# taz.de -- Neue Kinderbücher: Mehr als Patchwork | |
> Die Rollen werden neu verteilt in der Familie: Neue Kinderbücher von | |
> Linde Hagerup, Kathrin Schrecke, Holly Goldberg Sloan und Meg Wolitzer. | |
Bild: „Hast du dir die Haare abgeschnitten?“ aus: „Ein Bruder zu viel“ … | |
Die norwegische Autorin Linde Hagerup wurde 1968 in eine Familie von | |
Schriftstellern geboren. Bereits mit 17 Jahren begann sie an der | |
Schreibakademie in Bergen zu studieren. „Ein Bruder zu viel“ (En bror for | |
mye) ist ihr erstes Kinderbuch. Darin versetzt sie sich überzeugend in die | |
Gedankenwelt ihrer Ich-Erzählerin, der neunjährigen Sara. Mit ihrer 5 Jahre | |
älteren Schwester Emilie und den verständnisvollen Eltern genießt sie das | |
harmonische Familienleben in einer beschaulichen norwegischen Stadt. | |
Doch als Mutters Freundin Karin überraschend stirbt und ihr fünfjähriger | |
Sohn Steinar bei ihnen einzieht, wird es für das Mädchen kompliziert. Nun | |
soll sie ihr Zimmer mit dem ständig quengelnden, unselbstständigen Steinar | |
teilen und vor allem viel Rücksicht nehmen auf den traumatisierten Jungen. | |
Alle in der Familie bemühen sich um den Kleinen. Liebevoll reagieren Vater | |
und Mutter selbst auf seine unberechenbaren Launen oder ständigen | |
Extrawünsche. | |
Aber Sara kann das nicht. Sie ist wütend auf Steinar. Sie vermisst die | |
eingespielten Familienrituale und Vertrautheiten ihrer Eltern. Nun gibt es | |
sogar jeden Tag Schokocreme zum Frühstück, obwohl das immer etwas | |
Besonderes in den Sommerferien war. Mit dem Einzug des Fünfjährigen ist der | |
Alltag ein ganz anderer geworden. Mit knappen, klaren Sätzen schildert | |
Linde Hagerup die schwierige Situation aus Saras Perspektive. | |
Behutsam entwickelt die Schriftstellerin [1][zwischen den Zeilen eine | |
hintergründige und bewegende Erzählung]. Die Berliner Illustratorin | |
Felicias Horstschäfer hat dazu intensive linolschnittartige Bilder in | |
kontrastreichem Blau und Gelb gefunden. | |
Als Sara ihre Eltern zufällig im Schlafzimmer belauscht, fällt sie eine | |
wichtige Entscheidung: In Zukunft wird sie Steinar ein besserer Bruder | |
sein. Noch in der selben Nacht greift sie im Badezimmer zur Schere. Sie | |
schneidet den Zopf ab und wird zu Alfred. „Ich heiße nicht Sara“, sagt sie. | |
„Ich heiße Alfred.“ | |
Auch in Kathrin Schreckes Roman „Immer kommt mir das Leben dazwischen“ | |
werden die Rollen in der Familie des dreizehnjährigen Karl neu verteilt. | |
Der Teenager schwärmt für seine Mitschülerin Irina Palowski und träumt | |
davon unter seinem Künstlernamen „Karl Kardashian“ ein berühmter YouTuber | |
zu werden. Seine inzwischen alleinstehende Oma spielt mit dem Gedanken in | |
eine stadtbekannte Mehrgenerationen-WG zu ziehen. | |
## Großmutter und Enkel verfolgen heimliche Pläne | |
Karls Eltern, zwei hochbegabte Naturwissenschaftler, sind von den | |
Zukunftsplänen der beiden ganz und gar nicht begeistert. Doch als ihre | |
eigene Ehe in eine schwere Krise gerät, schafft das genügend Ablenkung und | |
Raum für Großmutter und Enkel, um ihre Pläne weiter heimlich zu verfolgen. | |
Aus dieser etwas konstruiert wirkenden Ausgangssituation, entwickelt die | |
Autorin, die in Essen selbst in einem Mehrgenerationenhaus lebt, schon bald | |
eine temporeiche Komödie. Die lebt vor allem vom plötzlichen | |
Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Lebenswelten von Mittelalt und | |
Jung. Schlagfertig und mit viel Witz kommentiert Karl aus seiner | |
Perspektive die vielfältigen Irritationen und turbulenten Ereignisse, die | |
mit Omas Umzug in das „Hippie-Haus“ ausgelöst werden. | |
Wie unterschiedlich Familien heute aussehen können, darüber haben Holly | |
Goldberg Sloan und Meg Wolitzer gemeinsam einen raffinierten Roman | |
geschrieben, der als umfangreiche E-Mail-Korrespondenz angelegt ist. „An | |
Nachteule … von Sternhai“ handelt von den zwölfjährigen Mädchen Bett Dev… | |
und Avery Bloom. | |
## Die Väter verlieben sich ineinander | |
Während die eine mit ihrem Vater Marlow in Kalifornien wohnt und die Tage | |
am liebsten mit Surfen am Meer verbringt, verfolgt die andere eher | |
intellektuelle Interessen, ist unsportlich und ängstlich. Mit ihrem Vater | |
Sam wohnt Avery in Manhattan. Als sich die beiden alleinerziehenden Väter | |
ineinander verlieben, planen sie ihre Töchter zum Kennenlernen in ein | |
Sommercamp zu schicken. Um das zu verhindern, nimmt Bett per Email umgehend | |
Kontakt mit dem Mädchen in New York auf. Auf keinen Fall will sie in dieses | |
Ferienlager fahren und sie will weder Averys Freundin noch ihre zukünftige | |
Schwester werden. Natürlich kommt es anders. | |
Was als etwas altkluger Briefwechsel zwischen den Zwölfjährigen beginnt, | |
verwandelt das Autorinnen-Duo schnell in eine wendungsreiche | |
Beziehungskomödie mit viel US-amerikanischem Kolorit. Immer mehr Personen | |
schalten sich per Email dem Geschehen dazu – der Direktor aus dem | |
Feriencamp, Bett´s Großmutter aus Texas, die Väter aus China und Kristina | |
Allenberg – Averys biologische Mutter aus einem Theaterworkshop. | |
Vielstimmig entwickelt sich daraus eine fesselnde Dynamik, die nicht | |
zuletzt der Regie- und Drehbucherfahrung von Holly Goldberg Sloan | |
geschuldet sein mag. So bleibt ihre Erzählung trotz einiger klischeehafter | |
Anleihen beim Hollywood-Kino bis zur letzten Seite überraschend spannend | |
und divers. | |
6 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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