| # taz.de -- Neues Album „Chromatica“ von Lady Gaga: Selbstheilung durch Pla… | |
| > Lady Gaga geht musikalisch ständig neue Wege. Auf ihrem neuen Album | |
| > „Chromatica“ ist sie auf der Suche nach sich selbst im Eurotrash | |
| > gelandet. | |
| Bild: Lady Gaga auf der Met Gala 2019 in New York | |
| Bekanntlich ist [1][Stefani Joanne Angelina Germanotta] – geläufig der Welt | |
| eher durch ihren Künstlernamen [2][Lady Gaga – ein Fan von Veränderungen.] | |
| Durch Smashhits wie „Poker Face“ zur Dancepop-Queen geworden, wurde sie | |
| auch durch ihre andauernden Kostümwechsel seit Ende der nuller Jahre zur | |
| Spezies Superstar gezählt. Streng objektiv betrachtet war die Gaga alles | |
| andere als eine ernsthafte Anwärterin für einen Ausflug in die Jazzwelt. | |
| Das hielt sie allerdings nicht davon ab, 2014 gemeinsam mit dem | |
| [3][Easy-Listening-Sänger Tony Bennett] einen Haufen schöner Standards von | |
| Cole Porter bis Irving Berlin aufzunehmen. | |
| Mit dem Album „Cheek to Cheek“ demonstrierte die 34-Jährige eindrucksvoll, | |
| was für eine vielseitige Stimme sie hat. Selbst Countrymusik war für Lady | |
| Gaga kein Tabu: Auf ihrem letzten Album „Joanne“ flirtete sie 2016 mit | |
| diesem Genre und lernte dafür eigens Gitarre. Ihre schrillen Kostüme – | |
| unvergesslich natürlich das Fleischkleid, das sie 2010 bei den MTV Video | |
| Music Awards trug – verbannte sie für einmal in den Kleiderschrank, um in | |
| Jeans und T-Shirt das bodenständige Mädchen von nebenan zu mimen. | |
| Und nun? Die Kritik hoffte, die US-Künstlerin möge fleißig weiter an ihren | |
| Kompositionstechniken feilen. Nicht wenige Fans wünschten sich dagegen nur | |
| eins: Gagas Rückkehr zu den Dancefloor-Wurzeln. Wohl auch deshalb | |
| verschreibt sich die Sängerin mit ihrem aktuellen Werk „Chromatica“ dem | |
| Eurodance und wildert nun wieder in den trashigen Jagdgründen von | |
| Kommerz-Pop. Ihr Kunstliedpotenzial opfert sie zugunsten von betonharter | |
| Eingängigkeit. | |
| ## Elton John, Ariana Grande und Blackpink | |
| Corona hin oder her, wer Lust hat zu tanzen, kann sich über 45 Minuten bei | |
| ihr ausagieren. Abgesehen von einem Bombast-Intro mit Orchester und zwei | |
| Zwischenspielen gibt es ausschließlich Partycracker, die beim | |
| Neunziger-Revival andocken. So weit, so erwartbar: Lady Gaga hätte ruhig | |
| ein paar mehr Widersprüche zulassen können, etwa mit einer schmierigen | |
| Ballade oder bei der Auswahl der Gäste. Elton John ist nun wahrlich keine | |
| Überraschung. | |
| Lady Gagas Duett mit ihm heißt „Sine from above“, der Stampfer entpuppt | |
| sich als Trancepflock, der ohne Rücksicht auf Verluste in den Dancefloor | |
| getrieben wird. „Rain on me“, zusammen mit [4][Ariana Grande], ist zwar | |
| flott, aber auch ein bisschen arg simpel. | |
| Besser gelingt „Sour Candy“, bei dem Lady Gaga ihr Mikro an die | |
| [5][K-Pop-Band Blackpink] gibt und einige Zeilen rappt. Ein Madonna-Zitat | |
| steckt in „Babylon“, das wie eine zeitgenössische Version von „Vogue“ | |
| klingt und von Klatsch handelt. Man muss viel Mittelmaß ertragen, bis man | |
| zu „Enigma“ gelangt, wo Lady Gaga das Maximum aus ihrem Gesang herausholt. | |
| Angeblich hat sie sich in den Songs von „Chromatica“ von ihren persönlichen | |
| Traumata anleiten lassen: Psychische Probleme, eine Vergewaltigung, | |
| chronische Schmerzen – all das soll in die Musik eingeflossen sein. In dem | |
| Stück „Alice“ singt Lady Gaga, sie sei auf der Suche nach dem Wunderland. | |
| ## Traumata und Selbsthass | |
| In „911“ bekennt Lady Gaga, sie selbst sei ihre eigene größte Feindin: �… | |
| a 911“, diese Zahl steht nicht bloß für den telefonischen Notruf, sondern | |
| auch für Antidepressiva. Man muss schon zweimal hinhören, um den Text | |
| wirken zu lassen. Wenn der Nabel der Welt eine Discokugel ist, liegt eine | |
| Auseinandersetzung mit Selbsthass nicht unbedingt nah. | |
| Genau das ist das Manko dieses Albums. Lady Gaga schafft es nicht, | |
| vermeintlich heterogene Elemente wie schlechte Phasen und musikalische | |
| Massenkompatibilität in einer schlüssigen Dramaturgie zusammenzubringen. Am | |
| ehesten kauft man ihr den Song „Stupid Love“ ab. Da verkündet sie: „All I | |
| ever wanted was love“ und inszeniert sich in grellem Pink als | |
| Friedensstifterin, die eine Stammesfehde schlichtet. | |
| Nach dem Motto: Nur die Liebe zählt. Diese Hippie-Botschaft in Plastikpop | |
| zu verpacken, funktioniert tatsächlich prächtig. Ansonsten hätte sich Lady | |
| Gaga besser entschieden, was sie wirklich will – die Leute einfach mit | |
| simplen Popsongs zu unterhalten oder ihre inneren Dämonen [6][mit großer | |
| Ernsthaftigkeit] nach außen kehren. | |
| 24 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dagmar Leischow | |
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