Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neue Found-Footage-Filme: Ja, schönen Dank auch, Heini lebt
> Zwei neue Filme sind fast ausschließlich aus Archivbildern montiert:
> Vanessa Lapas „Der Anständige“ und Göran Hugo Olssons „Concerning
> Violence“.
Bild: Großzügig gespachteltes Himmlerbild: Vanessa Lappas Film „Der Anstän…
Die zwei denkbar unterschiedlichen Filme, um die es hier geht, haben eines
gemeinsam: Sie bedienen sich aus dem mehr als hundert Jahre
zurückreichenden historischen Bewegtbildarchiv. Sie nutzen das Kino also
nicht als Apparat, der gegenwärtige Wirklichkeit aufzeichnet, sei es in
dokumentarischer Absicht oder zur Herstellung von Spielfilmfiktionen.
Sie greifen nicht ein, sondern zu. Sie arrangieren „found footage“, also
gefundenes Bewegtbildmaterial. Dieses ist in Zeiten digitaler Datenbanken
und leicht zugänglicher Bildarchive sehr viel greifbarer, damit aber auch
schutzloser gegen den willkürlichen Zugriff als früher. Der
Experimentalfilm hat aus dem Umgang mit Bildarchivmaterial eine Kunst
gemacht, die sich Found-Footage-Film nennt. Wobei die Kunst oft darin
besteht, durch das Sampling neue Nachbarschaften und Assoziationen zu
beschwören und das Filmmaterial so aus seinen alten Kontexten in neue zu
befreien.
Keine Kunst und keine Befreiung ist es dagegen, wenn man wie Vanessa Lapa
verfährt. Ihrem Film „[1][Der Anständige]“ liegt ein Fund zugrunde, aber
zunächst nicht in Bewegtbildarchiven. Im Jahr 2007 hatte Lapas Vater
private Briefe, Fotos und andere Dokumente aus dem Nachlass Heinrich
Himmlers gekauft. Amerikanische Soldaten hatten diese am Ende des Krieges
aus dem Tresor in Himmlers Villa mitgehen lassen; sie waren, man weiß nicht
wie, in die Hände eines in Tel Aviv lebenden Mannes namens Chaim Rosenthal
gelangt. Der versuchte sie schon in den achtziger Jahren zu verkaufen (was
kein guter Zeitpunkt war, Kujau hatte gerade Hitlers Tagebücher
geschrieben), wurde sie aber erst 2007 dann los.
Vanessa Lapa ist die in Belgien aufgewachsene und seit 1995 in Israel
lebende Enkelin von Holocaust-Opfern. Sie hat lange fürs israelische
Fernsehen Reportagen gedreht und wurde mit einem Dokumentarfilm über den
damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert bekannt. Sie
beschloss, das von ihrem Vater erworbene Material in einem Dokumentarfilm
aufzubereiten.
## Funktion in der Vernichtungsmaschinerie
Auszüge aus den Briefen konnte man im Winter in der Welt im Sonntag schon
lesen, ein schöner Aufmerksamkeitscoup für den Film, der kurz darauf in der
Panorama-Sektion der Berlinale seine Uraufführung erlebte. Für Historiker
ist das private Material kaum relevant, über Himmlers Funktion in der
Vernichtungsmaschinerie des „Dritten Reichs“, über seine Aktionen als
„Reichsführer-SS“ und Holocaust-Architekt erfährt man darin nichts Neues.
Die Briefe, die er mit seiner Frau und erst recht der heranwachsenden
Tochter Gudrun (bis heute eine knallharte Nazisse) wechselt, sind vielmehr
von herausragender Banalität, ohne dass man über die Banalität des Bösen
irgend Interessantes lernte. Dafür darf man erfahren, dass Himmler („Dein
Heini“) und seine Frau Marga sich in ihrer Beziehung gern selbst als „böse…
imaginierten, wenn sie etwa schreibt, „dass ich so glücklich bin, einen so
guten bösen Mann zu besitzen, der seine böse Frau so sehr liebt wie sie
ihn“.
Der gute böse Mann hat später die böse Frau auch mit einer Jüngeren
betrogen, aber immerhin hatte er dabei, anders als bei der
Judenvernichtung, ein schlechtes Gewissen. Aber sollte uns das
interessieren? Und schlimmer noch: Was stellt Vanessa Lapa mit diesem Fund
an! Sie hat die Briefe, die Fotos und vor allem allerlei andere aus allen
möglichen Archiven entnommene Bilder zu einem schwer genießbaren Eintopf
verrührt.
Sie befragt kein einziges Bild, keinen einzigen Satz, sie bringt die
Bilder, die Sätze, die Töne nicht miteinander ins Gespräch, sondern sie
hat, wie es im Pressetext heißt, das Material „zum Leben erweckt“. Ja,
schönen Dank auch: Heini lebt. Zur Erweckung gehört, dass Profis den Text
sprechen dürfen, Sophie Rois und Tobias Moretti leihen Heinrich und Marga
ihre Stimmen.
## Unterscheidlos aneinandergereiht
Lapa reiht ihr sehr unterschiedliches Material sehr unterschiedslos
aneinander, neben den Fotos sind es aus Kontexten gerissene Filmschnipsel
von fröhlichem Spiel im Garten, Weihnachtsbaumbilder und Aufnahmen von
NS-Körperertüchtigung und Krieg und KZ-Leichenbergen.
Ob Propaganda, ob Spielfilm, ob Dokumentation – man erfährt nicht, woher
das alles stammt, es ist nicht datiert, es ist alles nur kurz im Bild, wird
brutal ans rezitierte Briefmaterial heranassoziiert, als bloße Illustration
im Dienst eines großzügig gespachtelten Himmlerbilds, das in der Collage
sämtliche Differenzen verwischt. Found Footage heißt hier nur:
Selbstbedienung aus dem Bewegtbildarchiv.
Zum anderen Fall: Auch Göran Hugo Olssons „[2][Concerning Violence]“
konstelliert Found Footage mit einem Text. Das Verhältnis zwischen Text und
Bild ist aber weniger klar, um reine Illustration handelt es sich
jedenfalls nicht. Der Text: Frantz Fanons so kanonischer wie bis heute
umstrittener antikolonialistischer Klassiker „Die Verdammten der Erde“.
Fanon, 1925 geboren, stammte aus Martinique, war Schüler des
Schriftstellers, Politikers und Négritude-Denkers Aimé Césaire, kämpfte für
Frankreich im Krieg, studierte in Lyon Medizin und Philosophie, bekam einen
Job als Abteilungsleiter einer psychiatrischen Klinik in Algerien, trat von
diesem zurück und wurde zu einer Führungsfigur im Kampf der Nationalen
Befreiungsfront in Algerien.
## Gewalt als Mittel im Widerstand
„Die Verdammten der Erde“ hat Fanon, an Leukämie erkrankt, in den letzten
Monaten seines kurzen Lebens verfasst. Er stellt sich darin radikal auf die
Seite der Kolonisierten. Das Buch entwickelt aus der Praxis der
Kolonisation und des Kampfes dagegen eine Revolutionstheorie und bejaht,
dies der Skandal, ausdrücklich die Gewalt als Mittel im Widerstand. Auch
Olsson stellt die Gewaltfrage, wie der Titel schon sagt, ins Zentrum des
Films. Er überlässt Fanon dabei ganz das Wort, der Text, den man hört,
stammt komplett aus dem Buch.
Wie Vanessa Lapa lässt er ihn von einer prominenten Figur sprechen, nur ist
die Wahl viel interessanter: Wir hören die Stimme der schwarzen Musikerin
und Schauspielerin Lauryn Hill, die gerade mit einem Comebackversuch
Schlagzeilen macht. Fanons Text wird nicht nur gesprochen, in breiten
weißen Lettern druckt und drückt Olsson das Gesprochene parallel auch ins
Bild.
Und dieses Bild besteht – mit Ausnahme des Vorworts – aus
Found-Footage-Material, das schwedischen Fernsehreportagen entstammt.
Ähnlich war Olsson bereits in „Black Power Mix Tape“ verfahren, dem Film
über die radikale schwarze Antirassismusbewegung in den Vereinigten
Staaten, der ihn bekannt gemacht hat. Die Aufnahmen, die man in „Concerning
Violence“ sieht, sind zwischen 1966 und 1987 entstanden, zeigen
Befreiungskämpferinnen in Mosambik, tumbe Missionare in Tansania, einen
damals noch vernünftig klingenden Robert Mugabe, verstümmelte Opfer, einen
Streik schwarzer Kohleminenarbeiter und manches andere mehr.
Unterteilt ist der Film in neun Kapitel, im erwähnten Vorwort sitzt die
Vordenkerin der postcolonial studies, Gayatri Spivak, in ihrem Büro und
betont die Bedeutung Fanons. Die mangelnde Genderperspektive beklagt sie.
Das ist die einzige Erläuterung, die man bekommt.
## Fanons Affirmation
Auf den Rest macht man sich am besten selbst einen Reim. Ganz leicht ist
das nicht. Das Material ist so ausgewählt und montiert, dass der Film Weiße
vorführt und Schwarze zu Wort kommen lässt. Fanons Affirmation der Gewalt
wird, wie es scheint, affirmiert. Noch dazu ist, sieht man von den
eingeblendeten Jahreszahlen ab, an keiner Stelle die historische Distanz
zum gezeigten Material markiert. Es erscheint wie Agitprop, die die Kämpfe
einer anderen Zeit in die Gegenwart zieht.
Der Umgang mit dem Material ist durchaus autoritär, es soll zeigen, was
Lauryn Hills Fanon sagt. Allerdings spricht es, sprechen die Männer und
Frauen darin, immer wieder für sich. Und zweitens weckt auch die
agitatorische Zusammenfügung von Bildern und Ton, Schrift und Fanons bis
heute provozierendem Manifest Widerstände von vorne bis hinten. Der
Unterschied zu „Der Anständige“ ist dieser: Hier wird der Widerstand
aufgrund der ästhetischen Faktur des Films selbst lebendig. Bei Vanessa
Lapa wird nur Heinrich Himmler auf grundfalsche Weise zum Leben erweckt.
18 Sep 2014
## LINKS
[1] http://www.kino.de/kinofilm/der-anstaendige/153534
[2] http://www.youtube.com/watch?v=ohoiW9HrXkc
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Heinrich Himmler
Frantz Fanon
Soziale Medien
Kinofilm
Kurzfilm
Dokumentarfilm
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tod in Sozialen Medien: Kein Recht auf Ewigkeit
Twitter will lange inaktive Accounts löschen. Doch nach Protesten zum
Umgang mit Accounts Verstorbener wird die Aktion verschoben.
Neuer Film von Ulrich Seidl: Bis zur Kenntlichkeit entstellt
In Österreich sorgte „Im Keller“ für einen politischen Eklat. Seidl
ergründet darin geschlossene Gesellschaften, in denen Normalos ihr Unwesen
treiben.
Neue DVD-Veröffentlichung: Die Kassettenrecorderterroristen
„Decoder“ von Muscha ist ein wunderbar schizoider Film aus dem Jahr 1984.
Wiederzusehen gibt es ihn auf DVD und in einigen Kinos.
Videokunst: Entfesselte Bilder
Hitchcock oder Buñuel: Das Künstlerduo Christoph Girardet & Matthias
Müller, beide Absolventen der Braunschweiger Kunsthochschule, entbinden
Filmbilder ihres funktionalen Charakters.
Birgit Hein beim Filmfest Braunschweig: Die Bilder-Finderin
Birgit Hein ist eine der Wegbereiterinnen des Experimentalfilms in
Deutschland. Auf dem Filmfest Braunschweig wird sie mit einer Werkschau
geehrt.
Kurzfilmtage Oberhausen: Verpixelte Totale
Flache Bilder, von „Flatness“ keine Spur: Die Kurzfilmtage Oberhausen
beschäftigen sich in diesem Jahr mit den Neuen Medien.
Dokumentarfilm „Vergiß mein nicht“: Einmal blickt sie in die Kamera
David Sieveking porträtiert in „Vergiss mein nicht“ seine an Alzheimer
erkrankte Mutter. Die Kamera aber bleibt unsichtbar, obwohl sie sich
keineswegs zurückhält.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.