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# taz.de -- Treffen der Mikronationen in Italien: Die Lust am Spalten
> Auf der internationalen Konferenz in Italien versuchen selbsternannte
> Herrscher und Scheinmonarchen, die Welt zu verbessern.
Bild: Die Erlauchten: Großherzog Niels von Flandrensis, Kronprinzessin Greta v…
Prinz Jean-Pierre IV schwitzt. Es sind fast 40 Grad im Konferenzraum und
sein Kopf ist röter als der Teppich zu seinen Füßen. Bis zum Hals ist er
eingepackt in seine Staatsuniform, ins royale Blau-Weiß des „Fürstentums
von Aigues-Mortes“. Seiner Monarchie.
Für die „International Conference on Micronations” sind neun selbsternannte
Herrscher zum Austausch diplomatischer Beziehungen in ein fiktives und
zugleich real existierendes Land gereist: in die „Freie Republik Alcatraz“.
Das 440 Hektar große Berggelände ist ebenfalls eine Mikronation, die
völkerrechtlich betrachtet in der italienischen Region Umbrien, in der Nähe
der Stadt Perugia, liegt.
Vom ehemaligen Berlusconi-Land haben sich die Regenten im Jahr 2009
losgesagt. Das war eher ein formaler Schritt, denn ihre Ideologie machte
sie längst autark. Schon in den frühen 1980er Jahren erschufen sie hier ihr
Öko-Dorf. Sie filtern Brunnenwasser, pflanzen eigenes Obst und Gemüse an
und finanzieren sich durch naturnahen Tourismus. Und nun sind sie Gastgeber
der dritten internationalen Konferenz der Mikronationen, an der zum ersten
Mal auch Wissenschaftler und Journalisten teilnehmen, um das Phänomen der
Scheinstaaterei zu erklären.
„See life in rosé!“ verkündet Prinz Jean-Pierre IV gerade seine
Staatsbotschaft. Aigues-Mortes heißt so viel wie „Tote Wasser“ und
beschreibt die Attraktion im gleichnamigen Städtchen in Südfrankreich: von
Algen rosa gefärbtes Wasser. Rosa ist auch der Staatswein, den der Prinz
mit nach Italien gebracht hat und den er am Ende dieser Veranstaltung
gemeinsam mit anderen Staatsoberhäuptern trinken wird, in gelöster
Atmosphäre.
## Allein sein ist langweilig
Doch noch befinden sich alle im offiziellen Teil. Über ihnen hängt ein
Mammut aus Holz und bunten Stofffetzen von der Decke. Es gibt keine
Klimaanlage, zwei Ventilatoren blasen warme Luft durch den viel zu großen
Raum. Einstimmig wird beschlossen, am nächsten Tag die Uniformen nur von
neun bis zehn Uhr vormittags zu tragen. Für die offiziellen Fotos. Danach
hängen leere Staatshüllen über den Stühlen. Die Monarchen werden zu
einfachen Menschen in T-Shirts und kurzen Hosen.
Doch jetzt halten sie erst einmal ihre Antrittsreden. „Die Freie Republik
Alcatraz, unsere piccola nazione, möchte die Kommunikation der großen
Staaten mit Spielen, Spaß und Engagement beeinflussen.“ Diese großen Worte
spricht Alcatraz-Präsident und Künstler Jacopo Fo, Sohn des
Literaturnobelpreisträgers Dario Fo. Er konkretisiert, dass er und seine
Mitstreiter mit Behinderten und mit Menschen mit sozialen oder ökonomischen
Problemen arbeiten. In den Statuten seiner Republik steht dann auch:
„Einigkeit macht stark, Alleinsein ist langweilig.“
Gemeinsam mit Freunden hat Fo das Gelände vor rund 20 Jahren gekauft. Es
gehört alles ihnen: die Berge, die Bäume, die der Staat so gerne zu Bauholz
gemacht hätte, und auch die Millionen lärmenden Grillen des Tages und die
dicken Leuchtkäfer der Nacht. Ihre Glücksfestung. „Wir führen keinen Krieg,
wir bringen lieber unsere eigenen guten Nachrichten heraus, die uns aus der
ganzen Welt zugesendet werden“.
Beim Konferenzauftritt balanciert Fo einen riesigen Clownshut auf seinem
Kopf, eine umgekehrte weiße Zuckertüte, von der kleine Köpfe abstehen. Die
Gastgeber tragen die fantasievollsten Kostüme, fern der ansonsten von
Mikronationalisten so gern zitierten Militäroptik. Königin Eleonora
Albanese, oberste Frau der royalen Republik und Ehegattin Fos, kommt nach
einer Pause nicht mehr im bunten Harlekin-Look, dafür mit einer Henne als
Kopfschmuck. In einem eingestaubten silbergrauen Fiat Punto rollt sie an.
„Ihrem Pferd“, wie sie sagt.
## „Bunte Republik Neustadt“ ohne Regierung
Nur die deutsche Delegation trägt keine Staatsmontur. Mirko Sennewald
erscheint als inoffizieller Außenminister einer Mikronation namens „Bunte
Republik Neustadt“, die eigentlich schon Dresdens Gründerzeitviertel Äußere
Neustadt ist. Inoffiziell ist er Außenminister, weil die BRN keine aktive
Regierung mehr hat, etwas, das sie von allen anderen Mikronationen auf der
Welt unterscheidet. Ursprünglich war sie ein anarchisches Fest, das ein
paar Bewohner zwischen den verfallenen Bauten ihres Viertels feierten. Ihre
Staatsflagge war lustig und zugleich kritisch gemeint: ein Mickymaus-Kopf,
den sie auf eine DDR-Flagge nähten.
„Die BRN wurde noch in der DDR ausgerufen, im Juni 1990, drei Monate vor
der Wiedervereinigung. Das war ein bisschen verrückt, aber niemanden
kümmerte das, es waren Tage voller Anarchie“, erklärt der BRN-Außenminister
nun den interessierten Königen, Herzögen und Präsidenten. Er beantwortet im
Anschluss an seinen Vortrag auch die Frage nach dem aktuellen Zustand der
BRN.
Heute ist alles, wogegen sich die Hobbyregenten damals zur Wehr setzten –
steigende Mieten, Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung – Realität in
seinem Viertel. Hinter ihm stempelt derweil die mitgereiste Ministerin für
Information, die in Dresden ein BRN-Museum leitet und ansonsten Touristen
die Stadt erklärt, fleißig die blauen Staatspässe.
## Wer Macht will, stirbt
Es wird viel diskutiert bei dieser Konferenz, auch über die Welt außerhalb
der Utopien. Denn trotz der lustigen Umsetzung steckt im Ansatz einer
Staatsgründung meistens der Wunsch nach einer besseren Welt. Manche ahmen
die von ihnen kritisierte Politik nach, andere wollen eine Gegenkultur
zelebrieren, wieder andere arbeiten im undefinierten Bereich zwischen
Stadtmarketing und Satire. Sie spalten sich ab, wollen aber eigentlich
Lücken schließen, die sich in ihrer Gesellschaft aufgetan haben.
Sie wollen tolerant und weltoffen sein, weshalb viele auch Bürger anderer
Mikronationen sind. „Der Nationalstaat ist überholt“, sagt der belgische
Journalist Jullien Oeuillet am Ende der Konferenz. Mikronationen, die auf
Machtansprüchen basieren und unbedingt ein echtes Land sei wollen, drohe
das, was dem Mammut – er zeigt auf die bunten Stofffetzen – schon
widerfahren sei: die Ausrottung.
Doch nicht alle sind sich einig, was sie sind. „Wir sind keine Mikronation“
stellt Präsident Stephane Monnerville vom Institut Formori aus Frankreich
klar. „Nationen sind keine Regierungen, sondern Menschen“, erklärt der
Institutsleiter. „Also haben wir uns Menschen gesucht, um mit ihnen eine
Kultur zu gründen.“
Ihre „Kultur“ haben sie der keltischen Mythologie entlehnt. Die Formori
waren ein Sagenvolk, das aus Irland verbannt wurde und deren Geschichte sie
nun weiterspinnen. Mit einem merkwürdigen Antrittsritual bürgert
Monnerville mit seinem jungen Kollegen die halbe abendliche
Tischgesellschaft in ihre beiden Häuser ein. „Unser Institut hat aber
nichts mit Game of Thrones zu tun.“ Das ist ihr Lieblingswitz. Bei so einer
Mikronationenkonferenz wird überhaupt viel gelacht.
## Keine Kriegserklärungen mehr gegen echte Länder
Früher haben Mikronationen schon mal echten Ländern den Krieg erklärt. In
Alcatraz erklären sie ihre Liebe zur Umwelt und setzen einen entsprechenden
Vertrag auf. „Wir beabsichtigen, ein Beispiel für alle Nationen zu setzen,
indem wir eine Unterwährung einführen, die die lokale Produktion und den
lokalen Konsum unterstützt. Das minimiert Transportnotwendigkeiten und
-kosten sowie die CO²-Emission“, lässt sich einer der Punkte aus dem „The
Alcatraz Environmental Treaty of 2015“ übersetzen.
Alcatraz hat schon eine eigene Währung, Aigues-Mortes will sie im Jahr 2016
einführen. Doch erst einmal trinken die Royals mit den anderen
Staatsmachern den kühlen Roséwein, selbstverständlich aus lokaler
Produktion. Ob andere Mikronationsgründer etwas Konkretes tun, nachdem sie
ihre Koffer gepackt und aus dem heißen Staub von Alcatraz herausgerollt
haben, hängt davon ab, wie ernst sie ihre eigene Fantasie nehmen.
23 Jul 2015
## AUTOREN
Juliane Hanka
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