# taz.de -- Osman Taşköprü über die Morde des NSU: „Die Nazis waren es ni… | |
> Osman Taşköprüs Bruder Süleyman wurde vom NSU ermordet. Bis heute fordert | |
> er Antworten – und einen Untersuchungsausschuss. | |
Bild: Gedenken an NSU-Opfer Süleyman Taşköprü: Bis heute hofft seine Famili… | |
taz: Am 4. November 2011 wollte die Polizei in Eisenach zwei Bankräuber | |
stellen und entdeckte zwei Rechtsterroristen tot in einem Wohnmobil. Keine | |
Ermittlung der Polizei, kein Hinweis vom V-Leuten führte zum Auffliegen des | |
NSU um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Können Sie sich an | |
Ihre erste Reaktion auf diese Nachricht erinnern, Herr Taşköprü? | |
Osman Taşköprü: Schock. Ich war einfach geschockt, konnte nicht glauben, | |
dass Nazis so lange mordend durch Deutschland ziehen konnten. Trotzdem war | |
es aber auch keine Überraschung. Wie so viele Betroffenen des NSU dachte | |
ich bei dieser Mordserie, der überwiegend Türken zum Opfer fielen, immer | |
wieder, dass das Nazis sein müssen. An dem Tag der Nachricht war ich auch | |
traurig. Kurz vor dem Auffliegen war meine Oma gestorben, sie hatte | |
Süleyman vor allem aufgezogen. Und nach den Ermittlungen gegen uns, hätte | |
ich mir gewünscht, dass sie die Wahrheit noch erfahren hätte. | |
In 90 Prozent der Fälle kommen die Täter aus dem nahen Umfeld des Opfers… | |
Ich werfe der Polizei nicht vor, auch mich und meine Familie überprüft zu | |
haben. Ich halte ihnen allerdings vor, nur in diese Richtung ermittelt zu | |
haben. Sie suchten bei uns nach Kontakten zur organisierten Kriminalität, | |
Schutzgelderpressungen und Verbindungen zur PKK. Warum? Es hat in all den | |
Jahren, in denen ich das Geschäft betrieb, ab 1998, nie | |
Schutzgelderpressungen gegeben, meine Schwestern, die teilweise mit im | |
Laden arbeiten, hatten auch nie von Bedrohungen erzählt. Die Ermittler | |
ignorierten auch Aussagen, die letztlich in die richtige Richtung | |
hinwiesen. | |
Vor dem Landgericht München wiederholte ihr Vater im Verfahren gegen die | |
Hauptbeschuldigte Beate Zschäpe und vier Unterstützer auch zwei | |
Personenbeschreibungen. Sie wurden nicht verfolgt? | |
Ja, mein Vater war ja kurz nach den Schüssen im Laden, mein Bruder starb in | |
seinen Armen. Mein Vater hatte Oliven geholt. Als er wieder kam, begegnete | |
er zwei Männern: groß, schlank, zwischen 25 und 30 Jahren, Deutsche, keine | |
Südländer. Das sagte er der Polizei. Die Spur wurde nie verfolgt. | |
Für Ihre Familie war nach der Tat nichts mehr wie früher? | |
Nicht nur für ein paar Monate. Drei, vier Jahre konnte ich nichts mehr mit | |
mir anfangen. Mir war alles scheißegal. Das Wissen, dass ich meinem Bruder | |
zweieinhalb Monate zuvor den Laden übergeben hatte, belastete mich sehr. | |
Meine Eltern kämpften sehr, um irgendwie weiter zu leben. Meiner jüngeren | |
Schwester ist es bis heute nicht möglich, in ein „normales Leben“ | |
zurückzukehren. | |
In einen Brief an den damaligen Bundespräsidenten hat Ihre Schwester 2013 | |
auch die Ermittler für das Leid der Familie verantwortlich gemacht. Teilen | |
Sie die Einschätzung? | |
Ja, absolut. Telefonate wurden abgehört, Nachbarn befragt und und und. Wir | |
waren in Altona eine angesehene Familie. Nach den Ermittlungen zogen sich | |
Freunde und Nachbarn mehr und mehr zurück. Man kennt das ja, irgendwann | |
denkt man: Wenn da so ermittelt wird, muss doch irgendwas dran sein. | |
Hintenrum wurde getuschelt. Hier und da gab es böse Blicke. Später, nach | |
dem Bekanntwerden der Täter folgten aber auch Entschuldigungen. | |
Haben sich die Ermittler bei Ihnen entschuldigt? | |
Nein. Ich meinte Nachbarn und frühere Freunde. Von der Polizei war gar nix | |
zu hören. | |
Bis heute nehmen Angehörige an, dass das Strafverfahren auch wegen den etwa | |
30 bekannten V-Leuten um den NSU so schwierig ist. Sie auch? | |
Die drei, ich will ihre Namen gar nicht aussprechen, die haben die Morde | |
nicht alleine vorbereitet und verübt. 2012 hat uns die Bundeskanzlerin nach | |
Berlin eingeladen und vollständige Aufklärung versprochen. Aber ihr | |
Versprechen hat weder Angela Merkel noch irgendwer anders eingehalten. | |
In Interviews haben aber auch Ihre Rechtsbeistände vor zu hohen Erwartungen | |
an die Hauptverhandlung gewarnt. | |
Mir war das bewusst. Es erschüttert dennoch, zu erleben, dass alle | |
Bemühungen von Nebenklägern, zu erfahren, wer dem NSU-Kerntrio geholfen | |
haben könnte, von der Bundesanwaltschaft oder dem Gericht abgebügelt | |
werden. | |
Kann man sagen, dass eine Ihrer Anwältinnen gegen Ihre Interessen handelte? | |
In Ihrem Plädoyer und einer Publikation widerspricht sie institutionellem | |
Rassismus, der die Ermittlungen beeinflusst hätte, hält es für möglich, | |
dass einer der Angeklagten, der die Mordwaffe besorgte, unschuldig ist. Und | |
sie macht sich lustig über jene Nebenkläger, die nach | |
Unterstützungsnetzwerken suchten. | |
Sie hat uns verraten! Sie hat meine Schwester vertreten. Sie hat uns nichts | |
darüber erzählt, was sie da im Gericht erzählt hat. Zu diesem Zeitpunkt | |
konnten wir dann aber nicht mehr die Anwältin wechseln, weshalb sich meine | |
Schwester aus dem Verfahren zurückgezogen hat, damit die Anwältin keinen | |
weiteren Schaden anrichtet. | |
Seit Monaten behindern die Rechtsbeistände von Zschäpe und den | |
Mitangeklagten Wohlleben und Eminger, dass ein Urteil gesprochen werden | |
kann. Werden Sie zur Urteilsverkündung fahren? | |
Mal schauen. Wir hoffen, dass mit dem Urteil kein Schlussstrich gesetzt | |
wird. In den vergangenen Jahren konnten wir schon erleben, dass das | |
Interesse am Verfahren sank. Mitgefühl für die Betroffenen, wenn ich das | |
mal deutlich sagen darf, kam sowieso kaum auf, auch in der türkischen | |
Community nicht. Die Taten scheinen so weit weg zu sein, als wäre das alles | |
Vergangenheit. Doch hier wurde gemordet, hier haben Nazis meinen Bruder | |
umgebracht. Die Polizei und die Medien haben Lügen über ihn verbreitet. | |
Damals sicherte uns auch der damalige Innensenator Hamburgs, Michael | |
Neumann, Aufklärung zu. Wo ist sie? | |
Im Bundestag und in einigen Landtagen hat es Untersuchungsausschüsse | |
gegeben. In der Hamburgischen Bürgerschaft findet sich keine Mehrheit für | |
einen Untersuchungsausschuss. Sie fordern ihn. | |
Es gibt kein Argument gegen einen Untersuchungsausschuss. Die Ermittler | |
haben meiner Familie viel Leid angetan. Sie haben die Aussagen meines | |
Vaters, der die Mörder gesehen hat, komplett ignoriert. Die zentrale Frage, | |
warum wer Opfer des NSU wurde, ist bis heute nicht beantwortet. Wir wissen | |
nicht, warum mein Bruder Opfer des NSU wurde. Keine Familie weiß, warum ihr | |
Vater, ihr Sohn, ihr Bruder von den Neonazis ausgewählt wurde. Eine | |
Gesellschaft sollte sich nicht mit diesem Nichtwissen abfinden. Die | |
Nazimörder waren es nicht alleine. | |
22 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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