# taz.de -- Israels Regierung vor dem Aus: Lackmustest nicht bestanden | |
> Nach einer Abstimmungsniederlage steht Israels Regierung unter Premier | |
> Bennett unter Druck. Oppositionsführer Netanjahu läuft sich bereits warm. | |
Bild: Abgeordnete in der Knesset nach der Abstimmungsniederlage der Regierung | |
TEL AVIV taz | Es ist ein Schlag, von dem sich Israels Regierung unter | |
Premier Naftali Bennett wohl nicht erholen wird. Das sogenannte | |
Westjordanland-Gesetz hat am Montagabend die Mehrheit in der Knesset | |
verpasst. Damit ist das Regierungsbündnis mit dem Spagat gescheitert, der | |
bislang [1][die unwahrscheinliche Koalition von weit rechts nach links] und | |
dazu noch die islamische Partei Ra’am zusammengehalten hat. | |
Das Westjordanland-Gesetz soll Notverordnungen verlängern, die seit 1967 | |
bestehen. Sie wurden nach dem Sechstagekrieg mit der Besatzung des | |
Westjordanlands eingeführt und sollen regeln, dass für Israelis in den laut | |
internationaler Gemeinschaft illegalen Siedlungen im Westjordanland | |
israelisches Recht gilt – während Palästinenser:innen unter | |
Militärrecht stehen. | |
Bis zum letzten Montag war die Verlängerung der Verordnungen stets eine | |
Formalie. Alle Regierungen haben sie ohne Probleme durchgebracht. | |
Doch in einem Versuch, die jetzige Regierung als unfähig vorzuführen, hatte | |
die zu großen Teilen rechte und siedlernahe Opposition gegen das Gesetz | |
gestimmt. | |
## „Lackmustest für die Regierung“ | |
Auch zwei Abgeordnete der Regierungsparteien machten mit: „Es ist meine | |
Pflicht, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, in dem ich die | |
Besatzung delegitimiere und das grundlegende Recht der | |
Palästinenser*innen unterstütze, einen eigenen Staat neben dem | |
israelischen aufzubauen“, sagte Meretz-Regierungsmitglied Ghaida Rinawie | |
Zoabi kurz nach dem Votum. | |
Justizminister Gideon Sa’ar von der rechten Partei Neue Hoffnung hatte die | |
Abstimmung im Vorfeld zu einem Lackmustest für die Regierungskoalition | |
gemacht. | |
Noch gelten die Regelungen weiter bis zum 1. Juli. Sollte bis dahin keine | |
Lösung gefunden werden, wären die Folgen in der Geschichte Israels | |
einzigartig. Die Siedler*innen im Westjordanland würden wie die | |
Palästinenser*innen unter Militärrecht stehen und im Fall einer | |
Anklage vor ein Militärgericht gestellt werden. Sie würden das Recht auf | |
eine staatliche Versicherung und andere Privilegien verlieren, die ihnen | |
nach israelischem Recht zustehen. Auch auf die Einreise nach Israel hätte | |
die Nichtverabschiedung des Gesetzes Auswirkungen. | |
Derzeit leben rund 600.000 Siedler*innen im Westjordanland und in | |
Ostjerusalem. Einige hatten die Opposition im Vorfeld aufgefordert, für das | |
Gesetz zu stimmen und so die Gefahr abzuwenden, dass die Regelungen ihre | |
Gültigkeit verlieren. Andere, denen die derzeitige Regierung ein Dorn im | |
Auge ist, unterstützten die Opposition in ihrer Verweigerungshaltung. | |
## Gescheitertes Gesetz diskriminiert Palästinenser | |
Zumindest für einen Moment rückt mit der gescheiterten Verabschiedung des | |
Gesetzes die ungleiche Behandlung von Palästinenser:innen und | |
israelischen Siedler:innen im Westjordanland in den Blick. | |
Von einem Sieg für Besatzungskritiker*innen kann jedoch nicht die | |
Rede sein. Dass es dazu kommt, dass die Regelungen ohne Weiteres auslaufen, | |
ist extrem unwahrscheinlich. Die Behörden prüfen bereits Alternativen zu | |
den Notstandsregelungen, etwa in Form von vorübergehenden militärischen | |
Anordnungen. | |
Derweil versucht die Regierung, die Abweichler*innen für eine | |
potentielle Abstimmung in der nächsten Woche wieder ins Boot zu holen. Die | |
Chancen gelten aber als gering. | |
Die Opposition hingegen arbeitet auf Hochtouren an einer alternativen | |
Koalition, um die jetzige abzulösen. Das würde wohl die Rückkehr von | |
[2][Benjamin Netanjahu] bedeuten, doch ist eine Mehrheit dafür nicht | |
unmittelbar absehbar. | |
Als wahrscheinlichste Variante gilt: Auflösung der Knesset in den nächsten | |
Wochen und Neuwahlen. Diese unwahrscheinliche Regierung hätte dann ein Jahr | |
existiert. | |
7 Jun 2022 | |
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[1] /Neue-Regierung-in-Israel/!5776251 | |
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## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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