# taz.de -- Obdachlosenhilfe in Hannover: Bürokratische Hürden | |
> Die Stadt wollte einen Obdachlosen aus ihrer Unterkunft werfen, weil er | |
> zu kurz in Hannover gelebt hat. Nach einer taz-Anfrage darf er doch | |
> bleiben. | |
Bild: Housing First in Hannover: Ein Zimmer des Projektes „Plan B – OK“ i… | |
HANNOVER taz | In Döhren-Wülfel liegt in einem Gründerzeit-Altbau das | |
Vorzeigeprojekt der Stadt Hannover: Es heißt „Plan B – OK“ und soll die | |
Zukunft für den Umgang mit Obdachlosigkeit in der Stadt weisen. „OK“ steht | |
dabei für Orientierung und Klärung. Vor etwas mehr als einem Monat wurde | |
das neue Angebot eingeweiht. Aus der im Herbst beendeten | |
Coronanotunterbringung obdachloser Menschen in Einzelzimmern habe man | |
erfolgreiche Schlüsse gezogen und das neue Projekt dementsprechend | |
aufgestellt, hieß es. Von einem „nordischen Modell“ sprach | |
Sozialdezernentin Sylvia Bruns (FDP), von intensiver sozialarbeiterischer | |
Betreuung Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Doch das Projekt hat | |
Startschwierigkeiten. | |
Andy K., der seinen vollen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, | |
lebt seit fast einem Monat in der Cäcilienstraße. Obwohl er einen | |
Arbeitsvertrag in Aussicht hatte, drohte ihm der Rausschmiss aus dem | |
Projekt – erst auf Nachfrage der taz verlängerte die Stadt seinen | |
Aufenthalt, obwohl Betten unbelegt sind. | |
Auf ihrer Website erklärt die Stadt, dass Menschen, die sonst auf der | |
Straße lebten, „bis zu drei Monate“ in der neuen Unterkunft leben dürften. | |
21 Plätze gibt es dort, nach einer größeren Immobilie mit bis zu 70 Plätzen | |
werde gesucht. Menschen mit einem ungeklärten Leistungs- oder | |
Aufenthaltsstatus dürfen nur 30 Tage bleiben. | |
Genau das trifft auf K. zu. Weil er noch keine drei Monate in Hannover | |
lebt, hat er formal gesehen keinen Anspruch darauf, länger in dem Haus zu | |
leben. Sein Fall zeigt jedoch, dass ein Monat trotz Betreuung durch einen | |
Sozialarbeiter eine von der Stadt zu kurz angelegte Zeitspanne ist, um eine | |
Wohnung zu finden – insbesondere während der Pandemie. | |
Denn Menschen ohne Wohnung stecken oft in einem Dilemma: ohne Arbeit keine | |
Wohnung, ohne feste Adresse keine Arbeit. So ergeht es auch K. Er ist | |
gelernter Sicherheitsfachmann. Mit Beginn der Coronaviruspandemie seien die | |
Aufträge in seinem alten Heimatort weggebrochen. K. wechselte mit Aussicht | |
auf eine Anstellung an den Standort Hannover. Das habe allerdings nicht | |
geklappt. Auch seine Beziehung sei zu Bruch gegangen und er dadurch | |
wohnungslos geworden. Aus der Obdachlosigkeit heraus eine Wohnung zu | |
ergattern, sei beinahe unmöglich, erzählt er. Deswegen sei er erst mal in | |
der Notschlafstelle Wörthstraße untergekommen. | |
Die Zustände in der Einrichtung empfand er als katastrophal: „Eine kleine | |
Hölle auf Erden.“ Alkohol, Drogen und Kriminalität seien an der | |
Tagesordnung. Den Sicherheitsdienst dort halte er – aus dem gleichen | |
Gewerbe kommend – für inkompetent. Seine Schilderungen decken sich mit | |
denen vieler anderer Menschen, die in der Notschlafstelle Obdach suchen und | |
die teilweise von übergriffigem Verhalten berichten. Dorthin | |
zurückzumüssen, will K. um jeden Preis vermeiden. | |
Warum er aus dem Projekt „Plan B – OK“ ausziehen sollte, versteht er nich… | |
Das halbe Haus stehe ja leer und er nehme niemandem einen Platz weg. | |
Momentan seien nur neun Bewohner*innen vor Ort – bis zu 21 Plätze gibt es. | |
Die Kosten für die Unterkunft übernimmt das Jobcenter für K. | |
Straßensozialarbeiter Alexander Eisele, der K., seitdem dieser in Hannover | |
auf der Straße gelandet ist, begleitet, sagt zu den Entwicklungen: „Durch | |
das Verhalten der Stadt drohten sich die besonderen Lebensverhältnisse und | |
sozialen Schwierigkeiten von Herrn K. zu verfestigen.“ Eine rein | |
bürokratische Hürde stünde in diesem Fall im Weg: Anspruchsberechtigt sei, | |
wer drei Monate in Hannover lebe, erklärt Eisele. In der besonderen kalten | |
Phase im Winter war K. in das Projekt eingezogen – einen Monat zu früh. | |
Hätte er noch 30 Tage auf der Straße gelebt, wäre er anspruchsberechtigt | |
gewesen und hätte von vornherein die vollen 90 Tage bleiben dürfen. Dabei | |
handele es sich allerdings nur um eine Rechtsauslegung der Stadt, meint | |
Eisele. Diese hätte einen Spielraum. | |
Auf Nachfrage der taz zu K.s Fall verweist die Pressestelle der | |
Landeshauptstadt Hannover auf datenschutzrechtliche Bedenken und will sich | |
nicht zu dem Einzelfall äußern. Lediglich allgemein heißt es, für den | |
Personenkreis der „ordnungsrechtlich Nichtanspruchsberechtigten“ sei eine | |
Zieldauer von 30 Tagen für das Vorhaben „Plan-B – OK“ vereinbart. Diese | |
stünde in keinem Zusammenhang zu etwaigen Perspektiven oder gar Leerständen | |
innerhalb der Unterkunft. Die Plätze würden entsprechend der Nachfrage | |
vergeben. | |
Am Mittwochvormittag folgte offenbar eine interne Kehrtwende der Stadt. | |
Andy K. erzählt, er dürfe nun weitere 14 Tage mit Option auf Verlängerung | |
bleiben. Man habe ihm sinngemäß gesagt, man wolle ihm ja die Zukunft nicht | |
verbauen. | |
Für Dirk Machentanz, Ratsherr der Linken, ist der Fall von Andy K. | |
symptomatisch für die Probleme von obdachlosen Menschen in Hannover. Zwar | |
sehe er die Bemühungen um Housing-First-Projekte, wie das „Plan B – OK“ | |
positiv – hatte seine Partei diese doch mitinitiiert, es fehle allerdings | |
eine langfristige Perspektive. Die Stadt brauche eine neue Wohnungspolitik. | |
„Wir fordern, dass die städtische Baugesellschaft ‚Hanova Wohnen‘ obdach- | |
und wohnungslosen Menschen, bei einem Zehntel aller Wohnungen Vorrang | |
gewährt“, sagt Machentanz. Damit wäre eine dezentrale Unterbringung möglich | |
– fernab der häufig kritisierten Notschlafstellen. Es gebe allerdings einen | |
weiteren wichtigen Baustein, um das Problem Obdachlosigkeit anzugehen, so | |
Machentanz: „Zwangsräumungen müssen sofort gestoppt werden.“ | |
5 Mar 2021 | |
## AUTOREN | |
Michael Trammer | |
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