# taz.de -- Neue Biografie über Theodor Herzl: Der Charismatische | |
> Was war der Antrieb von Theodor Herzl, dem Begründer des politischen | |
> Zionismus? Das will eine neue Biografie von Derek Penslar erkunden. | |
Bild: Theodor Herzl in Palästina, Anfang November 1898, Photographie von David… | |
„Das ist nicht länger der elegante Doktor Herzl aus Wien, es ist ein | |
königlicher Spross Davids, dem Grabe entstiegen, der vor uns in der ganzen | |
Größe und Schönheit erscheint, mit der die Legende ihn umgeben hat. Jeder | |
ist ergriffen, als hätte sich ein historisches Wunder ereignet. […] es war, | |
als stünde der Messias, der Sohn Davids, vor uns.“ | |
Mit diesen schwärmerischen Worten schilderte ein russischer Journalist den | |
[1][Auftritt von Theodor Herzl] beim Ersten Zionistenkongress 1897. Im | |
Baseler Stadtcasino war der Begründer des politischen Zionismus zwar | |
bemüht, einen pragmatischen, wenig emotionalen Ton anzuschlagen. | |
Konterkariert wurde dies jedoch von der Ergriffenheit vieler Teilnehmer. | |
Auch der Journalist, Mordechai Ben-Ami, konnte sich nicht zurückhalten und | |
rief auf Hebräisch „Lang lebe der König“. Andere stimmten der Überliefer… | |
zufolge spontan ein. | |
Lobeshymnen auf Herzl (1860–1904) und den Zionismus waren um die | |
Jahrhundertwende auch in der jüdischen Welt nicht selbstverständlich. Im | |
Gegenteil, vielerorts stießen er und seine Ideen für die Schaffung eines | |
eigenen Staates für die Juden auf Irritation und Ablehnung. Hierüber wurde | |
bereits viel geschrieben. | |
Bereits Herzls ursprünglicher Plan, den Kongress in München abzuhalten, | |
scheiterte am Widerstand der dortigen Gemeindefunktionäre, und selbst | |
innerzionistisch war er nicht unumstritten. Herzls Gegenspieler Achad Ha’am | |
etwa kritisierte an dessen Visionen einen Mangel an Jüdischem. | |
Religiös-orthodoxe Zionisten beklagten eine Geringschätzung der jüdischen | |
Religion und Tradition. | |
## Fokus auf Herzls Innenleben | |
Mit „Theodor Herzl: A Charismatic Leader“ hat Derek Penslar 2020 den | |
[2][vielen Herzl-Biografien] eine weitere hinzugefügt, die nun auch auf | |
Deutsch erschienen ist. Penslars Fokus liegt auf Herzls Innenleben, seiner | |
Beziehung zur zionistischen Bewegung sowie auf seiner Tätigkeit als | |
renommierter Journalist und als späterer „Staatsmann ohne Staat“, wie es im | |
deutschen Untertitel passend heißt. Insgesamt versucht der | |
Harvard-Historiker herauszuarbeiten, was Herzl antrieb und was seine | |
Ausstrahlungskraft gegenüber anderen ausmachte. Ein weiteres Thema sind | |
Herzls Präsenz in der internationalen Diplomatie und seine geopolitischen | |
Strategien. | |
Penslars Biografie ist eine gut geschriebene Einführung. Ihre Stärke liegt | |
in der für einen knappen Umfang von 230 Seiten beachtlichen Mischung aus | |
Detailfülle und Knappheit. Gerade für Einsteiger dürfte sich die Lektüre | |
daher lohnen. Für die Herzl-Forschung hingegen bietet das Buch leider nur | |
wenig Neues. | |
Herzls zentrale Schriften – allen voran „Der Judenstaat“ (1896) und der | |
utopische Roman „Altneuland“ (1902) – behandelt Penslar in Bezug auf ihre | |
Entstehungs- und unmittelbare Rezeptionsgeschichte sowie auf ihre zentralen | |
Themen und einige ihrer Motive. Gerade bei Herzls ambivalenter Haltung zu | |
den Arabern Palästinas und der Region oder auch bei seinen Vorstellungen | |
von Geschichte und Fortschritt fällt es auf, dass Penslar in seiner | |
Biografie viele interessante Fragen immer wieder eher streift als | |
systematisch analysiert. | |
## Korrespondent in Paris | |
Faszinierend lesen sich etwa die Schilderungen der politischen und | |
gesellschaftlichen Atmosphäre im Frankreich zu Herzls Zeit als Pariser | |
Korrespondent der Neuen Freien Presse aus Wien. Ähnliches gilt für Penslars | |
Analyse der Bedeutung der [3][antisemitischen Dreyfusaffäre] für Herzls | |
Zionismus, die er selbst im Nachhinein übertrieben und zum | |
Erweckungserlebnis stilisiert hatte; oder für die Abschnitte zu Herzls | |
Verhältnis zu seinem Mitstreiter Max Nordau, zu den polemisch ausgetragenen | |
Kontroversen mit Achad Ha’am oder zum zeitweiligen Plan für einen jüdischen | |
Staat im heutigen Kenia. | |
Penslar macht zudem deutlich: Die Idee einer eigenen jüdischen | |
Staatlichkeit gab es bereits vor Herzl. So hatte etwa Leo Pinsker, | |
Journalist und Arzt aus Odessa, 1882 vor dem Hintergrund der | |
antisemitischen Pogrome im russischen Reich seine Schrift | |
„Auto-Emancipation“ veröffentlicht. Herzl selbst bemerkte später in seinem | |
Tagebuch, in Kenntnis von Pinskers Schrift hätte er „Der Judenstaat“ wohl | |
nicht geschrieben. Von Yehuda Alkalais orthodoxem Protozionismus hingegen | |
könne Herzl über seinen Großvater erfahren haben, mutmaßt Penslar. Moses | |
Hess, der „Rom und Jerusalem“ bereits 1862 veröffentlicht hatte, wird | |
allerdings nicht erwähnt. | |
Der Frage, woher Herzls Antriebs- und Ausstrahlungskraft kam, widmet sich | |
Derek Penslar immer wieder. Mehrere Nachrufe, die vielen Schilderungen von | |
Begegnungen mit Herzl sowie die Beschreibungen seines eindrucksvollen | |
Erscheinungsbildes verraten zwar einiges über seine Außenwirkung. Doch von | |
Penslar wird dies alles leider eher anekdotisch behandelt, nicht immer | |
quellenkritisch und zeithistorisch kontextualisiert und kaum theoretisch | |
eingeordnet. | |
Darüber hinaus finden sich in seiner Biografie immer wieder Passagen, die | |
Herzls Antrieb auf ein verzweifeltes Bedürfnis nach Sinnstiftung inmitten | |
von psychischen Problemen sowie einem unerfüllten Sexual- und Eheleben | |
zurückführen. Dies dürfte auch Penslars Ziel geschuldet zu sein, Herzl | |
nicht zum makellosen Heiligen zu erheben, sondern ihn auf Grundlage seiner | |
autobiografischen Zeugnisse zu verstehen. Die vielen Psychologisierungen im | |
gesamten Buch hinterlassen dennoch einen schalen Beigeschmack. | |
31 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Till Schmidt | |
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