# taz.de -- Observation aufgeflogen: Post von der Polizei | |
> Die Görlitzer Polizei schickt einen Brief statt an die Göttinger Polizei | |
> versehentlich an den Anwalt eines Mannes, der offenbar seit Jahren | |
> beobachtet wird. | |
Bild: Arbeiten nicht immer reibungslos zusammen: Polizei und Post | |
GÖTTINGEN taz | Das Schreiben der Polizeidirektion (PD) Görlitz in Sachsen | |
datiert vom 8. November, Empfänger ist das Staatsschutz-Kommissariat der | |
Polizeiinspektion (PI) Göttingen. Allerdings ist die Anschrift falsch | |
angegeben – und obendrein falsch geschrieben. Denn statt „Groner Landstraße | |
51“, wo der zentrale Kriminaldienst der PI Göttingen samt Staatsschutz | |
residiert, tippten die Beamten in Görlitz „Lange-Geismer-Straße 55“ in das | |
Adressfeld ein. Dort jedoch, genauer: In der „Lange-Geismar-Straße 55“ hat | |
der Rechtsanwalt Sven Adam seine Kanzlei – auf dessen Schreibtisch der | |
Irrläufer dann landete. | |
Der brisante Brief offenbart, dass ein heute 28-jähriger Fotojournalist aus | |
Göttingen im bundesländerübergreifenden polizeilichen Informationssystem | |
„Inpol“ zur Beobachtung ausgeschrieben ist. Die polizeiliche Beobachtung | |
ist nicht irgendeine Maßnahme – sie kann laut Strafprozessordnung durch ein | |
Gericht angeordnet werden, „wenn eine Straftat von erheblicher Bedeutung | |
begangen wurde“. | |
Das gilt aber auch nur dann, „wenn die Erforschung des Sachverhalts oder | |
die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich | |
weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre“. Die jeweils | |
ausschreibende Polizeidienststelle versucht dann, auf Grundlage der ihr von | |
Kollegen übermittelten Informationen ein Bewegungsprofil der beobachteten | |
Person zu erstellen. | |
Dem Schreiben aus Sachsen zufolge war der Journalist am 3. November um | |
13.30 Uhr in der Bahnhofstraße in Ostritz kontrolliert worden. „Die | |
wegen/zur Beobachtung ausgeschrieben nachfolgend genannte Person wurde | |
festgestellt“, heißt es darin. Die Kleinstadt Ostritz im Kreis Görlitz war | |
damals Schauplatz der zweiten Auflage des Rechtsrock-Festivals „Schild und | |
Schwert“. | |
## Fotos von Nazi-Festival | |
Bei dem vom in Thüringen lebenden Neonazi und NPD-Kader Thorsten Heise | |
organisierten Event traten einschlägig bekannte Bands wie „Sturmwehr“, „… | |
of Violence“ und „Lunikoff Verschwörung“ auf. Auch NPD-Größen wie Udo … | |
und Peter Schreiber sowie der Dortmunder Rechtsextremist Alexander Deptolla | |
gaben sich die Ehre. Etwa 3.000 Menschen protestierten zur gleichen Zeit | |
gegen das Festival. Der junge Göttinger Journalist war in die Oberlausitz | |
gereist, um die Veranstaltungen mit dem Fotoapparat zu dokumentieren. | |
Die Vorgangsnummer aus dem Görlitzer Brief mit der Jahreszahl 2012 deutet | |
darauf hin, dass der Göttinger Reporter bereits seit mindestens sechs | |
Jahren zur Beobachtung ausgeschrieben ist. Allerdings hat der Betroffene, | |
wie dessen Anwalt Adam erklärt, von einer solchen bundesweiten | |
Ausschreibung gar keine Kenntnis. | |
Auch ihm selbst, sagt Adam, habe die Polizei in einer Auskunft über | |
möglicherweise zu seinem Mandanten gespeicherte Daten nichts von einer | |
Ausschreibung zur Beobachtung mitgeteilt „und auch keinen sog. Sperrvermerk | |
verfügt“. Die jüngste Anfrage datiert vom 18. August dieses Jahres. – Wenn | |
die Polizei über Daten verfügt, über die sie nichts mitteilen darf, muss | |
sie wenigstens per Sperrvermerk über die Existenz solcher Daten | |
informieren. | |
Die Göttinger Polizeidirektion erklärte gestern, dass der 28-Jährige in | |
polizeilichen Auskunftssystemen gespeichert sei. Sie bestritt jedoch, dass | |
der Mann „in polizeilichen Auskunftssystemen zur Beobachtung ausgeschrieben | |
ist“. Genau das Gegenteil aber haben die Görlitzer Polizisten in ihrem | |
Brief betont. | |
Warum das Schreiben überhaupt an die Göttinger Polizei gerichtet wurde, | |
können nach Angaben von deren Sprecherin Julia Huhnold „weder das | |
zuständige Staatsschutzkommissariat der PI Göttingen noch die PD Göttingen | |
nachvollziehen“. Die Göttinger, versicherte Huhnold der taz, hätten das | |
Schreiben jedenfalls nicht angefordert. | |
Die Polizeidirektion Görlitz ließ eine Anfrage der taz zu dem Vorgang | |
gestern unbeantwortet. Dem NDR teilten die Sachsen nach Angaben des Senders | |
aber mit, es werde intern geprüft, wie es zu dem Irrläufer habe kommen | |
können. Die Untersuchungen seien aber noch nicht abgeschlossen. | |
## Klage gegen Beobachtung | |
Für Rechtsanwalt Adam sind in der Angelegenheit noch eine ganze Reihe | |
Fragen offen. Er strebt deshalb eine gerichtliche Aufklärung des Vorgangs | |
an. Bereits am Montag reichte der Jurist beim Göttinger Verwaltungsgericht | |
eine Klage ein. Das Gericht soll feststellen, dass die polizeiliche | |
Beobachtung des Journalisten rechtswidrig und die Auskunft der Göttinger | |
Polizei vom 18. August falsch oder unvollständig war. Den falsch | |
adressierten Brief hat der Anwalt inzwischen an die Polizei weitergeleitet. | |
Die Grüne Jugend reagierte gestern auf den neuerlichen | |
„Überwachungsskandal“ mit scharfer Kritik. Die Überwachung des | |
Fotojournalisten zeige, welches Verständnis die Behörden von Grundwerten | |
wie der Pressefreiheit hätten. Der Fall reihe sich in eine lange Chronik | |
der Göttinger Überwachungen ein und mache „ein weiteres Mal den | |
Kontrollwahn der staatlichen Institutionen deutlich“. | |
Erst in der vergangenen Woche war nach einer Behördenpanne bekannt | |
geworden, dass ein V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes zwei | |
Jahre lang die linke Szene der Universitätsstadt bespitzelt hat. | |
20 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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