der Wassermelone, des Symbols
der propalästinensischen Bewegung, mitmarschieren wollen.
## Jim-Crow-Klischees
Damit wird ein aus der Jim-Crow-Ära stammendes Klischee bedient, das
Schwarze als faule Halbmenschen darstellt, die wegen ihrer Armut auf
billige Lebensmittel wie Wassermelonen angewiesen sind. Und so sehr die
Intifada die „Dekolonialisierung“ als Ziel auch betont, ist sie kaum dazu
bereit, [6][die 1.300 Jahre lange Geschichte des arabischen Sklavenhandels
aufzuarbeiten.]
Dass es sich um eine Zäsur handelt, verraten [7][die erhitzten
Streitgefechte, die im Netz zu erleben sind.] Auf Instagram [8][ruft die
queere Panafrikanistin Afeni X verzweifelt dazu auf, das Bündnis mit
Palästina nicht weiter zerbröckeln zu lassen]. Ihre Durchhalteparolen
finden aber wenig Anklang. Heftig erwidert man, sie betreibe „White-Washing
für Rassist:innen mit brauner Hautfarbe“. Andere konfrontierten sie mit
der brutalen, selbst von Amnesty International bestätigten
LGBTQ-Feindlichkeit der Hamas. Eine Userin mahnt überdies, keine Schwarze
Mama solle ihre Kinder zu Märtyrer:innen des Islamismus umerziehen
lassen.
Die Anspielung ist auf die [9][Terrorcamps für Kindersoldat:innen],
die Amnesty International seitens der Hamas angeprangert hat. Im Gegenzug
werfen Palästinenser:innen vor, es seien häufig Black GIs, die den
Krieg gegen muslimische Länder führen. Schwarze wiederum kontern,
muslimische Terroristen wie Boko Haram haben auch Abertausende afrikanische
Menschen auf dem Gewissen. Und warum darf die Causa Palästina [10][die
weitaus größeren Tragödien im Kongo oder in Sudan verdrängen]?
[11][Die Hinrichtung zweier Tansanier durch die Hamas am 7. Oktober 2023]
wirkt auch nach. Einer der beiden, Joshua Mollel, ein Agrar-Praktikant aus
dem Kibbuz Nahal Oz, wurde sogar vor laufender Kamera rassistisch
schikaniert, ehe seine Entführer ihn erschossen. So hatte der KKK den
Schwarzen Aktivisten James Earl Chaney 1964 in Mississippi gelyncht, und
seine weißen jüdischen Kollegen Andrew Goodman und Michael Schwerner waren
mit ermordet worden. Solche historischen Bezugspunkte veranlassen viele
Afroamerikaner:innen über jene Zeiten nachzudenken, in denen jüdische
Menschen ihr Leben riskierten, um Schwarzen in den Südstaaten bei der
Wahrnehmung des Wahlrechtes zu helfen.
## Gazakrieg im Wahlkampf
Im aktuellen US-Wahlkampf sorgt der Gazakrieg für eine weitere Dynamik. Die
arabische Community wirft Kamala Harris, die mit einem Juden verheiratet
ist, „Israel-Hörigkeit“ vor. Wahrhaftig verteidigt Harris das Existenzrecht
des jüdischen Staates, und hat jüngst zwischenrufende propalästinensische
Demonstrierende scharf zurecht gewiesen.
Seither wird die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten mit
rassistischen Memes und Emojis bombardiert, die eindeutig aus dem
propalästinensischen Lager kommen. Wie dereinst Condoleezza Rice, die 2006
in der palästinensischen Tageszeitung Al-Quds als ein mit [12][Affenbaby
geschwängertes Girl karikiert wurde.]
Auch in Deutschland nimmt man die mittlerweile differenzierte Betrachtung
der Causa Palästina zur Kenntnis.
Für einige von uns stand sogar von Anfang an fest, dass die angestrebte
Allianz problematisch war. Dazu zählen die zwei nichtjüdischen
Afrodeutschen Elisa Aseva, 44, und Patrice Poutrus, 63, die hier in Berlin
den Schwarzen Tisch gegen Antisemitismus gegründet haben.
## Apartheid ohne Empirie
Neben ihrem engagierten Plädoyer für mehr Solidarität mit jüdischen bzw.
israelischen Menschen bekunden die Buchautorin und der Historiker, und zwar
aus antifaschistischer Perspektive, ihre „Ablehnung gegenüber
politisch-islamistischen Kräften“. Der Historiker Poutrus findet es zudem
problematisch, dass propalästinensische Demonstrierende „jenseits von
Empirie und Kontext“ von Apartheid reden.
Zurück zu der eingangs erwähnten Auseinandersetzung zwischen Martin Luther
King und dem schwarzen Studenten. Diese geschah am 27. Oktober 1967, meinem
6. Geburtstag. Es war ein Freitag. Meine Mutter holte mich von der Schule
ab, und wir flitzten zum Kinderladen von Saba Jake, einem alten jüdischen
Händler, der wegen Schabbats bald schließen sollte. Wir duckten uns unter
den halb heruntergelassenen Rollläden und traten ein. Mein bestelltes
Geschenk, ein Reliefglobus der Welt, war eingetroffen, und Saba Jake packte
diesen kurz aus. Er zeigte mir, wo Israel lag.
Der jüdische Staat war winziger und schmaler als sein kleiner Fingernagel.
Ich bekomme noch heute ein Klößchen im Halse, wenn ich an Saba Jakes
melancholisches Lächeln zurückdenke.
15 Oct 2024
## LINKS
[1] https://martinkramer.org/2012/03/12/in-the-words-of-martin-luther-king
[2] https://blogs.timesofisrael.com/what-would-martin-luther-king-say-about-the…
[3] https://abc3340.com/news/nation-world/blm-chicago-backs-palestine-after-ham…
[4] https://archive.nytimes.com/www.nytimes.com/books/98/03/29/specials/baldwin…
[5] https://www.michigandaily.com/news/news-briefs/bsu-withdraws-from-tahrir-co…
[6] /Tag-der-Erinnerung-an-den-Sklavenhandel/!6028125
[7] https://www.instagram.com/reel/C-s0_8pOktp/
[8] https://www.instagram.com/p/C_Z6OxxsMUR/
[9] /Gaza-Krieg-und-Weltkindertag/!6034521
[10] /Einstellung-zum-Krieg/!5969305
[11] https://www.bbc.com/news/world-africa-67713520
[12] https://www.arabnews.com/node/279995
## AUTOREN
Michaela Dudley
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