| # taz.de -- Neue ISOE-Chefin über Landnutzung: „Der Einzelne ist überforder… | |
| > Seit Kurzem leitet Flurina Schneider das Institut für sozial-ökologische | |
| > Forschung. Eine bessere Landnutzung sieht sie als das dominierende Thema | |
| > der nächsten Jahre an. | |
| Bild: Vanilleanbau in Madagaskar: Die steigende Nachfrage hat Konsequenzen für… | |
| taz: Frau Schneider, wird die Frage, wie wir künftig Land nutzen, das große | |
| Thema der nächsten Jahre? | |
| Flurina Schneider: Das müsste es zumindest, weil sich hier viele | |
| Nachhaltigkeitsfragen bündeln. Die Art der Landnutzung betrifft die | |
| Nahrungsmittelproduktion, den Wirtschaftsstandort, Wohn- und | |
| Freizeitflächen, um nur einige zu nennen. Hier gilt es zahlreiche | |
| Interessenkonflikte zu lösen. | |
| Werden diese Konflikte in der postfossilen Ära zunehmen? | |
| [1][Das ist gut möglich, zum Beispiel, wenn es um Biokraftstoffe geht]. Wir | |
| haben hier nicht nur die alte „Tank-Teller-Debatte“, also die | |
| Nutzungskonkurrenz zwischen Kraftstoffen und Nahrungsmitteln. Auch | |
| Reststoffe sind nicht unbegrenzt verfügbar. Werden etwa Rückstände aus dem | |
| Maisanbau zu Biogas vergoren, fehlen sie als Kompost auf den Feldern. Dabei | |
| wird er dort zu Humus und stellt einen wichtigen CO2-Speicher dar. | |
| Haben wir diese Zielkonflikte ausreichend im Blick? | |
| Sie werden zwar zunehmend mitgedacht, aber es gibt noch immer zu viele | |
| sektorbezogene Lösungen, etwa innerhalb der Landwirtschaft oder der | |
| Industrie. Dabei sind Synergien und Kohärenz wichtig. | |
| Was kann ein Institut wie das ISOE hier leisten? | |
| Wir versuchen, verschiedene Akteure zusammenzubringen, um gemeinsam über | |
| Problemkonstellationen und Lösungsoptionen zu sprechen und hier | |
| unterschiedliche Sichtweisen auf ein Thema zu verdeutlichen. An vielen | |
| Orten gelingt das sehr gut, aber gerade, wenn große Konflikte bestehen, | |
| wird es schwierig. Bevor ich zum ISOE gekommen bin, habe ich 6 Jahre zu | |
| Myanmar gearbeitet und war regelmäßig dort. Die Konflikte, die sich derzeit | |
| im Zusammenhang mit dem Militärputsch entladen, waren schon vorher da. Da | |
| war es ganz schwierig, verschiedene Parteien an einen Tisch zu bekommen. | |
| Was nehmen Sie mit aus dieser Zeit? | |
| Dass Entscheidungen, die wir in unserem Alltag treffen, Auswirkungen an | |
| ganz fernen Orten haben. Nehmen Sie das Thema Vanilleanbau in Madagaskar. | |
| Die steigende Nachfrage nach natürlicher Vanille bei uns in Europa hat dazu | |
| geführt, dass deutlich mehr Vanille angebaut wurde, mit Konsequenzen für | |
| den Regenwald und den sozialen Zusammenhalt in den Dörfern. | |
| Sollen Konsumenten lieber Vanillin kaufen? | |
| Nein, das ist sicher nicht die richtige Konsequenz, die Bauern sind ja auf | |
| Einkommen angewiesen. Besser ist, zertifizierte Fairtrade- und Bioware zu | |
| kaufen. Allerdings, bei aller Verantwortung der Verbraucher:innen, es | |
| müssen insbesondere auch die politischen Rahmenbedingungen angepasst | |
| werden. Der Einzelne ist überfordert, wenn er sich immer wieder entscheiden | |
| muss für die richtige Option, weil er dazu häufig zu wenig Informationen | |
| besitzt. Als zum Beispiel die negativen Auswirkungen von Palmöl auf den | |
| Regenwald und die lokale Bevölkerung vielen Konsumenten klar geworden sind, | |
| haben sie palmölfreie Produkte gefordert. Doch alle anderen Öle, ob aus | |
| Sonnenblumen oder Raps, brauchen viel mehr Fläche als Ölpalmen. Das führt | |
| dann wieder zu anderen Konflikten. Es braucht also systemische Konzepte für | |
| mehr Nachhaltigkeit. | |
| Die mahnen Ökologen seit 40 Jahren an, ohne viel erreicht zu haben. Woraus | |
| nehmen Sie Ihre Motivation für die neue Stelle? | |
| Forschung kann eine ganz wichtige Rolle spielen, um komplexe Beziehungen zu | |
| verstehen und Lernprozesse auszulösen. Mit unseren Ergebnissen aus der | |
| Forschung möchte ich dazu beitragen, Menschen mit zu befähigen, sich | |
| nachhaltiger zu verhalten. | |
| Bedeutet dieser Begriff nicht alles und nichts? Ingenieure der | |
| Autoindustrie zum Beispiel tüfteln an Brennstoffzellen für | |
| Wasserstoffautos, und nennen das sicher auch „Forschung für Nachhaltigkeit“ | |
| … | |
| Forschung für Nachhaltigkeit muss explizit machen, auf welche | |
| Nachhaltigkeitswerte sie sich bezieht: es geht um die langfristige | |
| Sicherung der menschlichen Grundbedürfnisse, Generationengerechtigkeit und | |
| auch Gerechtigkeit zwischen den Menschen im reichen Norden und im globalen | |
| Süden. Wasserstoffautos haben eine sehr schlechte Energieeffizienz und | |
| können daher kaum als nachhaltig bezeichnet werden. | |
| Kann man das noch immer besser an einem Institut wie dem ISOE als an einer | |
| Uni fragen? | |
| Zur Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen braucht es die Zusammenarbeit von | |
| natur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen mit Praxisakteuren. Dies | |
| ist auch heute noch einfacher an einem außeruniversitären | |
| Forschungsinstitut wie dem ISOE. Viele Uni-Wissenschaftler:innen sind aber | |
| inzwischen sehr interessiert an Kooperationen. Darum sind wir ja auch | |
| künftig über meine Professur für Soziale Ökologie und Transdisziplinarität | |
| vernetzt. | |
| Was muss ich mir unter „sozialer Ökologie“ vorstellen“? | |
| Die soziale Ökologie beschäftigt sich mit den Beziehungen von Gesellschaft | |
| und Natur und wie diese nachhaltiger gestaltet werden können. Dazu | |
| untersuchen wir die systemischen Zusammenhänge, entwickeln neue | |
| Zukunftsbilder und erarbeiten Gestaltungsoptionen. Wichtig ist auch, dass | |
| die soziale Ökologie eine transdisziplinäre Wissenschaft ist, wo | |
| Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen aus Gesellschafts-, | |
| Natur- und Technikwissenschaften mit Praxisakteuren zusammenarbeiten. | |
| Ist es auch wichtig, sich mit wirtschaftsnaher Forschung – etwa aus der | |
| Fraunhofer-Gesellschaft – zu vernetzen? | |
| Das halte ich für sehr wichtig. Am Ende werden Transformationen zu | |
| Nachhaltigkeit nur mit Akteuren aus der Wirtschaft zusammen gelingen. Wir | |
| sind zum Beispiel aktiv an Investoren herangegangen, um herauszufinden, wie | |
| sich ihre Interessen mit einer nachhaltigen Landnutzung zusammenbringen | |
| lassen. Hier gibt es noch viel zu tun, aber da bohren wir ja auch ein | |
| dickes Brett. | |
| 13 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
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