| # taz.de -- Neue Steuer für Vermieter: SPD will Weimarer Verhältnisse | |
| > Wie vor 100 Jahren sollen die Vermieter herangezogen werden, um den | |
| > Wohnungsneubau zu finanzieren. Senat prüft Idee einer progressiven | |
| > Mietensteuer. | |
| Bild: Die Weiße Stadt in Reinickendorf | |
| Berlin taz | Weimarer Verhältnisse, das klingt nach Angriffen auf die | |
| fragile Republik von links und rechts und zunehmender Gewalt auf der | |
| Straße. Für Mieterinnen und Mieter waren Weimarer Verhältnisse aber auch | |
| paradiesische Zustände. Denn der preußische Staat finanzierte den | |
| Wohnungsbau in den zwanziger Jahren mit einer Steuer, die die | |
| Hauseigentümer und Vermieter zahlen mussten – die sogenannte | |
| Hauszinssteuer. | |
| Daran wollen die SPD-Abgeordneten Lars Rauchfuß und Mathias Schulz | |
| anknüpfen. Sie berufen sich auf ein [1][Papier des Deutschen Instituts für | |
| Wirtschaftsforschung DIW], das in Berlin die Einführung einer „progressiven | |
| Mietensteuer“ vorschlägt. „Damit könnten wir eine lenkende Wirkung auf dem | |
| Wohnungsmarkt erzielen“, sagt Lars Rauchfuß der taz. Mit den Einnahmen | |
| könne der Wohnungsneubau angekurbelt werden – wie einst beim Bau der Weißen | |
| Stadt in Reinickendorf, die heutes Unesco-Welterbe ist. | |
| In dem neunseitigen Papier, das der taz vorliegt, schlägt das DIW vor, | |
| Mieten, die zehn Prozent über dem Mietspiegel liegen, mit einer | |
| zusätzlichen Steuer zu belegen. „Zum Beispiel könnte man die Mietanteile | |
| oberhalb von 110 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete mit zehn Prozent | |
| belasten“, heißt es. Mieten oberhalb von 120 Prozent des Mietspiegels | |
| könnten mit 20 Prozent, oberhalb von 130 Prozent mit 30 Prozent belastet | |
| werden. 201 Millionen Euro würden so pro Jahr zusätzlich in den | |
| Landeshaushalt fließen, haben die Autoren des Papiers errechnet. | |
| Brisant dabei ist eine Auswertung, der der Mietspiegel und Daten aus dem | |
| Mikrozensus 2018 zugrunde liegen. Demnach zahlen gut 41 Prozent der | |
| Mieterhaushalte in Berlin eine überhöhte Miete, die mindestens zehn Prozent | |
| über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. | |
| ## Mietsteuer statt Enteignung? | |
| Für das DIW ist die „progressive Mietsteuer“ auch eine Antwort auf den vor | |
| dem Verfassungsgericht [2][gescheiterten Mietendeckel]. Gleichzeitig | |
| argumentieren die Autoren mit dem Volksentscheid [3][Deutsche Wohnen und | |
| Co. enteignen]. Wegen der hohen Entschädigungszahlungen, die das Land | |
| Berlin dabei leisten müsse, sei dies „ein weiterer fragwürdiger Versuch, | |
| den seit nunmehr gut zehn Jahren deutlich steigenden Wohnungsmieten in der | |
| Hauptstadt etwas entgegenzusetzen“. | |
| Allerdings hat der neue Vorstoß von DIW und SPD einen Haken. Denn: Die | |
| Berliner Mieterinnen und Mieter haben zunächst wenig davon. Zwar hofft Lars | |
| Rauchfuß, dass die Vermieter durch die Steuer dazu bewegt werden, | |
| überteuerte Mieten zu senken. Doch mehr als ein Appell dürfte das nicht | |
| sein. | |
| Ein Beispiel: Verlangt ein Vermieter für eine Wohnung, die laut Mietspiegel | |
| 1.000 Euro im Monat netto kalt kosten dürfte, 1.500 Euro Miete, so müsste | |
| er laut dem Modell des DIW 30 Prozent Steuer auf die Miete zahlen, die über | |
| 110 Prozent des Mietspiegels liegt. Das sind 120 Euro im Monat. Bleiben ihm | |
| von der Differenz von 400 Euro also immer noch 280 Euro, die er mehr | |
| einstreicht. | |
| ## Geld für Sozialwohnungen | |
| Ein Anreiz, die Miete zu senken, ist das nicht. Lars Rauchfuß spricht | |
| deshalb davon, dass die 201 Millionen jährlich nicht nur für den Neubau, | |
| sondern auch anderweitig eingesetzt werden könnten. Das sieht auch das DIW | |
| vor. Es rechnet vor, dass mit der Steuer entweder 7.500 neue Wohnungen im | |
| Jahr finanziert, aber auch „Mieten von 100.000 Wohnungen um 2,50 Euro je | |
| Quadratmeter und Monat gesenkt“ werden könnten. Darüber hinaus geht | |
| Rauchfuß davon aus, dass die Vermieter die Steuer nicht auf die Miete | |
| umlegen können. | |
| Der Berliner Mieterverein begrüßte am Mittwoch die Prüfung einer | |
| Mietensteuer. Geschäftsführer Reiner Wild verweist auf den „großen | |
| Finanzierungsbedarf für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und für | |
| energetische Sanierungen“. Für die Umsetzung schlägt Wild dagegen vor, | |
| nicht die ortsübliche Vergleichsmiete, deren Berechnung schwierig und | |
| anfechtbar ist, zur Grundlage zu nehmen, sondern wie beim Mietendeckel | |
| Schwellenwerte zu definieren. Eine Mietensteuer sei gleichwohl „kein Ersatz | |
| für eine wirksame Mietpreisbremse“, ebenso wenig mache sie die Enteignung | |
| der Konzerne überflüssig, so Wild. | |
| Ob die Mietensteuer – ebenso wie das [4][Mietenmoratorium, das Bausenator | |
| Andreas Geisel (SPD) den privaten Konzernen im Bündnis für Neubau und | |
| bezahlbare Mieten abringen will] – überhaupt realistisch ist, prüft derzeit | |
| die Verwaltung von Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne). In einer Antwort | |
| auf eine Anfrage von Rauchfuß und Schulz heißt es, dass dem Land Berlin für | |
| die Erhebung einer Steuer die Gesetzgebungskompetenz fehle. „Alternativ | |
| bliebe allerdings die Ausgestaltung in Form einer Abgabe“, heißt es in der | |
| Antwort von Staatssekretärin Barbro Dreher. | |
| Wann die Prüfung abgeschlossen sein wird, lässt die Finanzverwaltung offen. | |
| In der kommenden Woche wollen sich die beiden SPD-Abgeordneten Rauchfuß und | |
| Schmidt mit den Autoren der DIW-Studie zusammensetzen. „Wir werden an | |
| diesem Modell weiterarbeiten“, so Rauchfuß zur taz. Bis in Berlin ähnliche | |
| Siedlungen wie in der Weißen Stadt oder der Hufeisensiedlung in Britz | |
| entstehen, kann es also noch eine Weile dauern. | |
| 20 Apr 2022 | |
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| [1] /Besteuerung-von-teuren-Mieten/!5816922 | |
| [2] /Entscheid-zum-Mietendeckel/!5760636 | |
| [3] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!t5764694 | |
| [4] /Buendnis-fuer-Wohnungsbau-in-Berlin/!5832403 | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
| Uwe Rada | |
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