# taz.de -- Noël Martin ist tot: „Wir müssen jeden Tag kämpfen“ | |
> Vor 24 Jahren wurde der Brite Opfer eines rassistischen Anschlags in | |
> Brandenburg. Die Polizei tat sich schwer, die Täter zu ermitteln. | |
Bild: Noël Martin bei seinem Besuch in Mahlow im Jahr 2001 | |
POTSDAM/BIRMINGHAM/BERLIN dpa/taz | Der Brite Noël Martin, der Mitte der | |
90er im Bundesland Brandenburg Opfer eines rassistischen Angriffs wurde, | |
ist tot. Das bestätigte die Geschäftsführerin der Stiftung „Großes | |
Waisenhaus zu Potsdam“, Elke Krüger. Martin starb demnach am Dienstag in | |
einem Krankenhaus im britischen Birmingham. Er wurde 60 Jahre alt. | |
Der gebürtige Jamaikaner und frühere Bauunternehmer Martin, der in | |
Birmingham lebte, war im Juni 1996 in der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow | |
(Teltow-Fläming) gemeinsam mit Arbeitskollegen von jungen Rechtsradikalen | |
angegriffen worden. Nach einem Steinwurf auf seinen Wagen kam der damals | |
36-Jährige von der Straße ab und prallte gegen einen Baum. Seitdem war | |
Martin vom Hals ab querschnittsgelähmt und saß im Rollstuhl. | |
Nach der Attacke 1996 hatte die Polizei zunächst gemeldet, Martin habe | |
zusammen mit zwei Kollegen in ihrem Wagen ein Auto mit einem 17- und einem | |
24-jährigen Mahlower verfolgt. Dass es umgekehrt war, kam erst später raus. | |
Auch Wochen nach der Tat, tat sich die Polizei äußerst schwer, die offenbar | |
stadtbekannten Täter zu finden. | |
Die Geschichte wurde damals von der taz-Reporterin Barbara Bollwahn | |
aufgedeckt. „In Mahlow“, schrieb sie [1][in ihrem ersten Text einen Monat | |
nach der Tat], „scheint sich niemand für den Unfall der Briten zu | |
interessieren.“ Schon einen Tag später konnte Bollwahn in [2][einem zweiten | |
Bericht] einen der später verurteilten Täter benennen. | |
## Verkannter Rechtsextremismus | |
Es dauerte noch 10 Tage mit weiteren Berichten von der taz, Spiegel TV und | |
dem britischen Observer, dann war der rassistische Anschlag auf Noël Martin | |
aufgeklärt, die Täter aus der rechten Szene Mahlows [3][festgenommen] und | |
[4][geständig]. | |
Die Ermittler bestanden natürlich dadrauf, dass sie nicht erst durch die | |
Presseberichte auf Trab gebracht worden seien. Barbara Bollwahn wurde für | |
ihre Recherchen [5][mit dem renommierten Wächter-Preis ausgezeichnet]. Der | |
Anschlag auf Noël Martin ist ein frühes und leider sehr eindrucksvolles | |
Beispiel dafür, wie schwer sich Polizei und Justiz bis heute immer wieder | |
tun, um Rechtsextremismus zu erkennen. | |
Die beiden Täter wurden später zu fünf beziehungsweise acht Jahren Haft | |
verurteilt. Einer der beiden Täter erklärte Jahre später [6][bei einem | |
taz-Besuch im Gefängnis] immernoch, er sei eigentlich nicht schuldig. | |
## Ein Schicksalsschlag nach dem anderen | |
Noël Martin war durch seine Lähmung nach dem Vorfall Zeit seines Lebens auf | |
Hilfe angewiesen. Zeitweise dachte er [7][öffentlich über einen Freitod] | |
nach. | |
Dennoch engagierte er sich nach seinem Unfall intensiv für Aussöhnung und | |
Verständigung. Auf Martins Initiative hin und mit Mitteln der | |
Landesregierung wurde 2003 der Noël-und-Jacqueline-Martin-Fonds gegründet, | |
der 2008 in eine Stiftung umgewandelt wurde. Sie ist bei der Stiftung | |
„Großes Waisenhaus zu Potsdam“ angesiedelt. Der Fonds ist nach ihm selbst | |
und seiner Frau benannt, die ihn jahrelang versorgte und zwei Tage nach | |
ihrer Hochzeit an Krebs starb. | |
Im Jahr 2001, fünf Jahre nach dem Anschlag war Martin [8][noch einmal nach | |
Mahlow zurückgekehrt]. Er wurde dort auch vom Bürgermeister empfangen, der | |
sich 1996 mit bürokratischer Passivität hervorgetan hatte. Nun erklärte er: | |
„Als Mahlower Bürger muss ich mich heute verneigen. Ich schäme mich für | |
das, was Ihnen angetan wurde“ | |
Martin sagte bei dem Besuch in einer Rede: „Wir müssen jeden Tag gegen | |
Rassismus kämpfen und nicht nur heute“. | |
15 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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