Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachruf auf Hans-Jochen Vogel: Unerschütterlicher Parteisoldat
> Am Sonntag ist der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel im Alter von
> 94 Jahren gestorben. Er galt als moralisches Gewissen seiner Partei.
Bild: Geprägt von Pflichtbewusstsein: der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen…
Dass es ruhig um ihn geworden wäre, lässt sich über Hans-Jochen Vogel
wirklich nicht sagen. Auch wenn seine politische Karriere schon lange
beendet war, und trotz stark angegriffener Gesundheit. In seinen letzten
Jahren beschäftigte er sich mit Inbrunst mit einem Thema, das ihn schon in
seiner Zeit als Münchner Oberbürgermeister und Bundeswohnungsbauminister
bewegt hatte: die ausufernde Bodenspekulation, die einen gewichtigen Anteil
an der Mietpreisexplosion in vielen Großstädten hat.
Noch im vergangenen Herbst veröffentlichte Vogel ein flammendes Manifest
für eine neue Bodenordnung. [1][„Mehr Gerechtigkeit!“] lautete der
programmatische Titel seiner Streitschrift. „Die Tatsache, dass der Grund
und Boden bis heute den Marktregeln und eben nicht den Vorgaben des
Allgemeinwohls entspricht, hat zu schweren Fehlentwicklungen geführt“,
konstatiert darin der sozialdemokratische Altvordere.
Damit schloss sich ein Kreis. Denn obwohl stets auf dem rechten Flügel
seiner Partei zu Hause, verdankte es sich der Initiative Vogels, dass die
SPD vor der Bundestagswahl 1972 die Bodenspekulation zu einem ihrer
Wahlkampfthemen gemacht hatte. Die ambitionierten Pläne scheiterten
letztlich am Koalitionspartner FDP und am Widerstand der Union im
Bundesrat. Danach verlor die SPD zum Leidwesen Vogels für Jahrzehnte das
Interesse an dem Thema.
Der Name Vogels ist eng mit dem Aufstieg, aber auch mit dem Niedergang der
SPD verbunden. Seine politische Karriere begann geradezu kometenhaft.
Zehn Jahre zuvor in die SPD eingetreten, wurde der Sohn eines Professors
und einer Hausfrau 1960 mit nur 34 Jahren zum Oberbürgermeister Münchens
gewählt. 1966 wurde der Einserjurist mit 78 Prozent der Stimmen
eindrucksvoll wiedergewählt. Vogel war beliebt in der Bevölkerung.
Insgesamt blieb er 12 Jahre im Amt.
Höhepunkt und gleichzeitig Tiefpunkt seiner Münchener Zeit waren die
Olympischen Spiele in der bayrischen Landeshauptstadt, für die sich Vogel
vehement wie erfolgreich eingesetzt hatte. Überschattet wurde das
Sportevent aber von der Terroraktion des palästinensischen Kommandos
Schwarzer September auf die israelische Olympiamannschaft, die in der Nacht
vom 5. auf den 6. September 1972 mit der Ermordung der elf israelischen
Geiseln sowie dem Tod von fünf Geiselnehmern und eines Polizisten endete.
Vogel begleite die Särge nach Israel.
Die Olympischen Spiele hatte er schon nicht mehr als Stadtoberhaupt,
sondern nur noch als Vizepräsident des Organisationskomitees miterlebt.
Entnervt von zahlreichen Scharmützeln mit Parteilinken und aufmüpfigen
Jusos war er ein halbes Jahr zuvor auf die Bundesebene entflohen: Willy
Brandt machte ihn zum Minister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Unter Helmut Schmidt wurde er dann 1974 Bundesjustizminister.
Nach dem Scheitern der sozialliberalen Koalition und dem Abgang Helmut
Schmidts erklärte sich Vogel bereit, ohne wirkliche Chance gegen Helmut
Kohl als SPD-Kanzlerkandidat anzutreten. Zuvor war er bereits 1974
erfolglos als SPD-Ministerpräsidentenkandidat in Bayern angetreten. Ebenso
vergeblich ließ er sich 1981 als Feuerlöscher von der skandalgeschüttelten
Berliner SPD engagieren und amtierte bis zur absehbaren Wahlniederlage vier
Monate als Regierender Bürgermeister. Keine Frage: Wahlpolitisch war sein
jüngerer christdemokratischer Bruder Bernhard Vogel, der es zum
Ministerpräsidenten in Rheinland-Pfalz und in Thüringen gebracht hat,
erfolgreicher.
Von 1983 bis 1991 führte Hans-Jochen Vogel in der Nachfolge Herbert Wehners
mit straffer Hand die SPD-Bundestagsfraktion. Nach dem überraschenden
Rücktritt Willy Brandts übernahm der gläubige Katholik 1987 auch noch den
SPD-Vorsitz – was ebenfalls seinem unerschütterlichen Parteisoldatentum
geschuldet war. Seinen politischen Zenit hatte der „Oberlehrer“, so sein
Spitzname in der Partei, da allerdings schon längst überschritten.
Sein Naturell war von eiserner Disziplin und Pflichtbewusstsein geprägt –
gepaart mit einem Faible fürs Bürokratische und einem für Sozialdemokraten
traditioneller Provenienz nicht untypischen Hang zu einem autoritären
Führungsstil. Bis 1991 stand Vogel an der Spitze der Partei. 1994 zog er
sich auch aus dem Bundestag zurück. Sein Rat in der SPD blieb allerdings
gefragt. Er galt als große Respektsperson und moralische Instanz – und war
dabei stets loyal.
Seine letzten Lebensjahre verbrachte Hans-Jochen Vogel gemeinsam mit
seiner Ehefrau Liselotte in einem Seniorenheim in München. Am Sonntagmorgen
ist er im Alter von 94 Jahren gestorben.
26 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.herder.de/geschichte-politik-shop/mehr-gerechtigkeit!-kartonier…
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
SPD Bayern
Nachruf
SPD
Sozialdemokratie
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Kanzlerkandidatur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gabriels Job bei Fleischfabrik Tönnies: Wo es stinkt
Der ehemalige SPD-Chef war bei Tönnies als hochbezahlter Berater tätig.
Verboten ist das nicht. Aber die SPD wird dringend darüber sprechen müssen.
SPD-Fraktionschef über GroKo: „Sollten getrennte Wege gehen“
2021 will SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nicht mehr mit der Union
koalieren. Ein Gespräch über Twitter, Talkshows und die Hoffnung
Rot-Rot-Grün.
GroKo-Kritiker über K-Frage der SPD: „Viele, die Kanzler können“
Kanzlerkandidat Olaf Scholz? Das sei noch nicht entschieden, sagt der
nordrhein-westfälische SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.