# taz.de -- Odachlosenhilfe in Berlin: Mal Luft holen können | |
> Die Kältehilfe hat begonnen. Das Haus 25 in Reinickendorf möchte wieder | |
> eine 24/7-Unterkunft werden – allein es fehlt das Personal. | |
Bild: Die Bulgarin Krasimira Furnaraku (l.) vor dem Haus 25 in Reinickendorf | |
BERLIN taz | Zwei Männer mit Zottelbärten und mehreren Schichten Kleidung | |
übereinander kommen aus Haus 25 und blinzeln in die Sonne. Einer schultert | |
seinen Rucksack, dann machen sie sich auf den Weg durch die parkähnliche | |
Anlage der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, vorbei an einer Pferdekoppel und | |
dem Ankunftszentrum für Geflüchtete Richtung U-Bahn. Es ist morgens halb | |
neun, die Notunterkunft auf dem Gelände in Reinickendorf schließt in einer | |
Stunde, vorher bekommen die Obdachlosen noch Kaffee oder Tee und einen | |
Styroporkarton mit Frühstück. | |
An diesem Morgen in der ersten Oktoberwoche sind es um die 70 Menschen – | |
dabei hat [1][die Kältehilfe] gerade den zweiten Tag auf. „Am Wochenende | |
sind wir bestimmt voll“, sagt Knut Fischer, Leiter der Einrichtung. Die | |
meisten Besucher*innen werden abends zurückkommen, vermutet er – so war | |
es jedenfalls in den letzten Monaten. „Über 90 Prozent reservieren für die | |
Folgenacht“, so Fischer. Dafür bekommt man bei einer Mitarbeiterin ein | |
grünes Bändchen. | |
Krasimira Furnaraku hat ihres schon. Nun sitzt die 69-jährige Bulgarin, die | |
mit den rot geschminkten Lippen und der Leoparden-Steppjacke deutlich | |
jünger wirkt, im Innenhof von Haus 25 und dreht sich eine Zigarette, das | |
Frühstück bleibt unangerührt. Seit fünf, sechs Jahren lebt sie in Berlin, | |
erzählt sie in einer Mischung aus Deutsch und Russisch, das die | |
taz-Fotografin und ein Bewohner, der mit am Tisch sitzt, übersetzen. | |
Furnarakus Geschichte ist einigermaßen typisch für wohnungslose | |
EU-Bürger*innen in Berlin: Furnaraku hat durchaus eine Arbeit, in der Küche | |
eines griechischen Restaurants, aber die Bezahlung reicht kaum zum | |
Überleben, von eigenen vier Wänden ganz zu schweigen. 40 Euro für acht | |
Stunden bekomme sie, „schwarz, ohne Vertrag“. Zwar habe ihr der Chef einen | |
solchen versprochen, erzählt sie, „aber dafür brauche ich eine | |
Meldeadresse.“ | |
## Viele Eigentlichs | |
Eigentlich hätte Furnaraku, könnte sie geregelte Arbeit über mindestens | |
sechs Monate nachweisen, einen Anspruch auf Sozialleistungen wie | |
aufstockendes Hartz-IV oder Mietzuschuss. „Eigentlich müsste sie ihren | |
Arbeitgeber anzeigen“, sagt Fischer. Und eigentlich würde man der Bulgarin | |
dabei auch gerne helfen in Haus 25. Denn die Unterkunft soll eigentlich | |
eine so genannte 24/7-Einrichtung sein. | |
Das bedeutet nicht nur, dass die [2][Wohnungslosen] das Haus am Morgen | |
nicht verlassen müssen und erst abends wieder kommen dürfen. Es heißt auch, | |
dass es Sozialarbeiter gibt, die die Menschen beraten und ihnen helfen, | |
wieder auf die Füße zu kommen. „Meist geht es darum zu helfen, ihre | |
Rechtsansprüche durchzusetzen“, sagt Fischer, etwa auf einen | |
Personalausweis, Rente oder Hartz IV. Bei EU-Bürgerinnen ist die Sache oft | |
komplizierter, viele sind Tagelöhner, zum Beispiel auf Schlachthöfen oder | |
in der Gastronomie – da ist es oft schwierig bis unmöglich, den | |
Arbeitsnachweis zu erbringen, der zur weiteren Hilfe berechtigt. | |
Zum Pech für Furnaraku und die anderen Bewohner*innen ist Haus 25 im | |
Moment keine 24/7-Einrichtung – noch nicht oder nicht mehr, wie man es | |
nimmt. Das Haus war erstmals im Februar eröffnet worden, nachdem im | |
Corona-Winter die besondere Not von Obdach- und Wohnungslosen offenkundig | |
wurde. Schließlich konnte man von ihnen schlecht verlangen, im Lockdown „zu | |
Hause“ zu bleiben – und wo sollten sie sonst hin, wenn auch die meisten | |
Tagesstätten für Wohnungslose pandemiebedingt geschlossen oder | |
eingeschränkt geöffnet waren? So wurden die 24/7-Unterkünfte erfunden, etwa | |
Hostels, die wegen Corona ohnehin leer standen; auch Haus 25, zuvor Teil | |
des Ankunftszentrums, bekam so eine neue Bestimmung. | |
## Vor dem U-Bahnhof gehaust | |
200 Plätze gibt es in dem ehemaligen Bettenhaus der 2006 geschlossenen | |
Nervenklinik, bis Ende August war man täglich voll belegt, erzählt Fischer. | |
Dann sei die Finanzierung aus Corona-Mitteln ausgelaufen. Und obwohl klar | |
war, dass Haus 25 ab Oktober Teil der Kältehilfe würde, fehlte das Geld für | |
September. Also musste man die Menschen vor die Tür setzen. „Manche haben | |
noch 10 Tage vorne am U-Bahnhof gehaust und gewartet, ob wir wieder | |
aufmachen“, sagt Fischer. Zudem musste Betreiber Tentaja, dem auch das | |
Ankunftszentrum nebenan untersteht, den drei Sozialarbeiter*innen | |
kündigen. Jetzt könnte man sie wieder gut brauchen. | |
Aber natürlich haben die ehemaligen Mitarbeiter*innen längst andere | |
Jobs, sagt Fischer, „Sozialarbeiter sind wie Goldstaub“. Der Markt, auf dem | |
die Betreiber von Flüchtlings- und Obdachloseneinrichtungen um | |
Mitarbeitende konkurrieren, ist leer gefegt, das hört man immer wieder. | |
„Und ich kann nur Verträge mit zeitlicher Befristung und ungünstigen | |
Arbeitszeiten anbieten. Fischer weiß, dass es schwierig wird, die Stellen | |
zu besetzen und damit aus Haus 25 wieder eine 24/7-Unterkunft zu machen. | |
In der Sozialverwaltung ist man verwundert über die Nachfrage, ob man den | |
einen Monat nicht hätte zwischenfinanzieren können anstatt kurzfristig | |
alles dicht zu machen. Es sei nie geplant gewesen, das Haus wieder zu einer | |
24/7-Einrichtung zu machen, erklärt [3][Sozialsenatorin Elke Breitenbach] | |
(Linke). Die Corona-Mittel vom Bund seien ausgelaufen, das Geld sei immer | |
an den Lockdown geknüpft gewesen. „Aber in der Tat haben wir mit 24/7 sehr | |
gute Erfahrungen gemacht.“ | |
Man habe daher erfolgreich EU-Gelder für neue 24/7-Projekte beantragt, in | |
ein paar Wochen würden drei Unterkünfte eröffnen, eine für Frauen, zwei für | |
gemischte Geschlechter. 11,4 Millionen Euro stünden dafür bis 2023 bereit: | |
„Und natürlich würde ich solche Häuser danach gerne in die | |
Regelfinanzierung übernehmen“, so Breitenbach zur taz. | |
## Dringend gesucht: Sozialarbeiter | |
So lange will Michael Elias, Chef von Tentaja und der Mutter-Firma Tamaja, | |
nicht warten. Er möchte Haus 25 möglichst bald wieder zu einer | |
24/7-Einrichtung machen, das heißt: sobald er die Sozialarbeiter gefunden | |
hat. Deren Bezahlung – und das Mittagessen für die Bewohner*innen – | |
werde er aus eigenen Mitteln und Spenden stemmen. Einen unteren | |
fünfstelligen Betrag habe er dafür monatlich kalkuliert, auch dank „Friends | |
& Family, die an uns glauben“, bekomme er das zusammen. „Wir wollen keine | |
Kältehilfe im klassischen Sinne machen, wir wollen eine nachhaltige Lösung | |
für Obdachlose.“ Die Erfahrungen mit 24/7 hätten gezeigt, „dass die | |
Menschen viel empfänglicher sind für Hilfe, wenn sie mal Luft holen können, | |
weil wir ihnen den Druck nehmen, wo sie den Tag verbringen müssen.“ | |
Notunterkunft oder 24/7: Auch für Manuela Falkenberg, die im Innenhof ihren | |
Tee aus der eigenen Thermoskanne schlürft, macht das einen großen | |
Unterschied. Im Frühjahr ist die Hessin in Berlin gestrandet, zuerst in der | |
Notunterkunft Franklinstraße, „da muss man morgens raus, darf erst um 17 | |
Uhr wieder kommen“, dann kam sie mit Bekannten hierher. Zwar sind die | |
Zimmer karg – weiße Wände, zwei Metallbetten, Spinde – „aber hier gibt … | |
Menschen, die helfen einem bei der Job- und Zimmersuche“. | |
Sie sei manisch-depressiv, habe aber schon drei Jahre keinen Schub mehr | |
gehabt, erzählt Falkenberg. Im Frühsommer habe sie die Hilfe der | |
Sozialarbeiter verschiedentlich in Anspruch genommen. Mit mäßigem Erfolg | |
offenbar, „sie haben mir eine Adresse vermittelt, wohin jetzt meine Post | |
geschickt wird“, aber immerhin – die 54-Jährige schätzt die Bemühungen. | |
Vermutlich mag sie das Haus auch, weil sie dort im Sommer ihren Verlobten | |
kennen gelernt hat, wie sie sagt: einen Letten, mit dem sie sich mangels | |
gemeinsamer Sprache auf „google translater“ unterhält, bald wollen sie | |
heiraten. Heute sei er nicht da, sie hätten sich gestritten, erzählt sie | |
unbekümmert, aber sonst würden sie sich hier ein Zwei-Bett-Zimmer teilen, | |
bis sie etwas eigenes gefunden haben. | |
Sie habe schon etwas in Aussicht, erzählt sie, ein Zimmer für 400 Euro ab | |
Mitte Oktober – zum Beweis zeigt sie einen Facebook-Dialog auf ihren | |
Smartphone. Auch um einen Job kümmere sie sich. Am Freitag werde sie bei | |
Rossmann probearbeiten für einen Minijob. Finanziell brauche sie den zwar | |
nicht, weil sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente von 1.500 Euro bekomme. „Aber | |
wenn ich zeige, dass ich ein selbstständiges Leben führen kann, komme ich | |
vielleicht aus der gesetzlichen Betreuung raus“, hofft sie. Eine Hilfe, die | |
mehr ist als ein Bett für die Nacht, könnte sie dabei wirklich gut | |
brauchen. | |
10 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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