# taz.de -- Neonazis in Bautzen: Nach der Menschenjagd | |
> Rechtsextreme haben in seiner Stadt Flüchtlinge gejagt. Wie macht | |
> Bautzens linker Bürgermeister Alexander Ahrens weiter? | |
Bild: Linker Vogel regiert rechtes Netz? Bautzens Bürgermeister Alexander Ahre… | |
BAUTZEN taz | Der Mann, der das Bautzener Rathaus betritt, trägt ein Gewehr | |
unter dem Arm. Er eilt mit hallenden Schritten die Steintreppe hinauf und | |
geht, ohne zu fackeln, in das Vorzimmer des Oberbürgermeisters. In diesen | |
Zeiten der Moment für den Alarmknopf – doch die Sekretärin bleibt ruhig. | |
Denn der Mann, der das Gewehr jetzt aus dem Futteral zieht, ist der | |
Oberbürgermeister. Die Sekretärin rollt mit den Augen. Anderthalb Jahre ist | |
Alexander Ahrens, 50 Jahre alt, nun der Rathauschef von Bautzen, | |
gewöhnungsbedürftig sind seine Auftritte immer noch. | |
Das Futteral muss abschließbar sein und der Waffenschrank hier natürlich | |
auch, beginnt Ahrens, ganz der Jurist, zu referieren. Das deutsche | |
Waffenrecht sei streng, „und das ist richtig so“. Am Abend will Ahrens auf | |
die Pirsch, jagen, Wildschweine vielleicht oder Rehe. | |
Der Büchsenmacher, bei dem das Gewehr zur Reparatur war, hatte den | |
Bürgermeister mit „Weidmanns Heil!“ verabschiedet. In Bautzen denkt man bei | |
so einem Gruß an ganz andere Jagdszenen. Das, was hier in der Stadt | |
passiert war, hat Ahrens selbst „Menschenjagd“ genannt, wenn er darauf zu | |
sprechen kam, was deutschlandweit in die Schlagzeilen brachte. | |
Gemeint ist ein Abend im Herbst, der 14. September. Etwa 80 Einheimische, | |
zumeist rechtsgerichtete junge Männer, trieben Asylsuchende durch Bautzen. | |
Vom Kornmarkt über die Friedensbrücke, die sich hoch über der Spree spannt, | |
bis in die Flüchtlingsunterkunft. „Chaotisch“ sei es zugegangen, berichtete | |
die Polizei. Die Gewalt, so stellten es die Beamten dar, sei von den | |
Asylsuchenden ausgegangen, minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Mit | |
Flaschen hätten sie geworfen. Ein plausibler Anlass für einen | |
Polizeieinsatz, aber nicht für das, was Ahrens Menschenjagd nennt. | |
## Ein linker Vogel regiert | |
Draußen vor dem Rathaus verbreitet der „Wenzelsmarkt“ adventlichen | |
Budenzauber, Heimeligkeit. Die Stände ziehen sich durch die Altstadt bis | |
hin zum Kornmarkt, wo die Krawalle begannen. Unter dem Rathausturm wird | |
Ahrens bald einen Fernsehauftritt haben. Ahrens wird die | |
Weihnachtsansprache halten und sich, wie schon im Vorjahr, kurz fassen. | |
Nach den Vorfällen im September musste er weiter ausholen, beispielsweise | |
als er in der Talkshow von Anne Will zu Gast war und versuchte, Bautzen zu | |
erklären. Diesen Ort, den die Öffentlichkeit nur noch als rechtes Nest | |
zwischen Hoyerswerda und Heidenau wahrnahm. | |
„Wenn Bautzen ein rechtes Nest ist, dann wäre so ein linker Vogel wie ich, | |
der auf humanitäre Werte setzt und sich ganz klar für die | |
Flüchtlingspolitik engagiert hat, niemals gewählt worden“, konterte Ahrens | |
in der Talkshow. Er schilderte Verhältnisse, kündigte Lösungen an, die | |
Anstellung eines Streetworkers beispielsweise und rechtfertigte Sanktionen | |
gegen Flüchtlinge, etwa ein Alkoholverbot. Auch sein Gesprächsangebot an | |
NPD-Kader und die Betreiber rechtsgerichteter Webseiten verteidigte er. | |
Offensichtlich mit Wirkung. | |
„Bei dreihundert Zuschriften haben wir aufgehört zu zählen“, erzählt Ahr… | |
Monate später im Rathaus. Ihr Tenor: meist positiv. „Mir schrieben Leute | |
aus dem Westen, dass sie zum ersten Mal ein anderes Bild von Sachsen | |
hatten.“ Möglicherweise hat Ahrens mit seinem Fernsehauftritt mehr erreicht | |
als die sächsische Landesregierung, die im vergangenen Jahr mehrfach | |
Imagebroschüren in überregionalen Zeitungen beilegen ließ, um das | |
unangenehme Sachsen vergessen zu machen. Pegida, Clausnitz, Bautzen. | |
Sicher, räumt Ahrens ein, es gibt rechtes Potenzial. Bei der Landtagswahl | |
2014 haben in Bautzen mehr als 25 Prozent AfD oder NPD gewählt. Und die | |
Zahlen des aktuellen „Sachsen-Monitors“ kann er im Schlaf aufsagen: 58 | |
Prozent der Sachsen sind der Meinung, dass Deutschland in einem | |
gefährlichen Maße „überfremdet“ sei. Ist Bautzen also doch ein Sammelbec… | |
von Fremdenfeinden, Rassisten und Rechten? | |
## Stadt des Aufschwungs – eigentlich | |
Ahrens steht auf. Der Mann ist wie aus dem Ei gepellt: rote Krawatte, | |
dunkler Dreiteiler, braune halbhohe Schuhe. Man könnte ihn sofort wieder in | |
ein TV-Studio rufen. Stattdessen geht er zu einer großformatigen | |
Luftaufnahme, die an der Wand hängt. Bautzen – gut 1.000 Jahre alt, 40.000 | |
Einwohner, Hauptstadt der Oberlausitz. Der historische Kern – Bürgerhäuser, | |
Türme, das Domstift, Adelspaläste – erhebt sich auf einem Felsen über der | |
Spree. An der Peripherie liegen Gewerbegebiete. | |
Ahrens, der mehrere Jahre als Firmenanwalt in China tätig war, spricht gern | |
über Wirtschaft. „Wir haben 600 Arbeitsplätze pro 1.000 Einwohner. Ein | |
Spitzenwert in Deutschland.“ Über Unternehmen. „Wussten Sie, dass alle | |
Edding-Stifte aus Bautzen kommen?“ Über Demografie. „Im letzten Quartal gab | |
es erstmals mehr Geburten als Todesfälle.“ Und über Finanzen. „Wir sind | |
schuldenfrei.“ | |
Doch es gibt diese andere Bilanz. Ahrens könnte mit dem Finger über seine | |
Stadt fahren, den Weg nachzeichnen, den die Gejagten im September genommen | |
hatten. Er könnte den „Husarenhof“ zeigen, das Hotel, in dem 300 | |
Flüchtlinge einziehen sollten, dann aber im Februar angezündet wurde. | |
Anwohner und Betrunkene hätten das „mit unverhohlener Freude“ kommentiert, | |
vermerkte die Polizei. Und im September dann die „Menschenjagd“. Bautzen | |
steht 2016 nicht für Aufschwung, sondern für Fremdenhass. | |
„Wir haben einen weitverbreiteten Alltagsrassismus, auch bei Leuten, die | |
eigentlich keine Rassisten sind“, sagt Ahrens. Wenn sich einer keine Mühe | |
macht, Asiaten zu unterscheiden, sondern von ‚Fidschis‘ spricht | |
beispielsweise. „Das erinnert mich an die siebziger Jahre in Westberlin, wo | |
von ‚Kanaken‘ geredet wurde, wenn man Türken meinte.“ Erst die | |
Achtundsechziger haben das im Westen geändert. Bis in den Osten hat ihr | |
Einfluss nicht gereicht. Auch nicht nach 1990. | |
Dabei hätten Sachsen eigentlich gar keinen Anlass, gehabt, sich vor Fremden | |
zu fürchten. „Es gab faktisch keine Ausländer“, sagt Ahrens. Ihr Anteil | |
liegt im Freistaat bei etwa 4 Prozent. | |
Zu Hemdsärmelig, zu wenig Stadtverwalter | |
Auf manchen Einheimischen mag Ahrens selbst wie ein Fremdling gewirkt | |
haben, als er in die Oberlausitz kam. Das war 2008. Es klingt wie Stoff aus | |
einer Filmromanze, wenn der Bürgermeister erzählt, wie er an einer | |
Tankstelle seine zukünftige Frau kennenlernte. Weitgereister Westberliner | |
trifft sächsische Polizistin. Sie verlieben sich, er bleibt. Erst Jahre | |
später entwickelt sich diese Herzensentscheidung zu einem Politstück aus | |
der ostdeutschen Provinz. | |
Im Sommer 2015 trat Ahrens als parteiloser Bürgermeisterkandidat von SPD, | |
Linkspartei und einem kommunalen Bürgerbündnis an. In der Stichwahl siegte | |
der Newcomer gegen den CDU-Kandidaten – mit fast 15 Prozentpunkten | |
Vorsprung. Ahrens’ Triumph war nicht nur der Beweis, dass ein Linksbündnis | |
die CDU-Herrschaft brechen kann, sondern auch Ausweis gegen das „rechte | |
Bautzen“. | |
Wenig später brannte der „Husarenhof“. Brandstiftung. Die Polizei ermittle | |
immer noch, erzählt Ahrens. Vielleicht war Fremdenfeindlichkeit das Motiv. | |
Vielleicht. Ahrens bemüht sich, unvoreingenommen zu kommunizieren. Ahrens | |
führt durch das Rathaus. Man hat den Eindruck, dass der hochaufgeschossene | |
Mann bei jeder Tür den Kopf einziehen muss, als sei das Rathaus für ihn zu | |
klein. Hört man sich im Stadtrat von Bautzen zu Ahrens um, gibt es | |
freundliche Zurückhaltung. | |
Claus Gruhl, einziger Grüner im Rathaus, findet dann doch ein paar Sätze. | |
„Hemdsärmelig, das ist er“, sagt Gruhl über Ahrens am Telefon. „Er sieht | |
sich selbst hauptsächlich als Politiker, weniger als Chef einer | |
Stadtverwaltung, der er ja auch ist“, kritisiert Gruhl, Kommunalpolitiker | |
seit 1990 und Verwaltungsleiter in der Kirchengemeinde. Es klingt wie ein | |
Seufzer. | |
Schwungvoll öffnet Ahrens die Tür zum Ratszimmer. Das Gewölbe gibt einen | |
eigentümlichen Stilmix frei: Eichenlaubtäfelung aus der Zwischenkriegszeit, | |
eine Barockuhr und eine Kohorte von DDR-Polsterstühlen. Auf vieren von | |
ihnen saßen im Oktober stadtbekannte Rechte, darunter zweifelsfrei | |
Rechtsextreme, dazu ein Beamter vom Staatsschutz. Auf den hatte Ahrens | |
bestanden. „Mit Menschenfeinden spricht man nicht“, konterten linke | |
Bautzener Gruppierungen. Von Verharmlosung war die Rede. | |
Reise in verwirrte Köpfe | |
Seine Aufgabe als Oberbürgermeister sei es, mit allen ins Gespräch zu | |
kommen, unabhängig von Nationalität und politischer Einstellung. So sieht | |
es Ahrens. Sein Fazit ist ernüchternd: „Die Leute sind grundsätzlich | |
demokratiefeindlich.“ Er beschreibt sie als „sehr agile, echt heftige | |
Leute.“ Soll man mit Rassisten reden? Sie ignorieren? „Ich habe mich nicht | |
wohlgefühlt und auch nicht darauf gefreut, sie im Rathaus zu haben.“ | |
Hat er Neues erfahren? Ahrens nickt. „Das war sehr aufschlussreich.“ So | |
habe einer bestritten, rassistisch zu sein, um im nächsten Satz über die | |
„höheren Werte des deutschen Volkes“ zu räsonieren, sagt Ahrens süffisan… | |
Außerdem habe er eine „philosophisch unterlegte, sehr umfassende | |
Kapitalismuskritik“ gehört. Nicht die Flüchtlingskrise ist schuld, sondern | |
das ‚Schweinesystem‘, zitiert Ahrens. Eine Kritik, die er schon in ganz | |
anderen Kreisen gehört hat. | |
Es scheint, als habe Ahrens eine Reise in verwirrte Köpfe unternommen. In | |
Rumpelkammern voller Dinge, die nicht zueinander passen. Nicht viel anders | |
als der Ratssaal. Ahrens fährt mit den Fingern über die Täfelung. „Da, | |
zwischen dem Eichenlaub, waren die zwei Hakenkreuze eingelassen.“ Nach dem | |
Krieg wurden sie herausgemeißelt, als würde Geschichte dadurch ungeschehen. | |
„Und dort stand die Hitlerbüste.“ Die Umrisse der Stele sind bis heute zu | |
erkennen. | |
Der Bürgermeister hat Pläne für 2017. Einen Flüchtlingsrat will er im | |
Februar gründen. Die rechten Ideologen will er mit anderen politischen | |
Lagern ins Gespräch bringen, „streng geregelt und moderiert“. Und bald wird | |
der Ratssaal gründlich restauriert. | |
1 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
## TAGS | |
Bautzen | |
Rechtstextreme | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Sachsen | |
Schwerpunkt Flucht | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Schwerpunkt Flucht | |
NPD-Verbot | |
Bautzen | |
antimuslimischer Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neonazi-Kontakte der CDU in Sachsen: CDUler gab Insider-Infos an die NPD | |
Der Bautzener Vize-Landrat, ein CDUler, hat vertrauliche Informationen über | |
einen Flüchtling an einen NPDler gegeben. Die anderen Parteien sind empört. | |
Kommentar Rechtsextremismus im Osten: Aufgeben gilt nicht | |
In puncto Rassismus und Rechtsextremismus ist ein Teil des Ostens bereits | |
verloren, sagt eine neue Studie. Genau dort muss Politik nun ansetzen. | |
Ehemaliges Vier-Sterne-Haus in Bautzen: Ein Hotel für Flüchtlinge | |
Weil er vor dem Bankrott steht, eröffnet Peter Rausch in seinem Hotel ein | |
Flüchtlingsheim. Erst machen ihm seine neuen Gäste Probleme, dann die | |
Bautzener. | |
NPD-Verbot wurde abgelehnt: „Es fehlt an Gewicht“ | |
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die NPD wird nicht verboten. | |
Die Rechtsextremen tönen bereits: Nun werde man „durchstarten“. | |
Rechte Gewalt in Bautzen: „Ein bisschen wie Heilige“ | |
In Bautzen hat sich nach den Krawallen gegen Flüchtlinge ein Runder Tisch | |
gegründet. Erstes Ergebnis: Der Kontrollbereich bleibt eine weitere Woche | |
bestehen. | |
Demonstrationen in Bautzen: Wallfahrtsort für rechts und links | |
Nach den Übergriffen auf dem Kornmarkt ziehen Neonazis und Antifas durch | |
die sächsische Stadt. Einige Bautzener äußern sich verhalten. | |
Gewalt gegen Flüchtlinge in Sachsen: „Das wirkte organisiert“ | |
Neonazis jagten Flüchtlinge durch Bautzen. Laut Polizei griffen die | |
Geflüchteten zuerst an – doch der rechte Auflauf schien verabredet. |