# taz.de -- Neues Album von MGMT: Nenn mich nicht nett, ich bin böse | |
> Der Musiker Andrew VanWyngarden von MGMT treibt ein Spiel mit düsteren | |
> Erwartungen und Übertreibungen auf dem neuen Album „Little Dark Age“. | |
Bild: Das Verwirrspiel geht weiter: Andrew VanWyngarden (r.) und sein MGMT-Koll… | |
Es beginnt mit einer bewussten Irreführung. Auf einem flinken Discobeat | |
kommt sie daher und winkt mit fluffigen Keyboardmotiven. Später sind da | |
eine Kirmesorgel und als Krönung ein Saxofon, dessen Spieler Danny Meyer | |
mit aller Wahrscheinlichkeit ein rotes Hemd mit sehr großem Kragen zum | |
weißen Anzug trägt. Doch dann fahren die Keyboards plötzlich ins | |
Dramatische, und warum meint der Sänger in seinem immer noch freundlichen, | |
jungenhaften Ton: „Welcome to the shit show / grab a comfortable seat / | |
find me in the front row“? Was ist das für eine Scharade, zu der er da | |
lädt? | |
„She works out too much“ heißt der Song. Er eröffnet das vierte Album der | |
aus New York stammenden Indietronic-Band MGMT. Und mit ihm werden wir im | |
Handumdrehen in die Themenwelt der Platte katapultiert. In ein Spiel mit | |
Erwartungen, in eine offenkundig gescheiterte Beziehung – er beschließt, | |
sich richtig gehen zu lassen, trainiert hat er nie, sie umso mehr –, und in | |
eine Überzeichnung des Dunklen. Die aber sollte nicht mit der zunehmenden | |
politischen Düsternis verwechselt werden, die Andrew VanWyngarden in den | |
USA heraufgezogen sieht. Große Worte in einer Popbesprechung, gewiss, doch | |
sie müssen fallen. | |
Das Verwirrspiel geht weiter. Der Reihe nach: Das Cover der Platte, die so | |
quietschbunt beginnt und dabei grau grundiert ist, lässt einen | |
Gothic-Wiedergänger erwarten. Vor einem schweflig-gelben Hintergrund zeigt | |
es einen Maskenmenschen, der Mund offen, die Augen leer. Inmitten von | |
amorphen Schemen und unter einem Wandgemälde eine Hügellandschaft mit Pfad | |
– das könnte ein Ausweg sein – hält die Schmerzensfigur sich den Kopf. | |
„Ein Christian-Death-Motiv“, sagt VanWyngarden. Die Band Christian Death, | |
zur Erinnerung, war Mega-Goth, Grusel mit Hintergrund, Theater der | |
Grausamkeit. Tiefschwarz ist die Schrift, die MGMTs Cover-Künstler Jimi | |
Taber gewählt hat; der Bandname in Pretorian, einer Art-Nouveaux-Schrift, | |
das „LDA“ für den Titel, „Little Dark Age“, in Eckmann, einer | |
Jugendstilschrift. Beide wurden in den psychedelischen Sechzigern gern und | |
oft recycelt. | |
Und erst einmal geht es auch auf der Platte tiefschwarz weiter. „Little | |
Dark Age“, der Titelsong und die erste Single, ist ein einziges | |
Gothic-Pastiche. Bewusst auf die Spitze getrieben mit einem Video der | |
Regisseure David MacNutt und Nathaniel Axel und das Ergebnis jahrelanger | |
Scherze: „Du darfst schon dabei grinsen“, meint VanWyngarden, wenn er sich | |
auf die so naheliegenden Verweise in dem Clip bezieht: seine | |
kajalgeränderten Augen und die Robert-Smith-Frisur, das viktorianische | |
Interieur, die Kerzen und der Nebel über einer Wiese. Ein Grammofon, ein | |
Apfel und eine Peitsche haben ihren Auftritt; man denkt an Hieronymus | |
Boschs „Wollust“ aus „Die Sieben Todsünden“. Die Bilder des Malers Bal… | |
„Thérèse, träumend“ und „Die goldenen Tage“ werden nachgestellt. | |
## „Over the top“ | |
Bei Hekate, Lilith und Salome! Ist das nicht alles etwas viel, und wie | |
passt das auf dieser Platte zusammen? „Der Song sollte schon | |
herausstechen“, antwortet VanWyngarden und fügt hinzu: „Wir spielen da | |
gewollt mit der Unheimlichkeit.“ | |
Ein Begriff, der mehrmals im Interview fällt, ist „over the top“. Die | |
Frage, ob MGMT eigentlich Theater machen, möchte VanWyngarden nicht | |
verneinen und sagt: „Das Spiel mit Charakteren und Stimmen hat etwas | |
zutiefst Befreiendes.“ Dass er David Bowie als wichtigen Einfluss nennt, | |
überrascht dann nicht. Für die unbedingte Zitatfreudigkeit von MGMT spricht | |
dabei die Wahl der Coverversion im aktuellen Liveprogramm: „Ashes and | |
Diamonds“, ein hundertzwanzigprozentig bowiesker Track von Zaine Griff, | |
einem in den Siebzigern von Neuseeland nach England gezogenen | |
New-Wave-Songwriter. Das Zitat eines Zitats also. | |
Noch weiter zurück in die Popgeschichte führt „When You Die“, der dritte | |
Song und die zweite Videosingle auf „Little Dark Age“: Ganz Gitarren- und | |
Pianoseligkeit, an die Beatles von „Sgt. Pepper“ erinnernd. Oder an | |
Westcoast-Psychedelia, wären da nicht Textzeilen wie diese aus der Feder | |
des mit MGMT befreundeten Songwriters Ariel Pink: „I’m not that nice / I’m | |
mean and I’m evil / Don’t call me nice / I’m gonna eat your heart out.“ | |
MGMT möchten, betont VanWyngarden, Schwieriges auf die freundliche Tour | |
sagen: „Wir wollen Songs, bei denen die Leute mitsingen, und sich dann | |
wundern, wozu sie da eigentlich trällern.“ Und: „Die Hörer sollen raus aus | |
der Komfortzone. Dass sie nicht genau das kriegen, was sie glauben zu | |
hören, das ist der psychedelische Impuls bei uns.“ | |
Komfortzone, Kommunikationsblase: „TSLAMP“ ist ein Funk-Track mit einem | |
Titel, den es in den Fünfzigern, Sechzigern so noch nicht gegeben hätte. | |
Ein Stück, über dem eine tiefe Melancholie liegt. Der Titel steht für „Time | |
spent looking at my phone“. Van Wyngarden weiter: „Über moderne Technik zu | |
singen, erschien uns anfangs zu offensichtlich, aber wir konnten nicht | |
anders.“ Schlendert, wer permanent auf das mitdenkende Telefon schaut, | |
eigentlich noch auf die Tanzfläche? Das nämlich wäre auf „Little Dark Age�… | |
durchgehend drin, ganz besonders auf „Days That Got Away“, einem | |
hypnotischen, knapp fünfminütigem Quasi-Instrumental, für das sich MGMT von | |
alten Dub-Aufnahmen und äthiopischen Shuffle-Beats inspirieren ließen. | |
Ein anderer Hüftschwungkandidat ist „One Thing Left To Try“, doch sofort | |
ist sie wieder da, die Doppelgesichtigkeit von MGMT: Mit dem in Klammern | |
gesetzten Satz „Fun is over tonight“ endet der Song. Die Platte tut das mit | |
„Hand It Over“, einer Ballade, in der es heißt: „The smart ones exit ear… | |
/ and the rest hope for a / Shoulder.“ Die Guten verabschieden sich früh. | |
Und wer bleibt, wünscht sich eine Schulter. „Little Dark Age“ ist ein Album | |
für Leute, die auf eine Party gehen und dabei einen Kloß im Hals haben. Das | |
sind dieser Tage nicht wenige. | |
9 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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