# taz.de -- Neues Album der Band Fenster: Hypnose im ewigen Jetzt | |
> Das Pop-Quartett Fenster aus Berlin hat sein Album „The Room“ bei | |
> Jamsessions entwickelt. Das hat dem Psychedelik-Sound gutgetan. | |
Bild: Fenster, hier mal nicht in Norditalien, sondern am Spiegel | |
Und plötzlich dreht die Gitarre durch. Wenige Sekunden zuvor wähnte man | |
sich noch an der kalifornischen Küste, surfte auf einem sanften Rhythmus | |
zwischen Psychedelia und Softrock, angeschoben durch groovy Discobeats, und | |
kurzen Tripps in Krautrock-Gefilde. Man kann sich in der Musik von Fenster | |
sehr gut verlieren. | |
Schon beeindruckend, wie die 2010 in Berlin gegründete Band es schafft, | |
über die Länge von Konzerten und Alben ihren Sound zu einem Smoothie aus | |
Tracks und Stimmungen zu homogenisieren, ohne dass auch nur eine Sekunde | |
davon vorhersehbar wird. | |
Auf ihren bisherigen vier Alben haben sie einen weiten Bogen gespannt, von | |
den Wurzeln im konventionellen Indie-Folk zum atmosphärischen Soundtrack | |
zum Science-Fiction-Film „Emocean“. Ihr neues Werk „The Room“ ist nun | |
deutlich von einem demokratischen Jam-Session-Ansatz geprägt. | |
## Inbegriff der Berlin-Band | |
Fenster sind Inbegriff der Berlin-Band: Drummer Elias Hock und Sänger | |
Jonathan Jarzyna kommen aus Deutschland, Bassistin JJ Weihl hat einen | |
US-Pass, und Lucas Ufo, Tasten und Gitarre, ist Franzose. Kennengelernt hat | |
sich das Quartett in der kreativen Blase der Stadt, alle vier arbeiten | |
nebenbei in Off-Kultur-Projekten, unterstützen sich für ihre Soloprojekte | |
gegenseitig. JJ Weihl hat da das Alias Discovery Zone, und Jarzyna | |
verwandelt sich in John Moods. | |
Für ihr neues Album „The Room“ haben die vier allerdings den Dampfkessel | |
verlassen. Inspiriert ist der Titel von dem Ort, an dem das Album | |
entstanden ist: ein abgelegenes Haus in Norditalien, in dem Fenster alle | |
Songs komponiert, geprobt und dann auch live aufgenommen haben, also die | |
ganze Zeit zusammen verbracht haben. | |
Momentan tauschen viele Bandprojekte über Kontinente hinweg Soundfiles in | |
der Cloud, dahingegen ist es Fenster wichtig, Musik gemeinsam an einem | |
physischen Ort zu entwickeln. „Wir schreiben ein neues Kapitel der Band, es | |
ist wie ein Neuanfang“, sagt die in New York geborene Weihl im Interview | |
und spielt darauf an, dass die aktuelle Besetzung mit „The Room“ auch zum | |
ersten Mal zusammen ein Album eingespielt hat. | |
## Ferienhaus als Coworking Space | |
22 Songs haben Fenster für „The Room“ komponiert, zehn Stücke sind auf dem | |
Album gelandet – die Essenz ihres Coworkings. Das Stück „Groovin’ With T… | |
Eternal Now“ drückt dies als Motto des Zusammenlebens aus: „Während der | |
Findungsphase der Songs haben wir beim Proben immer versucht, ganz im Jetzt | |
zu sein. Zur Vorarbeit sind wir in die Natur gegangen. Die Band war dann | |
wie ein Schiff, das wir alle vier gesteuert haben. So hat man manchmal das | |
Gefühl, niemand steuert.“ | |
Eine Band, die Fenster für „The Room“ inspiriert hat, ist Can, erzählt JJ | |
Weihl. Doch die Songs von Fenster klingen nicht epigonal nach Krautrock. | |
Mehr geht es ihnen um die Attitüde der Kölner Band. „Wir haben versucht, in | |
unserem Spiel einen Kreislauf zu entwickeln, in hypnotische Trance zu | |
kommen.“ Wie einst bei ihren Vorbildern wird auch bei Fenster der | |
Jamcharakter zum emanzipatorischen Momentum: Keins der Bandmitglieder | |
spielt sich in den Vordergrund. „Demokratisch“ ist ein Begriff, den Weihl | |
immer wieder benutzt. | |
Die Stücke werden bei Fenster live komponiert, entwickeln sich, wachsen im | |
Spielen. Ein Album kann so immer nur Momentaufnahme sein, es bannt die | |
Stücke zu einem bestimmten Zeitpunkt in den formalen Rahmen eines Albums, | |
während die Musik sich unabhängig davon weiterentwickelt. | |
## Kein Metronom | |
Auf ein Metronom hat Schlagzeuger Elias Hock bewusst verzichtet. „Das macht | |
unseren Rhythmus ein bisschen wabbelig“, fasst Weihl das Gefühl, das „The | |
Room“ vermittelt, zusammen: „Es war uns wichtiger, frei zu sein, als im | |
Rhythmus präzise zu klingen.“ Insofern erschafft „The Room“ tatsächlich | |
einen Raum mit eigener Zeit, der Takt nicht maschinell gemessen, sondern | |
subjektiv kreiert. | |
Rhythmuswechsel und Tempiwechsel, exemplarisch steht dafür der Auftaktsong | |
„The Room“, klingen organisch und locker. Es sind nicht die einzigen | |
Überraschungsmomente des Albums. Alle Songs nehmen jeweils neue Wendungen, | |
setzen markante Pausen, werden von pluckernden Effekten gespickt, wechseln | |
von Melancholie („Feel Better“), zum strengen Motorikbeat („HBW“), zu | |
Slow-Motion-Funk („Groovin' With The Eternal Now“), zu einem verdrehten | |
Softpopsong in der Manier von Fleetwood Mac („The Room“). | |
Trotz dieses Referenz- und Stimmungshoppings gelingt es Fenster, immer | |
exakt wie Fenster zu klingen. Mit „The Room“ schaffen sie noch mehr: einen | |
Klangraum wie ein Labyrinth, in dem man immer wieder etwas Neues entdeckt – | |
und aus dem man nicht so einfach wieder herauskommt. | |
26 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Diviam Hoffmann | |
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