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# taz.de -- Ökodorf in Schottland: Wo die Leute in Whiskyfässern leben
> Die Findhorn-Community im Norden Schottlands hat einen der niedrigsten
> ökologischen Fußabdrucke in der industriellen Welt.
Bild: Wer Freiraum vom Gemeinschaftsleben braucht, fährt an die Findhorn Bay
Es ist Freitagabend und das üppige Buffet wird heute durch die Kreationen
unseres Rohkostworkshops ergänzt: Es gibt Zucchinistreifen, die wie
Spaghetti aussehen und mit einer rohen Tomatensauce gereicht werden, Hummus
aus Kichererbsensprossen, Veggie-Burger aus Karotten und Mungosprossen,
Algenkekse und Rohkostkäse aus fermentierter Walnusspaste. Das Schöne an
Findhorn ist, dass nichts dogmatisch gesehen wird. Deshalb wundert sich
auch niemand, dass die TeilnehmerInnen der Rohkostwoche mit großem Appetit
die heiße Suppe, die Lasagne und die Schokoladentorte vom Buffet vertilgen.
Die Findhorn Community im Norden Schottlands ist eines der ältesten
Ökodörfer der Welt, spirituelle Gemeinschaft und erfolgreicher Urlaubs- und
Workshopanbieter zugleich. Sie rühmt sich, „einen der niedrigsten
ökologischen Fußabdrucke in der industriellen Welt“ zu haben. Sie ist
Gründungsmitglied des Globalen Ökodorf Netzwerks und die Vereinten Nationen
haben die Findhorn-Stiftung als Nichtregierungs-Organisation anerkannt.
Seit den Siebzigerjahren hat die Gemeinschaft am Rande des ehemaligen
Fischerdorfes Findhorn Tausende Hippies und New-Age-Anhänger angezogen.
Heute reisen vor allem an Ökologie, Spiritualität und Gemeinschaftsleben
interessierte Menschen in das schottische Dorf.
## Grüne Algen für das Rohkostmittagessen
Ich habe eine Rohkostwoche gebucht, um das berühmte alternative Dorf
kennenzulernen. Mit unserer Workshop-Leiterin Sheila streifen wir über die
Wiesen und sammeln essbare Blätter und Kräuter ein. Schlag halb elf ist
damit Schluss. Teepause.
Martin von der Gartenabteilung erzählt uns, dass er gemeinsam mit
freiwilligen HelferInnen Gemüse und Obst für die Gemeinschaft anbaut –
natürlich ohne den Einsatz von Pestiziden und künstlichem Dünger. Das
Küchenteam verarbeitet die Produkte zu leckeren vegetarischen Mittagessen
und Abendmahlzeiten. Zwischen den Beeten stehen Bänke und eine Gartenlaube,
glückliche Hühner laufen herum.
Vom Gemüsegarten führt ein Weg durch die Dünen zum Sandstrand, der sich
kilometerlang vom Ort Findhorn nach Westen erstreckt. Für unser
Rohkostmittagessen finden wir auf den Felsen grüne Algen. Später werden wir
sie trockenen und unter den Salat mischen. Das Ökodorf ist in den
vergangenen Jahrzehnten stetig gewachsen. Neben alten Holzhäusern aus den
60er Jahren – einige von ihnen wurden aus Whiskytanks gebaut – stehen heute
unterschiedlich gestaltete Energiesparhäuser mit Solarzellen auf dem Dach.
Im Norden ist eine neue Reihenhaussiedlung entstanden, eine weitere ist im
Bau.
## Meditationsräume und Freiluftbad
Das Zentrum des Ökodorfes bilden das Community Center mit Küche und
Essräumen und die Universal Hall, ein Rundbau, in dem Theaterstücke,
Konzerte und Tanzveranstaltungen stattfinden. Daneben gibt es:
Meditationsräume, ein heißes Freiluftbad, die Kunstgalerie, die Töpferei,
die Pflanzenfarbendruckerei, ein Café, eine Crèperie und einen kleinen
Laden mit Lebensmitteln und Büchern.
Viele ehemalige Dorfbewohner haben sich in der Gegend um Findhorn
selbstständig gemacht. Heute gehören etwa 1.400 Menschen der New Findhorn
Association an. Sie leben nicht in der Gemeinschaft, aber sie fühlen sich
ihr zugehörig. Auch einige Deutsche sind dabei, zum Beispiel die ehemalige
Stewardess Lieselotte Franke. Sie bietet nur fünf Gehminuten von der
Community entfernt Bed and Breakfast an.
Auf ihrem Stammplatz vor dem Meditationsraum sitzt Dorothy Maclean, die vor
55 Jahren die Community mitgründet hat. Die 95 Jahre alte rüstige Dame hat
viele Jahre in Amerika gelebt und ist vor einiger Zeit nach Findhorn
zurückgekehrt. Im Jahr 1962 zogen Eileen und Peter Caddy mit ihren drei
Kindern und ihrer Freundin Dorothy auf den damaligen Campingplatz am Rande
des Fischerdorfes Findhorn.
Der kleine grüne Wohnwagen, in dem sie damals lebten, steht immer noch in
der Mitte des Ökodorfes und wird heute als Büro genutzt. Sie legten einen
Gemüsegarten an, in dem erstaunlich große Kohlköpfe wuchsen. Die
Gemeinschaft zog immer mehr spirituell interessierte Menschen an. Ihre
Mitglieder bauten Wohnhäuser, ein kleines Meditationsgebäude und einen
Essensraum. Sie kauften den Campingplatz und das nahegelegene Cluny Hill
Hotel. In dem großen, altmodischen Gebäude finden heute Seminare und
Workshops statt.
## Selbstverwirklichung für die älteren Semester
Zur morgendlichen Teepause an meinem dritten Tag bin ich bei Craig Gibsone
eingeladenen. Der in Australien geborene Künstler bietet mir schwarzen Tee
und Haferkekse an, eine nette Abwechslung vom strengen Rohkostregime in
unserem Workshop.
Craig kam Ende der Sechzigerjahre nach Findhorn. Er wohnt in mehreren
runden, etwa fünf Meter hohen Whisky-Fässern, die miteinander verbunden
sind. Das gemütliche Wohnzimmer geht in einen weiteren runden Raum über.
Licht dringt durch ein rundes Fenster an der Oberseite des Hauses. Über
eine Treppe gelangen wir in das Atelier im ersten Stock und von dort aus
auf die Dachterrasse, die einen Ausblick auf den liebevoll angelegten
Garten bietet.
„Eigentlich wollte ich mit einem Freund Whiskyfässer als Brennholz kaufen,
aber als wir diese großen Tanks sahen, hatten wir die Idee, dass man daraus
Häuser bauen könnte“, erzählt Craig. Der agile Mittsiebziger erinnert sich:
„Ende der Sechzigerjahre hatte ich genug von der Hippieszene in London und
war auf der Suche nach einer spirituellen Heimat. Als ich hier ankam, hatte
ich das Gefühl, endlich zu Hause zu sein.“ Was der unabhängige Geist an
Findhorn besonders mag: „Hier gibt es keine Doktrin. Menschen aller
Religionen kommen zusammen und tolerieren sich. Was uns eint, ist der
Respekt und die Fürsorge für die Menschen und die Natur.“
Heute ist Craig einer von 120 Angestellten der Findhorn-Stiftung und
veranstaltet Workshops über Ökologie, Architektur und Spiritualität sowie
Mal- und Töpferkurse. Seine beiden Töchter sind in Findhorn aufgewachsen
und haben die von Craig mitgegründete Steiner-Schule in der Nähe besucht.
Tara ist inzwischen 21, studiert Sozialwissenschaften und wird in diesem
Sommer ihre erste „Findhorn-Erfahrungswoche für Jugendliche“ leiten.
„Unsere Gemeinschaft zieht vor allem Menschen an, die etwas älter sind und
sich für Spiritualität und Ökologie interessieren“, sagt Craig, „in Zuku…
wollen wir aber auch mehr Programme für junge Leute anbieten.“
## Leben als Gast in der Gemeinschaft
Daniela Zapf ist 22 und gehört damit zu den Jüngeren in Findhorn. Ich
treffe sie, als sie vor dem Community Center ein Beet umgräbt. Die
Freiburgerin absolviert das dreimonatige Programm „Leben als Gast in der
Gemeinschaft“ und bezahlt dafür einige Hundert Euro im Monat. Ein Freund
hatte ihr von Findhorn erzählt, als es ihr gerade nicht gut ging und sie
ihr Studium abgebrochen hatte.
Fünf Stunden am Tag arbeitet sie im Gärtnereiteam. „In der übrigen Zeit
kann ich an anderen Projekten teilnehmen, zum Beispiel an kreativen
Workshops“, erzählt sie. Gemeinsam mit anderen hat Daniela ein Papier
ausgearbeitet, wie der Aufenthalt in der Gemeinschaft für Jugendliche
günstiger und attraktiver gemacht werden könnte. „Ich hoffe, dass die
Stiftung unsere Vorschläge akzeptiert“, sagt sie.
Yasko, eine der beiden Leiterinnen unseres Rohkostworkshops, fühlt sich „in
Findhorn zu Hause“. Die 46-jährige Grafikdesignerin hatte vor zehn Jahren
in Japan ein Buch über die Gemeinschaft gelesen und wusste danach, wo sie
hin wollte. Sie buchte die „Erfahrungswoche“ und reiste nach Schottland.
Danach kam das dreimonatige Gastprogramm, dann arbeitete sie einige Jahre
lang im Garten und in der PR-Abteilung. Inzwischen ist sie
Geschäftsführerin der Universal Hall.
„Wo immer ich innerhalb der Community hingehe, treffe ich Menschen mit
denen ich gute Gespräche führen kann“, schwärmt sie: „Wir leben und
arbeiten alle für denselben Traum.“ Natürlich gebe es auch immer wieder
Spannungen, schließlich lebten in Findhorn viele ausgeprägte
Persönlichkeiten. „Aber alle halten sich an unsere Prinzipien des
friedvollen Umgangs mit den Menschen und der Natur“, sagt Yasko. Wenn es
Probleme gibt, finden sich immer Menschen, die vermitteln. „Wir haben sehr
viele Therapeuten und Berater in unserer Gemeinschaft“, berichtet die
Japanerin und lacht.
## Eine Gemeinschaft für viele Existenzgründer
Nicht nur Therapeuten, auch andere Selbstständige leben in der Gemeinschaft
oder in ihrer Nähe: Yogalehrer, Heilpraktikerinnen, eine Kräuterexpertin,
eine Firma für Blütenessenzen. Außerdem gibt es einen Verlag, ein
Unternehmen, das Solarplatten verkauft und den Windpark. „Wir verkaufen
Strom, denn unsere vier Windräder und die Solaranlagen stellen mehr Strom
her, als wir verbrauchen“, sagt Yasko.
Den Südafrikaner Geoff Dalglish hat der niedrige ökologische Fußabdruck des
Ökodorfes angezogen. „Ich wollte wissen, wie die das machen“, erzählt der
66-Jährige, der seit sechs Jahren in Findhorn lebt. Sein eigener CO2-
Fußabdruck als Autorennfahrer war einst enorm. Inzwischen ist Geoff aufs
Wandern umgestiegen. In den vergangenen zwei Jahren marschierte er 16.000
Kilometer: durch Italien, Frankreich und Spanien und in Afrika. Wenn er
nicht gerade auf Wanderschaft ist, organisiert er die Öffentlichkeitsarbeit
der Gemeinschaft.
## Finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde
Geoff hält auch Kontakt zu den örtlichen Gemeindepolitikern: „Sie haben
verstanden, dass wir hier wichtige Arbeit leisten, und unterstützen uns
finanziell.“ Bis zu 4.000 Leute besuchen jedes Jahr die Findhorn-Workshops,
dazu kommen viele Tagesgäste. „Wir sind inzwischen ein wichtiger
Wirtschaftsfaktor in der Gemeinde“, sagt Geoff. Früher, so der ehemalige
Rennfahrer, hätten die schottischen Nachbarn die Findhorn-Community als
Hippiekommune abgetan. „Inzwischen wissen die meisten, dass wir hier
sinnvolle Sachen machen und Gäste aus aller Welt anziehen.“
Immer mehr Einheimische kommen auch zu den öffentlichen Konzerten und
Filmen in der Universal Hall. Die Angestellten der Findhorn-Stiftung
bekommen einen Teil ihres Gehalts in der Alternativwährung Eco ausgezahlt.
Ein Eco entspricht einem britischen Pfund und man kann damit inzwischen
sogar im Pub und im Restaurant des nahegelegenen Dorfes Findhorn bezahlen.
„Der Eco trägt dazu bei, dass die Leute ihr Geld lokal ausgeben“, erläute…
Geoff, „und nicht in die großen Supermärkte tragen.“
20 Sep 2015
## AUTOREN
Tina Stadlmayer
## TAGS
Wohnprojekt
Windräder
Trinkwasser
Lifestyle
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