| # taz.de -- Ambient-Album von Wolfgang Voigt: Dröhnland mit Pauken und Trompet… | |
| > Endlich wieder druff: „Rausch“ heißt das neue Album von Wolfgang Voigts | |
| > sphärischem Ambient-Projekt GAS. Es eröffnet einen riesigen Klangraum. | |
| Bild: Könnte in einem ZDF-Vierteiler mitwirken, macht aber irren Ambient: Wolf… | |
| Treffen sich Orgel und Harfe im tiefen Tann, bleiben sie nicht lange | |
| allein: Gleich dort, wo der Bach gurgelt, entfacht die Orgel einen | |
| mächtigen Wind und lässt ihn durch ihre Pfeifen ziehen. Ein satter, starker | |
| Ton steht im weiter und höher werdenden Klangraum. In dieser Kathedrale | |
| möchten Pauken und Becken nicht fehlen, sie klopfen und klingeln dezent. | |
| Sechs Minuten, und es grummelt und knirscht im Unterholz. Auch ist da ein | |
| metallisches Zischen, als sich jäh und kurz Glockentöne vernehmen lassen. | |
| Oder kommen sie vom Klavier? Eine Basstrommel gesellt sich hinzu, ihr | |
| Pochen gerät lauter und lauter. Der Orgelton wird heller, schriller gar. | |
| Signale eines Nebelhorns fahren in die Blätter; der Reigen gewinnt an | |
| Bewegung, Dramatik und Dynamik. Aus dem Knirschen scheint das Dröhnen der | |
| fernen Stadt geworden zu sein. Über aufgeraute Klangflächen legt sich | |
| dunkler, anziehender Sirenengesang. Bei alldem steht die Harfe still und | |
| wartet erst mal ab. Ihr Auftritt wird kommen. | |
| Zu vernehmen ist dieses Angebinde aus Wald und Flur auf „Rausch“, dem neuen | |
| Album des Einmannprojektes GAS, eines Alias des Kölner | |
| Elektronikkomponisten Wolfgang Voigt. 60 Minuten lang, umfasst das Album | |
| sieben gleiche Segmente. Voigt möchte „Rausch“ als zusammenhängendes | |
| Hörstück verstanden wissen. Vor dem Hören empfiehlt es sich, das Cover mit | |
| seinem großformatigen Baum- und Strauchwerk vor Augen gehabt zu haben, | |
| diese alsdann zu schließen, sich noch einmal „Film ab“ zu sagen und nach | |
| dem Zusammenhang von Rausch und Wald zu fragen. | |
| ## Ungestüme Bewegung | |
| Der Leipziger Historiker Robert Feustel situiert die Wortbedeutung von | |
| Rausch im mittelhochdeutschen rûsch, in „ungestümer Bewegung“, als auch im | |
| „Rauschen der Blätter, des Wasserfalls oder des Windes“, meint Voigt: | |
| „Sowohl Rausch, Schaffensrausch, Bilderrausch, als auch Rauschen, im Sinne | |
| von Rauschen im Wald, Rauschen im Kopf, Rauschen in der Musik, spielen bei | |
| GAS immer eine Rolle.“ Wolfgang Voigt, Künstler mit insgesamt 160 Werken, | |
| ist umtriebig. Er debütierte Ende der Achtziger mit Acid-House und spielt | |
| mittlerweile eine Art sphärischen Ambient, der auch in die Konzerthäuser | |
| passt. | |
| Voigts Diskografie umfasst die Labels Raster-Noton und Mille Plateaux sowie | |
| die Eigengründungen Profan und Kompakt. Neben GAS führt er etliche weitere | |
| Pseudonyme. Er firmierte als „Wassermann“ oder „Rückverzauberung“, | |
| GAS-Alben tragen Titel wie „Zauberberg“ und „Königsforst“. Voigt ist e… | |
| der Erhabenheit und, wo dies angebracht erscheint, einen hohen Ton nicht | |
| scheut. Es empfiehlt sich ebenso, den Text zu lesen, den er „Rausch“ | |
| beigefügt hat. „Rausch ohne Namen / Mein schöner Schein / Du bist die Sonne | |
| / Hier will ich sein“, heißt es da. Und: „Den Wein, den man mit Augen | |
| trinkt / Gießt nachts der Mond in Wogen nieder.“ | |
| Wolfgang Voigt ist mit den Sujets der Romantik vertraut. Für frühere | |
| Veröffentlichungen verwendete er kurze Zitate von Richard Wagner, Gustav | |
| Mahler und Alban Berg. Die ausgedehnt orchestrierten, monumental anmutenden | |
| Passagen in „Rausch“ sind nun Samples seiner eigenen Kompositionen. Sie | |
| verdeutlichen den Kunstgriff von Voigt, mittels einer so modernen wie | |
| zeitlosen Klangsprache schwer besetzte Themen zum Klingen zu bringen: | |
| Sehnsucht und Ich-Verlust. Themen, die, leichtfertig links liegen gelassen, | |
| rechte werden können, dies aber nicht sein müssen. „Rausch“ ist ein Werk, | |
| auf dem sich der Unvernunft mit leidenschaftlicher Vernunft genähert werden | |
| kann. | |
| ## Wider das furchtbare Joch der Zeit | |
| Im 19. Jahrhundert hat das der große Dichter Charles Baudelaire vorgemacht. | |
| Seine Empfehlung lautete: „Man muß immer trunken sein. Um nicht das | |
| furchtbare Joch der Zeit zu fühlen, das eure Schultern zerbricht und euch | |
| zur Erde beugt, müsset ihr euch berauschen, zügellos. Doch womit? Mit Wein, | |
| mit Poesie oder mit Tugend, womit ihr wollt.“ | |
| Voigt findet das gut, sagt er. Gefragt, ob sein neues Album die Stufen des | |
| Rauschs vertont – die Verlockung und Herausforderung, die Entgrenzung und | |
| das Danach –, antwortet er: „Gerade das Abstrakte regt zu Interpretationen | |
| mannigfaltigster Art an. Als Künstler freue ich mich, wenn die Leute bei | |
| mir die unterschiedlichsten Dinge hören und sehen. Im Idealfall ist das | |
| Album ein zeitentrückter, psychedelischer Rausch ohne Namen, ohne Morgen, | |
| ohne Anfang, ohne Ende, ohne Chronologie, ohne Ballast, ohne Vorbedeutung.“ | |
| Vor den Ausklang setzt er den Weckruf der Harfe. | |
| 26 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Mießner | |
| ## TAGS | |
| Gas | |
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| Techno | |
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