# taz.de -- Neonazi-Opfer: Feiern statt Freitod | |
> An seinem 48. Geburtstag wollte Noël Martin, seit einem Neonazi-Überfall | |
> querschnittgelähmt, in der Schweiz sterben. Doch er war in Birmingham. | |
Bild: "Ich wünschte, ich wäre in der Schweiz": Überfallopfer Noël Martin | |
Am Montag ist Noël Martin 48 Jahre alt geworden. Er war in seinem Haus in | |
Birmingham und feierte mit Freunden. Notgedrungen. Eigentlich wollte er | |
sterben. Kurz vor seinem 47. Geburtstag hatte der Engländer aus Jamaika | |
angekündigt, zu seinem diesjährigen Geburtstag mit Hilfe der Schweizer | |
Sterbeorganisation Dignitas aus dem Leben zu scheiden. | |
Am 16. Juni 1996 wurde er in Mahlow bei Berlin Opfer eines | |
Neonazi-Angriffs: Zwei junge Männer verfolgten ihn mit einem gestohlenen | |
Auto und warfen einen Feldstein in seinen Wagen. Martin, der als | |
Bauarbeiter nach Deutschland gekommen und auf dem Weg zu einer neuen | |
Baustelle war, verlor die Kontrolle und prallte gegen einen Baum. Seitdem | |
ist er querschnittgelähmt. Die Täter wurden zu fünf und acht Jahren | |
verurteilt. | |
Fünf Jahre später kehrte er zurück. Er hatte den 8.000 Einwohner zählenden | |
Ort durch seinen Besuch geradezu gezwungen, Position zu beziehen. Zusammen | |
mit dem damaligen Ministerpräsidenten von Brandenburg, Manfred Stolpe | |
(SPD), regte er einen Austausch zwischen Jugendlichen aus Brandenburg und | |
Birmingham an. "Es wird zu viel geredet und zu wenig gehandelt." Es war | |
seine Freundin Jacqueline, die ihm Kraft gab, weiterzumachen. Zusammen | |
gründeten sie einen Fonds für Begegnungen zwischen Jugendlichen | |
unterschiedlicher Nationen. Als sie an Krebs erkrankte, heirateten sie kurz | |
vor ihrem Tod im April 2000 im Krankenhaus. Martin beerdigte sie im Garten | |
ihres Hauses. Die Übereinkunft, die sie getroffen hatten, zehn Jahre sein | |
Schicksal gemeinsam zu ertragen, erschien ohne sie in einem anderen Licht. | |
Im vergangenen Jahr kündigte er seinen Freitod an seinem 48. Geburtstag an. | |
Im April erschien seine Autobiografie "Nenn es mein Leben". Darin | |
beschreibt er seine Kindheit in Jamaika, das monotone Leben als Migrant in | |
England und den Rassismus. Als er nach Mahlow kam, fühlte er sich an das | |
Birmingham der 70er-Jahre erinnert: "Hier wie dort - man muss lernen, über | |
die eigenen Ängste zu lachen, wenn man überleben will." Martin überlebte. | |
Aber ohne Würde will der ehemals optimistische und lebensbejahende Mann | |
nicht mehr sein. Die Täter leben längst wieder in Freiheit in Mahlow. | |
"Meine letzte Freiheit ist mein Tod", hat Martin voriges Jahr gesagt. Dass | |
er den Termin für seinen Freitod nicht halten kann, liegt daran, dass er | |
ständig von Pflegerinnen versorgt werden muss. Zudem dauert die Klärung der | |
Vermögensfragen der Stiftung und der Zukunft seines Hauses länger als | |
geplant. Es kann aber auch sein, dass er nicht transportfähig ist, um in | |
die Schweiz zu reisen. "Dazu will ich nichts sagen", sagte er am Montag. | |
Einen einzigen Wunsch hatte er an seinem 48. Geburtstag: "Ich wünschte, ich | |
wäre in der Schweiz." | |
24 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Barbara Bollwahn | |
Barbara Bollwahn | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachruf zum Tod Noël Martins: „Sie haben mich nicht besiegt“ | |
Der Bauunternehmer Noël Martin wurde 1996 von Neonazis schwer verletzt. Bis | |
an sein Lebensende kämpfte er gegen Rassismus und für Verständigung. | |
Rechtsextremismus: NPD kriegt mächtig Gegenwind | |
Rund 300 Menschen protestieren vor dem Rathaus Tempelhof gegen eine | |
NPD-Veranstaltung. Anzeichen für eine erhöhte Präsenz der Rechten in dem | |
Bezirk gibt es bisher nicht |