# taz.de -- Kinderbuch „Alle behindert“: „Was soll ICH hier?“ | |
> Fragen stellen ist ok. Horst Klein und Monika Osberghaus führen mit Hilfe | |
> von Geheimwissen und Mitmach-Anleitung an das Thema Behinderung heran. | |
Bild: „Ein cooler Rolli mit gut Tempo“ – das Kinderbuch zeigt nicht nur E… | |
Dem Klett Kinderbuch Verlag ist wieder ein großer Wurf gelungen. Das Buch | |
„Alle behindert!“ geht bereits in die zweite Auflage und das vor der ersten | |
Rezension. Tatsächlich ist der Verlag bekannt für seine etwas anderen, | |
[1][nicht dem Mainstream folgenden Kinderbücher]. Nach großartigen | |
Bilderbüchern über häusliche Gewalt, dem Leben im Gefängnis oder dem | |
Vergleich des Kinderalltags in der BRD und DDR geht es nun also um | |
Behinderungen. | |
Auf jeder Seite wird ein Kind mit Auffälligkeiten vorgestellt, indem | |
kindlich unbedarfte Fragen gestellt werden. Da sich das Fragemuster auf | |
jeder Seite wiederholt und die Antworten kurz sind, wirkt das Ganze wie ein | |
Steckbrief. Annas Behinderung etwa ist Trisomie 21. Im Steckbrief werden | |
nicht nur Antworten auf die Fragen „Wo kommt das her?“ oder „Geht das | |
wieder weg?“ gegeben, sondern auch auf Fragen wie „Kann ich mit Anna | |
spielen?“, „Wie gehe ich auf Anna zu?“ oder „Was lasse ich lieber?“. | |
Eine Überraschung und gleichzeitig große Stärke des Buches ist es, dass | |
nicht zwischen angeborenen und sozialisierten Merkmalen unterschieden wird, | |
so dass die gängige Vorstellung von Normalität schnell obsolet wird. Julien | |
zum Beispiel ist ein Angeber. Das kommt in jeder Klasse mindestens einmal | |
vor und geht vielleicht wieder weg. Doch wie geht man auf ihn zu, was lässt | |
man lieber, kann man mit ihm spielen? Die Antworten verblüffen und | |
amüsieren. | |
Passenderweise fragt Julien: „Ja schön und gut. Aber was soll ICH hier?“ | |
Die Antwort muss warten, bis man zum Super-Trumpf des Buches auf der | |
letzten Seite gelangt. Jede einzelne Behinderung wird im Weiteren | |
zusätzlich nach ihren Nachteilen („Was ist daran einfach nur doof?“) und �… | |
das kommt unerwartet – Vorteilen befragt. | |
## „Welche Behinderung hast DU denn?“ | |
Lenny, der Muskelschwäche hat, findet es zum Beispiel gut, dass er einen | |
„coolen E-Rolli mit gut Tempo“ hat. Außerdem gibt es zu jeder Behinderung | |
ein Geheimwissen und eine Mitmach-Level, die anzeigt, in welchem Maße die | |
einzelnen Kinder mitspielen können. Am Ende des Buches findet sich eine | |
Anleitung: Mithilfe eines Zahnstochers und einer vorgezeichneten Schablone | |
soll man selbst die Braille-Schrift herstellen, um sie dann zu ertasten und | |
zu merken, wie Blinde lesen. | |
Ein Rätsel allerdings bleibt: „Wie, du willst wissen, was da steht!? Frag | |
einen Blinden!“ Auf der letzten Seite dann findet sich der Super-Trumpf: | |
Ein leerer Steckbrief mit der Überschrift „DU!“ zum Ausfüllen. Der Auftrag | |
lautet „Welche Behinderung hast DU denn? Raus mit der Sprache!“ | |
Die Autoren Horst Klein und Monika Osberghaus haben sich zu Beginn des | |
Buchprojekts mit behinderten Kindern und ihren Eltern getroffen, | |
Informationen gesammelt und festgestellt, wie individuell eine Behinderung | |
sein kann. Trotzdem haben sie ihren erfundenen Figuren Typisches | |
angedichtet, um überhaupt erst einmal Neugier zu wecken für die | |
vielfältigen Formen von Behinderungen. | |
## Menschen mit Behinderung sind oft unsichtbar | |
Das Buch zeigt, dass es total okay ist, neugierig zu sein und Sachen zu | |
fragen, die einen interessieren. Wahrscheinlich fällt das Kindern eh | |
leichter als Erwachsenen mit ihrer Diskretion. Sofern man keine Behinderten | |
im näheren privaten Umfeld hat oder mit ihnen arbeitet, sind sie ja auch | |
gar nicht da. Falls man überhaupt mal einen behinderten Menschen sieht – | |
begegnet würde sich zwar besser anhören, wäre aber eigentlich schon | |
übertrieben –, reagiert man allzu leicht mit Mitleid. | |
Man traut sich nicht, richtig hinzuschauen, vielleicht aus Sorge, Kontakt | |
aufnehmen zu müssen oder Zeit zu verlieren. Die eigene Unsicherheit führt | |
dann zu einer Vermeidungsstrategie. Im eigenen Leben kommen Behinderte also | |
nicht vor. Oder etwa doch? | |
Das Buch „Alle behindert!“ wagt es, diese Frage zu stellen und nimmt einem | |
das Gefühl der Unsicherheit, weil die Betroffenen oftmals selbst erklären, | |
was mit ihnen los ist. Gleichzeitig wird man tatsächlich neugierig. Diese | |
Neugier wiederum kann man nur in Inklusionssituationen befriedigen. Und da | |
haben Kinder eindeutig bessere Chancen als Erwachsene. Ein unverkrampftes | |
und witziges Sachbuch über behinderte Kinder. | |
29 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Andrea Paluch | |
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