# taz.de -- Neue Präsidentin in Honduras: „Der Kraftakt beginnt jetzt“ | |
> Der Aktivist Donny Reyes känpft gegen Gewalt gegen die LGBTIQ-Community. | |
> Mit der Vereidigung der Präsidentin Xiomara Castro hofft er auf Wandel. | |
Bild: Miss-America-Continental-Wettbewerb 2018 in Tegucigalpa, Honduras | |
Die erste trans Frau dieses Jahres wurde am 10. Januar ermordet. Thalía | |
Rodríguez hieß die 45-Jährige. Sie wurde mit mehreren Schüssen in ihrer | |
Wohnung in Tegucigalpa hingerichtet. Für Donny Reyes eine bittere | |
Nachricht. | |
[1][„Wieder ein Hassverbrechen“], sagt der 45-jährige Donny Reyes mit der | |
dicken, eckigen Brille und lehnt sich frustriert an das Metallgitter neben | |
der Eingangstür von Arcoiris. Reyes ist offen schwul, das ist nicht | |
selbstverständlich in Honduras. Ein Transparent mit dem Aufdruck „Geeint | |
für die Gerechtigkeit“ hängt zwischen den Gitterstäben des unscheinbaren | |
Hauses in der dritten Avenida der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa. | |
Arcoiris, „Regenbogen“, heißt die LGBTQIA+-Organisation, die hier – einen | |
Steinwurf vom Großmarkt und dem Busterminal entfernt – untergekommen ist. | |
Noch vor einem halben Jahr war Donny Reyes hier täglich. Koordinierte | |
Veranstaltungen, dokumentierte Fälle wie jenen von Thalía Rodríguez. | |
Informierte Angehörige, organisierte die Beisetzung, insistierte bei der | |
Polizei. | |
Kein leichter Gang. Weder die Polizei noch die deutlich martialischer | |
auftretende Militärpolizei haben einen guten Ruf in Honduras. Sie gelten | |
als brutal, testosterongesteuert und unwillig, [2][Straftaten gegen | |
Menschen aus der LGBTQIA+-Community] zu ermitteln. Donny Reyes kennt die | |
Uniformierten seit seinem Coming-out mit 16 Jahren nicht anders und macht | |
in aller Regel einen großen Bogen um sie. Daran hat sich bis heute nichts | |
geändert, obwohl Reyes mittlerweile Direktor der Menschenrechtsorganisation | |
Ciprodeh ist. „Immerhin gibt es Anlass zur Hoffnung“, sagt er mit einem | |
breiten Grinsen. | |
## Hoffnungsschimmer für Reyes | |
Dafür gibt es zwei Gründe. Der eine heißt [3][Xiomara Castro, die | |
designierte honduranische Präsidentin], die am 27. Januar vereidigt wird. | |
Der andere heißt Orbin Alexis Galo Maldonado. Er ist der neue Polizeichef | |
von Honduras und der erste personelle Wechsel, der auf Xiomara Castro | |
zurückgehen dürfte. Am 15. Januar wurde der anscheinend auch von den USA | |
gutgeheißene Mann vereidigt. Für Reyes ist das ein Hoffnungsschimmer. | |
„Polizisten, die trans Frauen demütigen, Schwule und Lesben jagen, habe ich | |
schon erlebt und damit muss unter Xiomara Castro endlich Schluss sein – wir | |
müssen lernen, mit unserer Vielfalt zu leben“, fordert Reyes, der auch | |
immer wieder selbst aktiv wird. Im November hat er mit einer | |
Verfassungsklage in Tegucigalpa für Aufsehen in der LGBTQIA+-Szene und in | |
der Justiz des Landes gesorgt. | |
Er klagte das Recht auf Heirat gemeinsam mit seinem Partner Megan | |
Barrientos vor der höchsten Instanz der honduranischen Justiz ein, dem | |
Verfassungsgericht. Es führte in dem sehr konservativen Land, wo | |
evangelikale und katholische Kirchen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe | |
opponieren, zu heftigen Reaktionen. Das Auto von Donny Reyes wurde | |
aufgebrochen, nur ein paar Straßenblocks von Arcoiris entfernt. | |
„Persönliche Dokumente und Kopien wurden geklaut, die wir gemeinsam mit | |
unserem Anwalt bei Gericht vorgelegt hatten. Keinerlei Wertgegenstände“, | |
sagt Reyes. Ein Indiz dafür, dass die Verantwortlichen aus der | |
macho-klerikalen Ecke stammen könnten. | |
## Verfolgt, angegriffen und ausspioniert | |
Privat hat sich Reyes deshalb entschieden, in einer von Wachpersonal | |
gesicherten Anlage oberhalb des Zentrums von Tegucigalpa zu wohnen. | |
Condomínio nennt sich das, und wer in Tegucigalpa seine Ruhe vor Dieben, | |
organisierter Kriminalität und unliebsamen Überraschungen haben will, wohnt | |
in so einer Anlage. Reyes lebt inzwischen seit sieben Jahren dort, denn der | |
offen schwul lebende Mann wurde bereits verfolgt, angegriffen und | |
ausspioniert. | |
Letzteres wiederholt sich gerade erneut. Nach einer Veranstaltung in einer | |
Stiftung, die sich für die Rechte der Queer-Community in Honduras | |
einsetzen, wurde Reyes erst von einem Mann gefilmt, dann mehrfach von | |
Fahrzeugen ohne Nummernschild verfolgt. Er hat den Vorfall angezeigt. | |
„Ganz formell, auch wenn ich alles andere als überzeugt davon bis, dass es | |
einen Effekt haben wird“, meint er mit einem bitteren Lächeln auf einer | |
Bank hinter dem Mietshaus. Das will er gemeinsam mit seinem Partner gegen | |
eine Eigentumswohnung tauschen, aber da werfen Banken und Behörden dem | |
schwulen Paar Knüppel zwischen die Beine. „Wir werden nicht als | |
gleichwertiges Paar anerkannt, bekommen nicht dieselben Zinskonditionen wie | |
Heterosexuelle. Also wehren wir uns.“ | |
## Kampf seit zwanzig Jahren | |
Das ist typisch für Reyes. Er lässt nicht locker. Unbeirrt tritt er seit | |
rund zwanzig Jahren für die Rechte der queeren Community in Honduras ein | |
und hat dafür sein Leben riskiert. Mehrfach musste er ins Exil gehen. Nach | |
Mexiko, aber auch nach Hamburg, wo er im Jahr 2014 mit einem Stipendium der | |
Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte landete. Ein paar Monate Luft | |
holen nach wiederkehrenden Polizeischikanen, einer Vergewaltigung in der | |
Polizeizelle und einem Attentat. Nach einem halben Jahr kehrte Reyes | |
zurück, wollte weitermachen. | |
„Wichtig ist, dass wir den Mut aufbringen, für unsere Rechte einzutreten, | |
dass wir kandidieren und sichtbar sind“, betont er und blickt auf das | |
blinkende Display seines Mobiltelefons. | |
Ein Angriff auf eine trans Frau wird ihm gemeldet. Ein weiteres | |
Hassverbrechen, von denen es in Honduras so viele gibt. Im Jahr 2021 wurden | |
laut dem lesbischen Netzwerk Cattrachas 28 Menschen aus der queeren | |
Community ermordet. „Nur wegen ihrer sexuellen Orientierung“, sagt Reyes. | |
Er ist es leid, Tote zu zählen. Die müssen jetzt andere dokumentieren. Die | |
oft frustrierenden Statistiken weisen Honduras als eines der drei Länder | |
mit der höchsten Zahl an Hassverbrechen in der Region aus. Nach Honduras | |
folgen laut Sin Violencia LGBTI (ohne Gewalt LGBTI), einer 2016 | |
gegründeten, länderübergreifend aktiven Nichtregierungsorganisation, Mexiko | |
und Kolumbien. | |
Mit der Pandemie sei die Gefährdung gestiegen, mahnte auch die | |
Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation amerikanischer | |
Staaten (OAS). Doch bewirkt hat der Appell kaum etwas, wie die Zahlen aus | |
Honduras zeigen. „2021 war ein Wahljahr, wo die Zahl der | |
politisch-motivierten Morde traditionell ansteigt. Zudem stecken wir mitten | |
in der Pandemie. Ausgangssperren machen vor allem den trans Frauen, die | |
sich meist prostituieren müssen, das Leben schwer“, erklärt Reyes. | |
Rein formell ist der Staat zwar gehalten, sie zu schützen, die Realität | |
sieht jedoch anders aus. „Schwul sein und schwul auftreten ist selbst an | |
den Universitäten noch ein Tabu“, sagt Donny Reyes. Er weiß, wovon er | |
spricht. | |
## Kandidatur gescheitert | |
Nach seiner Rückkehr aus den USA, wohin er mit 16 Jahren aus | |
Perspektivlosigkeit wie so viele andere floh und wo er sich als Ernte- und | |
Sexarbeiter ausbeuten ließ, hat er sich ab 2003 kontinuierlich | |
weitergebildet. Nach einem Abendabitur, Universitätsabschluss in | |
Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Menschenrechte und mit seiner Arbeit | |
für Arcoiris ist Reyes im Menschenrechtsspektrum des Landes sehr gut | |
vernetzt. | |
Grundrechte für die queere Community derart offensiv einzufordern, ist | |
riskant, denn diskriminierende Äußerungen vom noch amtierenden Präsidenten | |
[4][Juan Orlando Hernández] sind nicht selten. Anfang September 2021 zog er | |
in seiner Rede zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit über „die Verteidiger | |
der Antiwerte“ her. „Gemeint waren wir, die für sexuelle Vielfalt | |
eintreten, und das hat die Risiken im damals laufenden Wahlkampf erhöht“, | |
sagt Reyes. | |
Im Hauptstadtbezirk Francisco Morazán kandidierte er damals für Libre, die | |
Partei der designierten Präsidentin. 9.800 Stimmen bekam Reyes damals. | |
1.200 Stimmen fehlten in den parteiinternen Vorwahlen, um einen Listenplatz | |
für den Congreso, das Parlament, zu ergattern. „Für uns war das ein | |
Achtungserfolg, aber der eigentliche Kraftakt beginnt jetzt“, sagt Reyes. | |
Er meint den Umbau eines ganzen Landes nach demokratischen Prinzipien. | |
Das hätte Symbolcharakter für die ganze Region und dabei wird die queere | |
Community die kommende Präsidentin unterstützen, so Donny Reyes. „Mit | |
allem, was wir haben.“ | |
27 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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