# taz.de -- Verfassungsschutz in Göttingen: Wo Spitzel sich sicher fühlen | |
> Ein V-Mann in der linken Szene, ein Journalist wird beobachtet. Neue | |
> VS-Methoden in Göttingen? Ach was, das Ausspähen hat dort Tradition. | |
Bild: Ausgespitzelt: Die niedersächsische Verfassungsschutzpräsidentin Maren … | |
Göttingen taz | Ein V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes | |
spitzelt zwei Jahre in der linken Szene, ein linker Journalist ist offenbar | |
seit 2012 [1][zur polizeilichen Beobachtung ausgeschrieben]. Die beiden | |
Vorgänge aus Göttingen haben in den vergangenen Tagen überregional für | |
Aufsehen und im Fall des V-Mannes für Verwerfungen auch in der | |
Landespolitik gesorgt. Die Präsidentin des Landesamtes für | |
Verfassungsschutz, Maren Brandenburger, [2][trat am Mittwoch zurück]. | |
Das Ausspähen der linken und alternativen Szene in Göttingen hat Tradition. | |
Schon 1978 schleuste das niedersächsische Landeskriminalamt (LKA) zwei | |
Agenten in den Göttinger Arbeitskreis gegen Atomenergie ein – „Wicky“ und | |
„Rudi“ lauteten die Tarnnamen der Spitzel. Sie betreuten den Infostand auf | |
dem Marktplatz, fuhren mit Göttinger Aktivisten zu Seminaren und sogar in | |
den Urlaub. | |
Bei einer Diskussion über den Widerstand in Gorleben schlug „Wicky“ vor, | |
eine Rauchbombe in eine Trafostation zu werfen, das gäbe einen „schönen | |
Aufruhr“. Enttarnt wurden die Spitzel durch Hinweise ehemaliger | |
Schulfreunde: „Wickys“ und „Rudis“ angeblicher Wohnsitz in Hannover war | |
früher eine Adresse des Drogendezernats der Polizei. | |
1982 veröffentlichte die Alternative Grüne Initiativen-Liste (AGIL) | |
Mitschnitte aus dem Polizeifunk: So wurde bekannt, dass in Göttingen | |
geheime Polizeieinheiten operierten – ohne öffentliche Kontrolle und | |
offenbar auch ohne ausreichende rechtliche Grundlage. Sie nannten sich | |
„Aufklärungs- und Festnahmekommandos“, rund 50 Beamte gehörten ihnen an. | |
Ihr Auftrag: ständiges Beschatten, Provozieren und wenn möglich Festnehmen | |
einzelner Linker oder kleiner Gruppen. | |
Jugendzentren und Kneipen waren bevorzugte Observierungsziele. Gäste, die | |
mit dem Auto nach Hause fuhren, wurden angehalten, ihre Personalien | |
überprüft. Die Daten wurden an einen Computer in Hannover übermittelt, auf | |
dem sich das Spuren- und Dokumentationssystem (Spudok) befand. Die Liste | |
enthielt Hunderte Namen, darunter auch die des späteren Umweltministers | |
Jürgen Trittin und einer querschnittsgelähmten Ehrenbürgerin der Stadt. | |
## Der Fall Daniel H. | |
Im Funk unterhielten sich die Beamten zum Beispiel so: „X und Anhang gehen | |
hier durch die Stadt. Wir wollen die ein bisschen beschatten. Aber so, dass | |
wir denen auf den Hacken herumfahren … Der X wird schon nervös.“ – „Ja, | |
wollt ihr sie jetzt mal anhalten? Einsacken …?“ – „Na, dann wollen wir … | |
mal einsammeln … Wir stoppen sie … Kommt ran.“ | |
Die Spudok-Dateien seien vernichtet worden, versicherte das | |
niedersächsische Innenministerium 1985. Waren sie aber nicht. Nach einem | |
Brandanschlag auf das Göttinger Arbeitsamt tauchte die alte Aufstellung | |
politischer Aktivisten wieder auf – mit denselben Schreibfehlern. | |
Im Vorfeld des Castor-Transport den Göttinger Physikstudenten Daniel H.es | |
nach Gorleben im November 2004 verfolgten LKA-Beamte den Göttinger | |
Physikstudenten Daniel H. zwei Wochen lang auf Schritt und Tritt. Sie | |
hörten mehr als 80 Telefongespräche von ihm und seinen Mitbewohnern ab, | |
machten Videoaufnahmen, überwachten Kneipen- und private Kontakte und | |
verfolgten H. einmal sogar bis auf die Uni-Toilette. Am Auto eines | |
Bekannten brachten die Fahnder einen Peilsender an. | |
Mindestens bis 2015 standen fünf prall gefüllte Ordner im | |
Staatsschutzkommissariat der Göttinger Polizeiinspektion. Sie enthielten | |
die Daten Dutzender Personen, die von den Beamten als Linke eingestuft | |
wurden: Neben Namen und Fotos auch Wohnanschrift, Religionszugehörigkeit, | |
Familienstand, Social-Media-Profile. Die Ordner hatten die Beamten mit | |
„Limo“ beschriftet, ein Polizeibegriff für „Straftäter, politisch links | |
orientiert“. In diesem Frühjahr räumte die Polizei gegenüber dem | |
Verwaltungsgericht ein, dass diese Akten nie hätten existieren dürfen. | |
22 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Observation-aufgeflogen/!5548688 | |
[2] /Datenpanne-beim-Verfassungsschutz/!5549783 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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