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# taz.de -- Neues Album von Nick Cave: Finstere Trauerarbeit
> Sänger Nick Cave veröffentlicht das stoisch-impressionistische
> Blues-Album „Ghosteen“. Es ist nach dem Tod seines Sohnes entstanden.
Bild: Bis auf Weiteres nicht altersmilde: Nick Cave
Am Anfang steht Elvis Aaron Presley, „the King of Rock ’n’ Roll“, auf e…
Bühne in Las Vegas; am Ende steht Hollywood in Flammen. Einer der
Spannungsbögen des neuen Albums von Nick Cave & The Bad Seeds, welches als
physische Version kommende Woche veröffentlicht wird. „Ghosteen“ heißt das
Werk, es ist die 17. Studioaufnahme einer Band, deren Leiter einst
bescheinigt wurde, er könne in Dantes „Inferno“ die Hauscombo leiten.
Nick Cave & The Bad Seeds traten 1984 mit der Coverversion des
Elvis-Klassikers „In The Ghetto“ auf den Plan und schickten im Jahr darauf
„Tupelo“ hinterher: einen siebenminütigen Blitz und Donner, sinistre
Geisterbeschwörung von abermals Elvis, basierend auf einer Bluesmoritat
John Lee Hookers und einem verlangsamten Bo-Diddley-Beat.
Der Witz des Ganzen: Diese Durch-und-durch-Americana-Mixtur war in den
Westberliner Hansa-Studios, im Niemandsland nahe der Mauer, angerührt
worden. Das Gebräu geriet so furchteinflößend wie mitreißend, es ließ junge
Männer in Secondhand-Anzüge steigen und junge Frauen sagen, für den Sänger
könnten sie untreu werden. Anfang Neunziger sollten Nick Cave & The Bad
Seeds gar eine Probe im Theatersaal des Berliner Kunsthauses „Tacheles“
absolvieren. Die Ruine dürfte ihnen ihre beste Kulisse gewesen sein.
## Gründlich anders
2019 klingt Cave gründlich anders; das ist ein Kompliment! In der
Besetzungsliste von „Ghosteen“ stehen etwa: Synthesizer, Loops, Flöte und
Vibraphon. Aber elektronisch generierte Klangflächen scheinen zu überwiegen
und erzeugen ein fast schon an Progrock erinnerndes Klangbild. Ja, der
Bluespunk Nick Cave hat mit 62 etwas getan, was ihm nicht zuzutrauen war:
Er hat ein Ambient-Gospel-Album veröffentlicht. Nun waren Caves Werke nie
dazu gedacht, sie nebenher zu hören.
Auf einer guten Anlage, am besten unter Kopfhörern, wird sich
herausstellen: Das kammermusikalische Instrumentarium wird an den
entscheidenden Stellen mit großer Liebe zum Detail eingesetzt. Das
Raffinement von „Ghosteen“ liegt in dem eigenwilligen Amalgam aus einer
impressionistisch konzertierenden Band mit einem expressiv agierenden
Sänger, der vieles war und ist, aber kein Minimalist.
Gänzlich neu ist diese Kombination nicht. „[1][Ghosteen“] treibt die karge,
sparsame Stilistik des 2013 erschienenen Albums „Push the Sky Away“ auf die
Spitze. Caves maßgeblicher Mitstreiter dieser Tage, der australische
Multiinstrumentalist Warren Ellis, hatte da den bekannten Bariton seines
Kompagnons mit so ungewohnten Dingen wie einem Synthesizer-Beat unterlegt.
Beats nun hat das atmosphärische „Ghosteen“ wenige, was nicht heißt, dass
die Songs keinem Rhythmus folgen. Einige dieser Lieder ließen sich eher als
Stücke bezeichnen denn als Texturen.
## Leitmotive statt Refrains
An die Stelle wiedererkennbarer Refrains sind leitmotivisch gesetzte Zeilen
getreten. Und dann ist da Caves Stimme: Früher bereits, so in „As I Sat
Sadly by Her Side“ aus dem Album „No More Shall We Part“ (2001), hat er
sich in höhere Register gewagt, eine Technik, die er 2016 auf „Skeleton
Tree“ weiter ausbaute. Auf „Ghosteen“ unterstreicht das Nebeneinander
beider Stimmenlagen den fragilen Gesamteindruck eines über weite Strecken
bestürzenden Albums.
Bis weit in die Neunziger hatte die Finsternis bei Cave nicht selten etwas
Cartoonhaftes. „Ghosteen“ ist wirklich düster. Während der Arbeit an
„Skeleton Tree“ ist Caves Sohn Arthur tragisch verunglückt und gestorben.
Das Trauma ist beiden Werken anzuhören. Cave unterteilt „Ghosteen“ in zwei
Hälften: Die erste mit den kürzeren Songs, das sind die Kinder, die zweite
mit dem zwölfminütigem Titelstück und dem viertelstündigen [2][„Hollywood…
das sind die Eltern.
Dazwischen geschaltet ist „Fireflies“, ein kurzes Spoken-Word-Piece.
„Ghosteen“ selbst bezeichnet Cave als Wandergeist. Wie mit der Trauer
umgehen? Während Hollywood brennt, beschließt Cave das Album mit einem
buddhistischen Gleichnis. Und in Andrew Dominiks Dokumentarfilm [3][„One
More Time with Feeling“] sagt der Vater über seinen Sohn: „Es ist uns
passiert, aber ihm geschehen.“
21 Oct 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=3OBZMURXYG4
[2] https://www.youtube.com/watch?v=PCTevL8OImE
[3] https://www.youtube.com/watch?v=BZMW7G4JQAE
## AUTOREN
Robert Mießner
## TAGS
Nick Cave
Blues
Trauer
Nick Cave
Berlin Ausstellung
Dokumentarfilm
Tagebuch
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