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# taz.de -- Versuchsweise ökologisch: Wo die Welt eine bessere ist
> In einem Ökodorf bei Hamburg leben 250 Menschen in einem
> Wohnprojekt-Dorf. Aber viele Ökostandards sind aus Kostengründen nicht
> umsetzbar
Bild: Interessiert sich für Marx und das Weltall: Karl Fischer wohnt seit Begi…
WULFSDORF taz | Eigentlich haben sie auf der Allmende alles, außer eine
Kneipe und eine Kirche. Würde jemand ankommen und eine Kirche errichten,
wäre Karl Fischer raus. „Ich hab mit Religion nix am Hut“, sagt er. Es
ärgert ihn, dass man sich heutzutage zwangsläufig damit befassen muss. Weil
Menschen töten, um ihre Auffassung der jeweiligen Religion zu verbreiten.
Karl Fischer ist 76 Jahre alt und Materialist. „Nach Marx“, wie er sagt:
„Die Materie ist die Grundlage, auf der sich das Geistige entwickelt.“ Er
interessiert sich für Atomphysik und für das Weltall. An den Wänden in
seinem Zimmer im Alleehaus der Allemende hängen Bilder von Monden und
Planeten. In einer Ecke hängt ein Bild von Che, mit dem berühmten Satz:
„Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.“ Eine Peace-Flagge
klemmt eingerollt zwischen Wand und Bücherregal.
Karl Fischer, der findet, dass Karl reicht, denn auf der Allmende duzt man
sich, also Karl, wohnt von Anfang an auf der Allmende. Das heißt seit 2005
– dieses Jahr im September haben sie hier zehnjährigen Geburtstag gefeiert.
Als sie damals den Verein Allmende e.V. gründeten, waren es nur 30 Leute,
die auf dem Bezirksamt Ahrensburg den Kaufvertrag über das Grundstück an
der Grenze zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein unterzeichnet haben.
Mittlerweile wohnen 250 Menschen in dem selbst gegründeten Dorf. Wie in
einem riesigen Wohnprojekt leben Familien mit kleinen Kindern,
Alleinstehende und viele Alte hier zusammen. Um sie herum: nur Acker und
Wiesen.
## Ein Glück, dass herausfordert
Ökologisch vertretbar und sozial engagiert gemeinschaftlich zu leben –
darum geht es den BewohnerInnen. Ökodorf würden sie es nicht nennen, sagt
Karl. Allmendianer wollen sie auch nicht genannt werden. Das klingt
furchtbar, findet er. Ihm geht es hauptsächlich darum, in der Natur zu sein
und trotzdem in der Nähe der Großstadt Hamburg. „Und um das
Gemeinchaftliche.“ Mit Mitte 60 noch so viele neue Menschen auf einen
Schlag kennengelernt zu haben, ist schon etwas Besonderes, findet der
pensionierte Lehrer. Ein Glück und zugleich eine Herausforderung.
Karl und seine Frau – auch sie pensionierte Lehrerin – fahren zwei bis drei
Mal pro Woche nach Hamburg, zur Uni. Sie sind GasthörerInnen. Karl besucht
dieses Semester zwei Vorlesungen: „Lyrik und Moderne um 1900“ und „Utopie
und Dystopie“. In beiden sitzen eigentlich nur GasthörerInnen. Eine halbe
Stunde braucht die U-Bahn aus der Innenstadt zur Station Buchenkamp und
dann muss man zwanzig Minuten durch den Wald laufen. Man muss zwei Gatter
durchqueren, an denen „Vorsicht, freilaufende Schafe“ steht, dann einen See
mit Fischzucht passieren, danach ein Schild: „Junghähne gegen Spende
abzugeben“. Nach einem kurzen Stück Straße hört der Bereich auf, wo Autos
erlaubt sind: Hinter dem Parkplatz liegt die Allmende.
100 Wohnungen in 15 Hausgemeinschaften liegen großzügig verteilt auf einem
sechseinhalb Hektar-Grundstück. Dazwischen gewundene Wege, Sträucher, viel
Laub und wilde Wiesen. Alle Häuser haben Namen: ein gelbes heißt Löwenzahn,
ein grünes Sterntaler, ein weißes Morgentau.
## 90 Prozent des eigenen Wärmebedarfs decken
„Ökologie ist nicht der Hauptaspekt bei uns“, sagt Karl. Aber ein paar
Standards und ein bisschen was darüber hinaus haben die BewohnerInnen
umgesetzt. Eines der Häuser ist ein Passivhaus, drei andere sind aus Holz.
Wieder drei andere haben Solarenergie auf den Dächern. Die Dorfgemeinschaft
würden gern mehr Energiestandards umsetzen – ihren eigenen Strom
produzieren zum Beispiel. Aber solche Investitionen sind teuer.
„Und wir haben ja noch nicht ’mal ein Gemeinschaftshaus“, sagt Karl. Das
ist ein bisschen paradox – das Miteinander ist schließlich das, worum es
den BewohnerInnen geht. Zwei Häuser, in denen Menschen mit Behinderung
wohnen, gehören zur Allemende und es gibt einen integrativen Kindergarten.
Ein Gemeinschaftshaus ist mittlerweile immerhin in Planung.
Das Herzstück der Allmenden-Ökologie aber ist das
Holzhackschnitzelheizwerk. Wie ein Schuppen sieht es aus, mit zwei
Containern davor, in denen je 30 Kubikmeter Holzschnitzel lagern. In dem
Häuschen befindet sich ein riesiger Kessel, in dessen Inneren die
Holzschnitzel verbrannt werden. Dabei entstehen Temperaturen bis zu 1.000
Grad und erhitzt sich das Wasser, das durch die Rohre am Kessel gepumpt
wird und anschließend in die Heizungen der Allmende fließt. 90 Prozent des
Wärmebedarfs können sie durch die Holzheizung decken. Wenn es richtig
bitter kalt wird, bezieht die Allmende zusätzlich Erdgas. Strom kauft sie
selbstverständlich von einem Öko-Anbieter.
Karl und seine Frau Barbara waren von Anfang an Teil der
Anti-Atom-Bewegung. Neben ihrer Tür steht ein Adventsgesteck aus Tannen und
Kiefernzweigen, in dessen Mitte ein gelbes Anti-Atom X steckt. Früher sind
Karl und Barbara immer ins Wendland gefahren. Aber die Castor-Demos gibt es
ja jetzt nicht mehr. Schade eigentlich.
Entscheidungen treffen die BewohnerInnen der Allmende gemeinsam – aber
nicht mehr im absoluten Konsens. „Sonst wären wir heute nicht da, wo wir
sind“, sagt Karl. Das sei letztlich nicht praktikabel. Alles Wichtige
besprechen sie auf den Vereinssitzungen, die zwei bis drei Mal im Jahr
stattfinden. Wer jenseits davon etwas zu klären hat, kann Unterschriften
sammeln und eine außerplanmäßige Vereinssitzung einberufen. Recht
bürokratisch also. „Bürokratisch?“, erwidert Karl empört: „Das ist
basisdemokratisch!“
Als sich die BewohnerInnen der Allmende damals zusammengetan haben, wollten
sie „die Idee vom Dorf neu erfinden“ – so steht es auch in ihrer Broschü…
Das Konzept der Allmende kommt aus dem frühen Mittelalter: Gemeinschaftlich
bewirtschaftete Flächen gehörten damals zu fast jedem Dorf. Diese
Allemenden waren Gemeinschaftseigentum und wurden von allen
DorfbewohnerInnen gleichermaßen bewirtschaftet. Deshalb gab es keine Zäune
und genau aus diesem Grund gibt es auch auf der Allmende Wulfsdorf keine
Zäune. Auch hier war die Idee, die anfallende Arbeit wie Laubharken,
Rasensprengen oder Beetepflegen in gleichem Maße zwischen den BewohnerInnen
aufzuteilen. In der Praxis hat das nie so gut geklappt. Jetzt kann man Geld
an den Verein spenden, wenn man sein Soll nicht erfüllt.
Manche BewohnerInnen der Allmende arbeiten beruflich auf dem Gelände – 40
Prozent der Gebäude sind Gewerbeflächen. Ein Fotostudio haben sie
errichtet, ein Künstlerhaus, eine Textilwerkstatt, eine Eurhythmie- und
eine Naturheilkundepraxis. Eine Saatgutforscherin hat sich ein Labor
eingerichtet. Auch ein Bestattungsunternehmen ist dabei. Wirkt das nicht
bedrückend – ein ständiges Erinnern an die Vergänglichkeit des Lebens? Karl
winkt ab. Für Neuankömmlinge sei es vielleicht etwas merkwürdig.
„Aber die meisten gewöhnen sich schnell dran. Was bleibt ihnen auch übrig?
Der Tod gehört eben auch zum Leben.“ Als Aussteigerdorf würde Karl die
Allmende nicht bezeichnen. „Hier steigt niemand irgendwo hin aus“, sagt er.
Haben sie denn hier WLAN, Flachbildfernseher und Smartphones? „Wir leben
doch nicht hinterm Mond, ey“, sagt Karl. In seinem Zimmer steht sogar ein
ziemlich großer Flachbildfernseher. Warum manche Leute so was ablehnen,
versteht er nicht. Es ist doch ein uralter Menschentraum, Märchen erzählt
zu bekommen.
## Ernten nach dem Mondkalender
Eine Zeit lang galt die Allmende als Antroposophendorf, sagt Karl. Die
Ahrensburger redeten über sie, als seien sie eine Sekte. „Das hat gedauert,
da rauszukommen.“ Karl mag keine Antroposophen. „Die sind mir zu wenig
rational. Wenn Leute so in geistigen Sphären schweben, das führt uns in die
Irre.“ Bei 250 BewohnerInnen seien aber natürlich ein paar Antros dabei.
Aber man akzeptiert sich gegenseitig. „Und man muss ja auch nicht mit allen
gleichermaßen gut zurechtkommen.“
Auch nicht mit dem Demeter-Hof nebenan. Über Demeter hat Karl einiges in
Internetforen gelesen: Dass sie ihre Erntezeiten nach den Mondphasen
ausrichten, zum Beispiel. Oder bei Vollmond Kuhhörner auf dem Acker
vergraben. Ob das stimmt, weiß Karl nicht. Er zuckt die Schultern. „Kann
schon sein, dass die irgendwie so was machen.“
Vom Klimagipfel in Paris hat sich Karl nicht viel versprochen. „Da bin ich
sehr skeptisch“, sagt er. Immerhin finde der Gipfel überhaupt statt. Klar,
das sei schon mal gut. Aber letztlich hätten dort ohnehin die
geschäftlichen und die nationalen Interessen überwogen. „Die Macht des
Kapitals“, sagt der pensionierte Lehrer, „sei eben schwer zu überwinden.“
14 Dec 2015
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Wohnprojekt
Flüchtlinge
Tempelhofer Feld
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